Ich sitze im Flugzeug und die Maschine fängt an zu rappeln. Der Flieger verliert abrupt an Höhe und löst ein ganz ungutes Gefühl in meiner Magengegend aus. Einen kurzen Moment bekomme ich Angst und hoffe, dass wir sicher auf dem Boden landen werden. Turbulenzen gehören zum Flugalltag und sind nicht besonders gefährlich. Dennoch ist es immer wieder ein komisches Gefühl, abzuheben und dem Piloten und Computer volles Vertrauen zu schenken.
Ich habe keine Panik vorm Fliegen, dennoch ist es nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Und während ich dies schreibe, merke ich, dass ich versuche meiner größten Angst aus dem Weg zu gehen. Ich thematisiere das Fliegen, obwohl es nicht das Thema ist, was mich fast ohnmächtig werden lässt. Es gibt da diese eine Sache, die ich versuche seit meiner Kindheit zu vermeiden, da ich dabei rot anlaufe und mir fast in die Hose mache.
Ich fang also nochmal von vorne an:
Ich sitze nicht im Flugzeug, sondern an einem langen Tisch mit vielen Leuten. Wir haben uns alle getroffen, um Johns Geburtstag zu feiern. John kenne ich nicht besonders gut, aber gut genug, um auf seinen Geburtstag eingeladen zu werden. Die Runde am Tisch war sehr sympathisch und ich war super happy meinen Abend mit all den wundervollen Menschen teilen zu dürfen.
Bis plötzlich einer in der Runde auf die Idee kam, dass jeder am Tisch ein paar nette Worte über John sagen sollte. Nette Geste, doch für mich die Verkörperung eines Albtraums. Alle sagten etwas Wundervolles, nur ich nicht. Ich saß da und war einfach nur starr. Ich konnte nichts sagen. Nicht, weil ich nicht wusste, was ich hätte sagen können, sondern weil mich plötzlich eine unglaubliche Angst überkam. Eine Angst, die ich lange nicht mehr so intensiv gespürt hatte. Keiner nahm es mir übel, nur ich mir selbst.
Am nächsten Morgen realisierte ich, was da los war. Ich welches Muster ich wieder tappte. Oder welches Muster ich nie losgeworden bin, da ich es erst gar nicht angehen wollte.
Schon in meiner Kindheit hatte ich große Probleme damit, vor anderen etwas vorzulesen oder an die Tafel zu gehen. Später wurden es Präsentationen, die ich entweder komplett vermied oder alles ganz nervös nur herunterratterte. Für mich waren diese Situationen die größte Strafe von allen. Alle schauten mich an. Ich war im Mittelpunkt, dort wo ich nicht sein wollte. Ich wollte mich einfach nicht zeigen. Und genau diese Angst wurde an dem Abend wieder ersichtlich.
Habe ich Angst vor Menschen?
Wie ironisch ist es, dass wir Angst vor unseren Mitmenschen haben. Menschen, die die selben Ängste mit sich herumtragen wie wir.
Ich bin schon in Australien aus dem Flugzeug gesprungen, in Thailand im Dschungel an einem Gummiseil in die Tiefe gesprungen, aber vor Menschengruppen reden kann ich nicht.
Selbst wenn ich Jahre zurückgehe und an die Situationen denke, in denen ich meinen Träumen nachgehen wollte, werde ich traurig. Ich bin enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst, dass ich mir selbst und meinen Träumen nicht mehr Wert gegeben habe.
Es gab diesen Moment, als ich auf dem Weg nach Köln war, um mich in einer Schauspielschule vorzustellen. Ich war 20 Jahre alt und es war mein absoluter Traum, Schauspielerin zu werden. Ich saß also im Auto und kam in der Straße an, in der sich die Schule befand. Ich sah mehrere Leute davor stehen. Mich überkam die Angst. Mein Verstand wurde überaktiv und sagte mir, dass ich nicht gut genug sei, um mich vor so vielen Leuten zu zeigen. Ich drehte um und fuhr zurück nach Hause.
Was mache ich aber heute mit der Angst? Inzwischen bin ich älter, habe mehr Erfahrungen auf dem Buckel und weiß, was Ängste in Wirklichkeit sind.
Belasse ich es einfach dabei und vermeide unkomfortable Situationen oder stelle ich mich meiner Angst und beweise mir selbst, dass ich stärker bin?
Ich kann Stärke zeigen, indem ich mit anderen mein Innenleben teile, mich verletzlich zeige und anderen mitteile, dass jeder Wunden hat.
Ich habe mich dazu entschieden, ab und zu Vorträge zu halten. Klingt radikal, ist in meinem Fall aber nötig. Ich kann spüren, dass es der richtige Weg ist. Auch wenn es der unkomfortabelste von allen ist.
Wovor hast du Angst?
Gehe dabei bis in deine Kindheit zurück. Was hat dir die größte Angst bereitet? Was ist noch heute da und lässt dich zittern? Was hat dir am meisten wehgetan? Teile diese Angst mit anderen. Egal, ob unter diesem Beitrag oder mit Freunden. Es ist so befreiend darüber zu reden und zu erfahren, dass jeder von uns Wunden hat.
Hinter der größten Angst liegt ein riesengroßer Schatz verborgen. Nämlich deine Passion. Nur haben die meisten absolut keine Lust sich damit auseinanderzusetzen, da es zu schmerzhaft ist.
Ich habe meine Angst und du hast deine. Ängste sind so unterschiedlich wie wir auch. Wenn wir diese nicht sehen wollen und nicht bereit sind sie zu überschreiten, bleibt unser größter Schatz ein Leben lang verborgen.
„What we fear of doing most is usually what we most need to do." - Ralph Waldo Emerson
Gehe auf deine Angst zu.
Höre die Stimme die dir sagt, dass du es nicht kannst und tu es trotzdem.
Denn nichts wirklich Wertvolles bekommst du einfach so geschenkt. Es liegt tief in dir vergraben und möchte gelebt werden.
Wo liegt deine größte Angst?