Spot the difference... pic.twitter.com/DeiJxTHorg — Jack Blackburn (@HackBlackburn) 10. Oktober 2018Und ich sehe, dass in der Aufarbeitung von 2016 offensichtlich noch viel zu tun ist. Denn solcher Unfug gilt inzwischen leider weithin als "common sense". Ein falsches Narrativ (die Unausweichlichkeit eines Clinton-Siegs) durch ein anderes falsches Narrativ (die magische Kraft der Rechten, Umfragewerte überzuperformen und die generelle Unzuverlässigkeit von Umfragen) zu ersetzen sorgt nicht für bessere Analysen oder, davon abgesehen, Politik- und Wahlkampfansätze. Ich möchte daher im Folgenden meinen persönlichen Abschluss des Wahlkampfs 2016 schreiben. In diesem Rahmen möchte ich zuerst mein eigenes Verhältnis zu HRC und dem Wahlkampf klären. Danach möchte ich auf die Aspekte des Wahlkampfs eingehen, die unberührt von der Bewertung des eigentlichen Wahlkampfs und der jeweiligen Performance Clintons und Trumps sind - die fundamentals, quasi.
In diesem Rahmen möchte ich auch die Frage nach der Zuverlässigkeit von Umfragen angehen. Mit dieser Basis springen wir dann direkt in den eigentlichen Wahlkampf: Zuerst sehen wir uns an, warum Clinton nicht verloren hat, also populäre Erklärungsmuster, die einer Überprüfung nicht standhalten. Dann gehen wir zu den Gründen, aus denen sie die Wahl tatsächlich verlor und die ich in zwei Kategorien einteilen will: Faktoren innerhalb von Clintons Kontrolle - also Fehler, die sie und ihr Wahlkampfteam gemacht haben - und Faktoren außerhalb ihrer Kontrolle, also externe Faktoren, auf die sie reagieren musste, die aber keinen Ursprung in ihrem eigenen Handeln hatten. Zum Abschluss werde ich versuchen, den Bogen zu den Midterms 2018 zu schlagen und einige allgemeine und vorläufige Schlüsse für die zukünftige Ausrichtung der beiden Parteien zu ziehen. Damit genug der Vorrede, auf geht's!
Hillary Rodham Clinton ist ein Produkt ihrer Zeit. In den 1970er Jahren war sie eine der Vorkämpferinnen dessen, was ich den "angewandten Feminismus" nennen würde: Sie war die erste Frau in diversen Positionen an ihrer Uni und erkämpft einen Platz an der Spitze. Bereits damals hatte sie recht zentristische Positionen in einigen Bereichen (sie hielt etwa sich und ihre Uni bewusst aus den Studentenunruhen der Zeit heraus), setzte sich aber für eine deutlich liberale Gesellschaftspolitik ein. Dieses Muster setzte sie später fort und zeigte ihre Unabhängigkeit und ihren Stolz auf das Erarbeite durch das Behalten ihres eigenen Nachnamens "Rodham" auch nach ihrer Heirat mit Bill Clinton. Während dessen Gouverneurszeit in Arkansas war sie weiterhin gut sichtbar beruflich aktiv, zur Irritation vieler konservativer Beobachter.
Das änderte sich mit dem Präsidentschaftswahlkampf. Um Bill Clinton weithin akzeptabel zu machen, identifizierte sie sich immer mehr als "Hillary Clinton" oder "Hillary Rodham Clinton" (die Abkürzung HRC entstammt dieser Zeit) überkompensierte ihre vorhergehende (und genuinere) Ablehnung einer klassichen Hausfrauenexistenz durch eine dezidiert klassische First-Lady-Persona. Gleichzeitig versuchte sie immer noch, eine eigene Rolle zu spielen. Dies endete im Desaster: die von ihr hauptsächlich mitverantwortete Gesundheitsreform 1993 scheiterte und bereitete der Gingrich-Revolution von 1994 mit den Boden. Clinton unterstützte ihren Mann und zog sich von da an völlig auf die Rolle der klassichen Ehefrau zurück, was im Lewinsky-Skandal dann dazu führte, dass sie ihm öffentlich den Rücken stärkte und sich nicht von ihm trennte - etwas, was die radikalen Feministinnen der 1990er Jahre ihr nie verziehen.
