Warum ich bei der Geburt doch nicht nutzlos war

Geburtsbericht aus der Sicht eines Vaters

Mir ist vor einiger Zeit aufgefallen, dass ich mittlerweile ein alter Hase bin. Als Vater, meine ich. Wie Ihr vielleicht wisst, waren wir ja früh dran (für heutige Verhältnisse), was dazu führte, dass wir auch unter unseren Freunden und Bekannten relativ allein waren. Und gegenüber den meisten Mit-Eltern – insbesondere den Vätern, die auch damals schon häufig beim ersten Kind graumeliert waren – kamen wir uns fast wie Teenie-Eltern vor. Wir waren 25, als Nummer 1 auf die Welt kam.

25 sein und ein Kind bekommen, das bedeutete für uns: jede Menge Verantwortung, jede Menge Zweifel, ein Gefühl des „Abgleitens“ gegenüber vielen anderen in unserem Alter, die einfach weiterlebten wie bisher. Für mich als Vater bedeutete das auch: jede Menge Sorgen, weil ich mir vorwarf, es beruflich noch nicht weit genug gebracht zu haben (ich war erst Student mit Zwischenprüfung damals) und eine Menge geistige Auseinandersetzung mit dem, was ich den „Bodensatz der Männlichkeit“ nenne.

Die Geburtsvorbereitung

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Wir sind heute ja alle moderne und aufgeklärte Väter, die selbstverständlich mit zum Geburtsvorbereitungskurs gehen, sich mit der Partnerin auf den großen Moment vorbereiten, im Haushalt unterstützen und jede Menge Fußmassagen verteilen. Das war zumindest das, was man so in den Elternzeitungen las, damals (2002 a.D.) Ich fand das auch alles toll und wollte vieles davon selbstverständlich erfüllen, aus Liebe oder manchmal aus Verantwortungsgefühl. Trotzdem gab es Dinge, die mir Schwierigkeiten bereiteten und an die ich mich herantasten musste. So war für mich beispielsweise immer klar, dass ich bei der Geburt dabei sein wollte – weniger klar war für mich hingegen, welche Rolle ich dabei spielen würde. Es gibt ja immer eine Menge Geschichten von Vätern, die einschlafen, sich hinter dem Camcorder (das ist so was wie ein Smartphone, aber eher würfelförmig mit großem Objektiv und ohne Apps, liebe Jung-Eltern) verstecken oder in Ohnmacht fallen. Zwar hatte ich das alles nicht vor, aber ich hatte schon ein wenig Bammel, ob ich der Situation gewachsen sein würde. Irgendwo tief in mir drin hatte ich auch Probleme damit, mich so weit zurückzunehmen und meine Rolle komplett auf die Unterstützung zu reduzieren, anstatt so zupackend und tatkräftig zu sein, wie man es sich als Mann immer gerne vormacht. Die Behauptung, man würde als Mann ja auch einen wichtigen Beitrag leisten, kam mir damals ein wenig vor wie die berühmte Möhre, die man dem Esel hinhält. Es ist, so dachte ich mir, doch völlig klar, dass ich keinen wichtigen Beitrag leisten kann! Händchen halten und Handtücher anreichen sind doch schließlich für einen Mann™ keine wichtigen Beiträge.

Diese Gedanken haben mir um ehrlich zu sein vor meiner ersten Geburt am meisten Probleme gemacht. Ein Teil von mir – mein eigener Bodensatz, könnte man sagen – ging sogar so weit, sich vor dieser Situation lieber drücken zu wollen. Ich bin weiß Gott niemand, der immer im Mittelpunkt stehen muss – aber der Gedanke, vollständig zum Händchenhalten verdammt zu sein, machte mir schon Schwierigkeiten. Ich wollte irgendwie einfach nicht glauben, dass das wirklich wichtig ist. Aber ich dachte mir, wird ja schon einen Grund dafür geben, warum Frauen behaupten, dass ihnen das hilft, also werde ich meinen Teil beitragen.

Im Geburtsvorbereitungskurs kam ich mir wie viele andere Männer durchaus etwas deplatziert vor. Atmen üben und das ganze Zeug – ich würde das ja nicht brauchen, aber immerhin war mir klar, dass ich meine Frau da auch nicht alleine lassen wollte. Also machte ich mit, auch wenn ich tief in mir immer noch davon überzeugt war, dass das alles nur Scharade sei und man als Mann am Ende doch nichts Nützliches würde beitragen können.

Die Ängste vor der Geburt

Was mir recht leicht viel wiederum war das Kümmern, das im letzten Drittel der Schwangerschaft eine immer größere Rolle spielte. Die Schwangerschaft war sehr mühsam und schien irgendwie kein Ende zu nehmen und ich beobachtete, wie es meiner Frau (im Hochsommer) immer schlechter ging. Also kochte, putzte und massierte ich, so gut ich konnte. Das fiel mir leicht, denn das war etwas Greifbares, etwas das man Anpacken konnte.

