Warum ich Abendbrot mit meiner Familie hasse.

Heute holte ich unausgeglichene Kinder aus ihren Institutionen. Erste Vermutung: Zuviel Regen, zuwenig Bewegung.

Erst fische ich Sohni aus dem Kindergarten und hole dann die Schulkinder ab.

Maxe steht im Gang und bricht in Tränen aus, als er mich sieht.

“Der ge-helbe Raum, Mama! Ich so-hollte in den ge-helben Raum ge-e-hen! A-ha-aber da-ha sind zwei ge-helbe Räu-häume!”

Die Last einer Kinderseele bricht aus ihm heraus. Unglücklicherweise hat auch der Bastel-Raum ein gelbes Schild, und er kann ja noch nicht lesen.

Ich zeige ihm beide Räume, hole den Großen ab, melde uns bei der Magnettafel ab und kehre zum Fahrrad zurück.

Unterwegs geht Melek verloren.

Ich kehre um und finde ihn meckernd im Flur stehen.

“Wo warst du, Hase?”

Empörung: “Ich habe den Ranzen geholt und dann war ich auf dem Klo und dann wart ihr weg!”

Da fing es an.

Seit mehr als zwei Jahren hole ich das Kind von der Schule ab, melde ihn an der Magnettafel ab und dann gehen wir zu meinem Fahrrad und machen uns auf den Heimweg. Kann Mutter da nicht erwarten, dass das Kind eins und eins zusammenzählt und einfach hinterhergeht?

Beim Abendbrot setzt sich die Stimmung fort.

“Kinder, räumt auf, es gibt gleich essen!” Ich stehe im Wohnzimmer und weise auf den Murmelbahn/Magnetspiel-Chaos-Salat auf dem Spieleteppich.

Aber meine Kinder sind zu kreativ zum Aufräumen. Manchmal freut mich das, aber heute schaue ich resigniert zu, wie der große Riesensohn quälend langsam eine Murmel nach der anderen durch die Murmelspirale schickt, um sie in der Murmelkiste zu versenken: “Guck mal, Mama, das ist unsere Popcorn-Maschine!”

Ich denke an Buddha unter dem Baum und schneide wortlos die Paprika in Streifen.

Dann begehe ich den entscheidenden Fehler: Ich stelle die Schale mit der Roten Beete auf den Abendbrottisch und erhalte prompt die Rote Karte.

Empörung blitzt mir aus blauen Augen entgegen: “Wieso darf ich MEINE Rote Beete nicht SELBER auf den Tisch stellen, Mama??”

“Weil”, inzwischen zische ich wie eine Schwarze Mamba, “weil ich den Abendbrottisch für ALLE decke und auf dem Weg zu Tisch ZUFÄLLIG die Rote Beete ausgewählt habe, und AUSSERDEM will SOHNI vielleicht auch etwas haben.”

“Boh, ey, iss klar. DAS IST MEINE ROTE BEETE!”

Dann sitzen wir am Abenbrotstisch, und ich habe die Wahl. Lasse ich die Kinder im Stehen essen, sich gegenseitig unterbrechen, kreischen, quieken und lautstark und schief singen oder erziehe ich sie?

Heute entscheide ich mich für B.

“Setzt euch bitte auf den Po, Maxe und Melek. Sei bitte leise, es ist mir ZU LAUT! Hör auf mit den Armen herum zu fuchteln. Ja du. Du auch. Und du. Leise, bitte. Nicht summen. Hör auf Unsinn zu singen. Soll ich ein Hörbuch anmachen?”

Das erste ist zu gruselig. Das zweite auch. Melek packt seinen Ranzen aus und steckt die neue Englisch-CD in den Player. Die Zwillinge meckern. Ich soll übersetzen. Das ist schwierig, Maxes Müslitüte knistert so. Ich sehe und staune, wie Brotscheiben, Jogurt, Obstgläschen-Inhalte und Müsli in Kinderbäuchen verschwinden. In zehn Jahren werden wir eine Großküche brauchen!