2000 zog sie dann auf einem sicheren Platz, unterstützt von den mächtigen Netzwerken ihres Mannes, in den Senat ein. Ihr beachtlicher Wahlerfolg war auch auf die Sympathie zurückzuführen, die sie damals als Opfer des Lewinsky-Skandals von weiten Teilen der Bevölkerung empfing, ein Bonus, der acht Jahre später vollkommen abgebaut war. Generell fiel sie als Senatorin wenig auf. Sie war eine Unterstützerin von Bushs Irakkrieg, wie so viele "liberal hawks" der damaligen Zeit, und war für ihren ungeheuren Arbeitseifer und ihr großes Fachwissen bekannt. Als Renderin oder Charismatikerin war sie auch damals nicht aufgefallen, aber Freund wie Feind erkannten stets ihre große Kompetenz. Deswegen und wegen ihrer guten Vernetzung war sie ein natürlicher Kandidat 2008.
Die primaries verlor sie bekanntlich ungeheur knapp gegen Barrack Obama, dessen überlegene Wahlkampforganisation ihre Vorteile auszugleichen vermochte. In den primaries zeigten sich bereits eklatante Nachteile Clintons, die 2016 erneut eine Rolle spielen sollten: Ein zu großes und schwerfälliges Wahlkampfteam, ihre mangelnde Begeisterungsfähigkeit und ihre interventionistische außenpolitische Einstellung. Gerne vergessen wird, dass HRC innenpolitisch mit einem liberaleren Programm antrat als Barrack Obama, der sich als zentristische Stimme der Vernunft von ihr abgrenzte. Das ist wichtig für das Verständnis von 2016, wo Clinton oftmals als Karikatur gezeichnet wurde, die quasi von Mitt Romney nicht zu unterscheiden war. Unter Obama war sie dann vier Jahre lang kompetent Verteidigungsministerin. Die Republicans versuchten zwar, ihr mit dem Terrorangriff auf Benghazi einen Skandal anzudichten, hatten damit aber keinen Erfolg. Ab 2012 konzentrierte sich Clinton dann auf ihre zweite Präsidentschaftskandidatur.
Ich selbst war nie ein Clinton-Fan. In den primaries 2008 hatte ich überhaupt keinen Favoriten und verfolgte sie auch nicht weiter; US-Politik gehörte damals nicht zu meinen Interessengebieten (Von 426 Artikeln, die ich 2008 für den Oeffinger Freidenker geschrieben habe, beschäftigt sich kein einziger mit den USA oder Obama. Kein. Einziger.) Als sich das Bewerberfeld für 2016 herauskristallisierte, war sie für mich wie wohl für viele andere die beste Wahl aus einem nicht sonderlich spannenden Menü. Mit Bernie Sanders konnte ich wegen dessen wenig praxistauglichen Ideen wenig anfangen (mein Artikel legte seinerzeit die Gründe dar). O'Malley war blass und chancenlos, und der Rest des Feldes lief mehr unter "Spaßkandidatur". Dass Clinton die primaries gewinnen würde, stand für mich von Anfang an fest, und trotz der überraschend starken Performance Sanders' zeigten die Zahlen offenkundig, dass ohne eine größere Katastrophe Clinton die Wahlen gewinnen würde - was die Umfragen auch konsistent vorhersagten.
In dieser Zeit im Frühjahr 2016 gab es viele Anhänger Sanders, die allerlei Erklärungen dafür fanden, warum der Prozess wahlweise gefälscht war oder die Umfragen falsch oder beides. Ich glaubte den Experten von 538, Crystall Ball und The Upshot, die alle deutlich zeigten, dass dies Unfug war. Bernie mobilisierte einen überraschend großen Teil der Wählerschaft, ja - aber nie auch nur annähernd eine Mehrheit. Clinton tat dies spielend, und sie besaß offensichtlich genügend echte Anhänger, um die Wahl zu gewinnen. Auch das ist eines der falschen Narrative, die HRC umgeben. Ja, sie profitiert massiv von den teilweise geerbten Unterstützungsnetzwerken in der Partei, aber HRC hatte immer auch Anhänger - loyale und begeisterte Anhänger - die an sie glaubten und für sie kämpften. Keine Mehrheit, sicherlich, aber das hat kein Politiker. All diese Dinge zeigten sich bis Mai 2016 deutlich. Die Experten hatten Recht behalten. Ich hatte Recht behalten. Das gab mir wie vielen anderen wohl deutlich mehr Vertrauen, als angesichts der volatilen Situation angebracht gewesen wäre.