Wir sprachen damals auch häufig über ihre Angst vor der Geburt und ich baute sie auf. „Du wirst das schon gut hinbekommen, Du hast ein so gutes Körpergefühl und bist gleichzeitig hart im Nehmen. Das ist eine sehr gute Kombination dafür.“ Meine eigenen Fähigkeiten empfand ich wiederum als viel weniger passend für die Geburtsbegleitung und so hatte am Ende ich (heimlich) vermutlich genauso viel Angst wie meine Frau. Ich wollte halt nicht alles Vermasseln durch Müdigkeit, Hektik oder sonst irgendwas. Zwar hatte ich mir bereits überlegt, dass meine Strategie „Zurücknehmen und Unterstützen“ sein würde, aber die Angst, dass mir genau das in einem so intensiven Moment misslingen würde, begleitete mich durch die gesamte Schwangerschaft.

Dazu kamen noch die zwei Wochen Übertragung, die meine Frau wirklich fertig machten. Sie wollte gern ins Geburtshaus, aber das wäre nicht gegangen, wenn das Baby nicht innerhalb dieser maximal 14 Tage kommen würde. Zu allem Überfluss würde auch noch unsere Hebamme dann in den Urlaub gehen, so dass wir uns doppelt beeilen mussten. Also probierten wir alle klassischen Tricks unserer Hebamme durch, leider bis zum allerletzten Tag erfolglos. Wenn wir in die Geburtsmaschinerie eines Krankenhauses geraten würden, fürchtete ich, würde nicht nur meine Frau davon überrollt werden. Ich würde es auch nicht hinbekommen, sie dort so zu unterstützen, wie sie es braucht, und alles würde schrecklich werden. Ich massierte, streichelte und redete gut zu, hatte aber am Ende auch eine Menge Angst, dass das alles außer Kontrolle geraten würde. Es wäre jetzt falsch zu sagen, dass diese Sorgen umsonst waren: Wir schafften es zwar noch ins Geburtshaus, aber dort wurde es dann zwischendurch wirklich schwierig. Doch der Reihe nach.

Es war der Abend des letzten Tages unserer Geburtshausfrist. Wir hatten alle Möglichkeiten der alternativen Geburtseinleitung erfolglos durchprobiert und waren beide langsam ratlos, meine Frau zunehmend verzweifelt. Ich hatte die ganze Zeit behauptet, dass es schließlich noch klappen würde, aber mit jeder weiteren Stunden schrumpfte meine Hoffnung, mit dieser Prophezeiung richtig zu liegen. Sie war mittlerweile vom dem dauernden Druck, dass es endlich losgehen musste, so entnervt, dass sie irgendwann meine Schwiegermutter und mich bat, rauszugehen. Endlich mal allein und unbeobachtet zu sein gab dann scheinbar den Ausschlag – kaum waren wir draußen, ging mein Handy und meine Frau sagte: „Ich glaube es geht los!“

Es geht los!

Tief durchatmen, jetzt gilt es, schon konzentriert und ruhig erscheinen, sagte ich mir und eilte zurück in unsere Wohnung. Ein kurzes Gespräch mit der Hebamme machte uns klar, dass es doch noch ein wenig dauern würde, und so verbrachten wir die nächsten Stunden dabei, den Abstand der Wehen zu beobachten wie schon alle anderen werdenden Eltern vor uns. Nachdem klar war, dass „Es geht jetzt los“ im Rahmen einer ersten Geburt ein sehr dehnbarer Begriff ist und meine Frau momentan sowieso alleine sein wollte, legte ich mich ein wenig auf die Couch und döste. Ich weiß bis heute nicht, ob meine Frau das pragmatisch fand oder es mir heimlich übelnahm. Mir kam es jedenfalls sinnvoll vor, da ich erwartete, die Nacht durchzumachen – es war immerhin schon 21.00 Uhr – und ich keine Schmerzen haben würde, die mich ohnehin wachhalten würden.

Gegen 22.30 Uhr waren die Wehen so weit fortgeschritten, dass wir uns auf den Weg ins 30 Minuten entfernte Geburtshaus machten. Im nähergelegenen in unserem Wohnort hatte man uns leider nicht mehr annehmen können. Die Fahrt war knifflig gegen Ende – jede Bodenwelle löste eine Wehe aus und wir fuhren nicht gerade eine dahinschwebende Limousine, sondern einen in die Jahre gekommenen Fiat Punto. Zum Glück gab es keine Verkehrsprobleme und wir kamen zügig durch. Jetzt war es also soweit.