Völlig erschöpft beende ich das Abendbrot und gebe Anweisungen, die Teller abzuräumen.

“Wohin, Mama?”

Das fragen die mich jeden Abend!!!

“In den Geschirrspüler, Hase.”

Blöd nur, dass die Ständighungrigen heute einen Teller und eine Müsli-Schüssel benutzt haben. Ich erinnere also auch noch an die Schüssel und ernte nur ärgerliche Blicke bzw. Ignoranz. Die Zwillinge haben die magnetische Murmelbahn entdeckt und turnen auf dem Sofa herum.

“RETTE MICH!” brülle ich dem Bürobären in die erste Etage hinauf.

“Klar, gleich!” brummt es zurück.

Melek soll seine Hausaufgaben zeigen.

“Die sind in der Schule, Mama!”

Ich breche zusammen, bevor ich im Hausaufgabenheft notiere, dass ich die Aufgaben mal wieder nicht kontrollieren kann.

Die letzte Herausforderung des Tages: Das Kind soll seine neue Englisch-Vokabel-Box zusammenbauen.

“Wie geht das, Mama?”

Es gibt Menschen, die probieren einfach aus und meistens klappt es. Und dann gibt es diesen Sohn, der vor der Box sitzt und keinen Handschlag ohne Anleitung tut. Obwohl er es könnte. Ich weiß es. Ich habe es gesehen, als ich mich neben ihn setzte.

Für einfache Aufgaben ist er einfach zu kreativ.

Er soll eigentlich nur die Box zusammenkleben, sein Mäppchen zusammenräumen und die beiden Gummischlangen wieder ins seine persönliche Spielzeugbox räumen – und das bringt mich so in den Wahnsinn?

Ja, es ist so. Ich beiße in das Sofakissen, während das Kind statt ein- noch ein weiteres Spielzeug herausholt, es spielt statt nach Anweisung alle drei Teile wieder wegzuräumen, noch weiter ausprobiert, während die Mutter weißglühend versucht weiter zu atmen und “Aufräumen, Feierabend” zischt.

Er hat so eine Art, Dinge gerade so nicht zu tun, dass mir das Adrenalin durch die Adern zischt.

Die Zwillinge sind ebenfalls zu kreativ und kombinieren Magnetkugel-Bahn mit Murmelbahn-Einzelteilen. Während ich den großen Sohn mit Morgenstern und Eiserner Jungfrau dazu zu bringen suche, EINFACH SEIN MÄPPCHEN WIEDER EINZURÄUMEN VERDAMMTE HACKE, kippt die Murmelbahn-Kiste um und verwandelt den soeben frei geräumten Spieleteppisch in ein Schlachtfeld. Das kann ja mal passieren! Aber doch nicht jetzt!

Sensibel erinnere ich den nicht mehr ganz so besten Ehemann daran, dass er mich retten wollte, bevor ich ins Badezimmer fliehe, um dort von innen gegen die Tür zu treten: “SCHWING ENDLICH DEINEN HINTERN RUNTER, VATTA!”

“KANNST DU SIE NICHT HOCHSCHICKEN???”

 “OOOOAAARRRRRR!!!”

“Komme schon!”

Bin ich zu streng? Nicht konsequent genug? Oder sind die Kinder einfach zu begabt, um simple Handlungsanweisungen auszuführen? Ich erwäge, das allabendliche Aufräumen ausfallen zu lassen. Stattdessen werde ich einen Bagger im Hof parken, dessen eiserne Krallen bedrohlich quietschen werde, bevor das ganze schöne Spielzeug auf Nimmersehen in der Kanalisation verschwindet. Vielleicht reisst das die Kinder aus ihrer Trance. Und wenn das auch nichts nützt, werde ich mich auf ihren Hochzeiten mit amüsanten Babyfotos rächen.

So.


Einsortiert unter:Alltag mit Zwillingen (6 Jahre), Der große Riesensohn (8 Jahre), Grundschulzeit

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