Die Wehen kamen immer schneller, und nach relativ kurzer Zeit boten die Hebammen an, ins Wasser zu wechseln. Ich setzte mich neben die Badewanne und meine Frau begann mit dem Part der Geburt, den ich fortan immer als „Walgesänge“ bezeichnen würde – sie wechselte wellenartig in eine andere Welt, aus der sie in immer kürzeren Abständen wieder auftauchte, mich anlächelte und Sachen sagte wie „Mir geht es gut“ oder „Ist gar nicht so schlimm“. Dazwischen verfiel sie in einen animalischen Singsang, der mit fortschreitender Geburt immer intensiver wurde – es klang jedoch stets eher nach großer Anstrengung denn nach großem Schmerz. Zumindest in dieser Phase der Geburt. Ich sprach sie regelmäßig kurz an, wenn sie auftauchte, feuerte sie an oder fragte, ob sie etwas brauchte, aber das war selten der Fall. Ab und zu wechselte ich die Sitzposition oder trank einen der Energydrinks, die ich in meiner Geburtshaustasche hatte. Auch wenn das eigentlich nicht nötig war, Müdigkeit war irgendwie kein Thema, aber ich wollte sicherstellen, dass es das auch nicht wurde …

An die Grenze und darüber hinaus

So ging es einige Stunden weiter, und ich war die meiste Zeit ganz erstaunt, dass es ihr gut zu gehen schien. Irgendwann meinte eine der Hebammen jedoch, dass der Muttermund sich einfach nicht weit genug öffnen würde und sie jetzt eine Eipollösung vornehmen wollte. Ich muss gestehen, dass ich nicht so recht wusste, was das war – aber den Schmerzensschreien zufolge, die den Prozess begleiteten, etwas extrem Unangenehmes. Denn ehe ich oder die Betroffene selbst zugestimmt hatten, legte sie bereits los. Zum ersten Mal schien meine Frau aus dem Flow zu kommen, und ich als Assistent direkt mit ihr. Ich streichelte sie, riss mich zusammen und feuerte weiter an. Aber dieses Erlebnis war so einschneidend, dass ich mich in den folgenden drei Geburten niemals wieder dazu hinreißen lassen wollte, wie ein Schaf daneben zu sitzen, wenn Arzt oder Hebamme etwas machten – denn etwas ankündigen und direkt umsetzen, während die Frau in einer Wehe versunken ist, kommt gar nicht so selten vor. Es gab um ehrlich zu sein in jeder Geburt einen Punkt, an dem ich jemanden stoppen musste, damit er auf Einwilligung wartete – nur damals bekam ich das halt noch nicht hin.

Nach der Eipollösung geriet alles ins Straucheln, die Schmerzen schienen schlimmer zu werden, gleichzeitig feuerten die Hebammen meine Frau an zu Pressen, obwohl der Muttermund scheinbar noch nicht weit genug geöffnet war. Es folgten nicht enden wollende Stunden voller Presswehen, die sich völlig anders anfühlten als der erste Teil der Geburt. Wobei, das muss man sicherlich betonen, es sicher keine Geburt gibt, die ohne solche Extreme abgeht. Dennoch dauerte es bei uns sehr lang, zumindest erschien es mir so. Ich verfiel wieder in meinen Rhythmus aus ansprechen, streicheln und anfeuern, der mir immerhin als das Passendste erschien, das ich so tun konnte.

Nach einer Weile begannen wir neue Stellungen zu testen und die Hebamme bezog mich da mit ein. Das empfand ich als gut, da es schmerzhaft und anstrengend war und ich so auch etwas tun konnte, zumal meine Frau sich mehr und mehr auf die Geburt konzentrierte. Mittlerweile war es rund fünf Uhr morgens, als uns die Hebamme endlich mitteilte, das etwas Bewegung in die Sache kam. „Nicht mehr lange, bald hast Du´s geschafft“, flüsterte ich. „Alles ok mir mir“, kam immer noch dann und wann als Antwort, auch wenn das immer weiter von der Wahrheit entfernt zu sein schien. Walgesänge waren abgelöst worden von echten Schmerzenslauten, irgendwann war der berühmte „Ich kann und ich will jetzt nicht mehr“-Punkt erreicht, und wir mussten darüber hinausgehen.

Wie jede Geburt endete auch diese schließlich in einem Crescendo aus Schmerz, Blut und Tränen – sowohl des Leids als schließlich auch der Freude – und irgendwann hielten wir eine empörte, weinende, schmierige Nummer 1 in den Händen und waren verliebt.

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Was ich damals gelernt habe

Ich bin auch heute noch – nach vier Geburten, die ich in Geburtshaus, zuhause und zweimal im Krankenhaus begleitet habe – der Meinung, dass man sich über den Part, den man als Vater während einer Geburt übernehmen kann, keine Illusionen machen sollte. Man wird kein Held an einem solchen Tag, sondern bestenfalls der Sidekick der Heldin. Nichtsdestotrotz habe ich verstanden – und so hat es mir meine Heldin auch immer wieder bestätigt – dass in einer solchen Extremsituation jede Unterstützung willkommen und dringend notwendig ist. Und man kann und sollte das Sprachrohr seiner Partnerin sein, die das selber nicht immer kann. Ich habe das bei Nummer 1 einmal nicht hinbekommen und auch wenn alles am Ende funktionierte, habe ich meine Lektion gelernt. Vielleicht, liebe werdende Väter, hilft dieser Bericht ja dem einen oder anderen von Euch – ich würde mich freuen!



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