Aber wir werden dazu im zweiten Teil zurückkommen, wenn wir genauer ansehen, was 2016 konkret geschah. Ich möchte vorher noch etwas mehr auf mein Verhältnis zu Clinton eingehen. Mir wurde oft von Gegnern von HRC, ob aus dem rechten oder linken Lager, vorgeworfen, ein Fan zu sein und deswegen nicht klar zu denken. Ich war aber nie ein Fan von HRC, nicht in dem Maß, wie ich ein bekennender Fan Barrack Obamas bin. Für mich erfüllte Clinton eine Funktion, die Trump für viele Republicans einnahm: Sie war mein Champion, nicht mein Held. Ein Champion ist jemand, den man mit der Verteidigung der eigenen Sache beauftragt, ein stellvertretender Kämpfer. Ich sag in Clinton den best geeigneten Kandidaten, meine Präferenzen in diesem Zyklus zu verteidigen und umzusetzen, nicht mehr und nicht weniger.
Wenn man sich die (merklich verfrühten) Spekulationen über ihre Amtszeit ansieht, die ich damals mit anderen angestellt habe, sieht man, dass meine Hoffnung eine kompetente Regierungsführung zur Absicherung der Erfolge Obamas war. Man kann nicht gerade sagen, dass ich - oder irgendjemand - mit überbordenden Erwartungen an Clinton in diesen Wahlkampf gegangen wäre, was ja nun etwa für Bernie Sanders nicht eben zutraf. Diese unterwältigende Erwartungshaltung ist sicherlich einer der Faktoren, der für Clinton zu einem bleibenden Problem wurde (und auf das wir zurückkommen werden), denn allein war ich mit dieser Erwartungshaltung nicht gerade, übrigens auch nicht unter HRCs Gegnern.
Man sollte allerdings vorsichtig sein, Clinton deswegen zu schnell rechts von Obama einzuordnen. Auf dem Feld, das ihr bei den eigenen Anhängern konsistent die meisten Probleme machte - der Außenpolitik - trifft dies zweifellos zu. Clinton war unter den Democrats ein Falke, überhaupt keine Frage, aber sie war in diversen Bereichen tatsächlich progressiver als Obama. So waren ihre Zeugnisse in den Bereichen der Emanzipationspolitik konsistent besser als seine (paid family leave etwa fristete als Thema bei Obama ein Schattendasein und stand bei ihr ganz oben auf der Agenda), und sie hatte viel daran gearbeitet, sich das Vertrauen der Minderheiten zu erarbeiten - was ja auch einer der zentralen Gründe für Sanders' Chancenlosigkeit in den primaries war.
Wir werden noch darauf zurückkommen, warum Clinton nicht in der Lage war, diese Positionierungen auch im Wahlkampf hervorzuheben oder als Asset zu benutzen. Man sollte aber nicht so tun, als würden sie nicht existieren. Clinton hat ein legitimes Talent dafür, Wähler im persönlichen Kontakt für sich einzunehmen und zu begeistern, woher ja auch ihr Kern absolut loyaler Unterstützer und Mitarbeiter kommt. Nach allem was man hört ist sie eine exzellente Chefin und eine warme, empathische Kandidatin im direkten Kontakt gewesen. In einer Nation mit 300 Millionen Einwohnern ist das nur nicht sonderlich hilfreich.
Trotz alledem geht es mir wie vielen anderen vermutlich auch: Clinton wäre nicht meine erste Wahl als Kandidatin. Ich denke, dass sie eine gute Administratorin gewesen wäre. Aber eine inspirierende Wahlkämpferin war sie nie und würde sie auch nie sein. Die beste Parallele ist in meinen Augen Angela Merkel; nicht wegen der politischen Positionen (Clinton ist wie gesagt deutlich liberaler), sondern wegen des Politikstils. Die Konzentration auf Sacharbeit, die gute Vorbereitung, die ernsthafte, unaufgeregte Art, an das Geschäft heranzugehen und ihre Probleme auf der öffentlichen Bühne, die Hölzernheit, die beide Frauen da umgibt, haben sie definitiv gemeinsam.
Nur ist Angela Merkel in einem parlamentarischen System mit Verhältniswahlrecht aktiv, und Clinton in einem präsidialen mit Mehrheitswahlrecht. Und das macht eben den entscheidenden Unterschied. Hätten die Democrats einen anderen Kandidaten aufstellen sollen? Vermutlich. Aber hinterher ist man immer schlauer, und ich bleibe bei meiner Skepsis gegenüber Sanders' Chancen.
Die Attraktivität Clintons bestand in ihrer Regierungszeit; sie war der mit Abstand beste Kandidat der Democrats für eine dritte Amtszeit Obamas bei einem republikanischen Kongress. Hierbei bleibe ich auch: Sie wäre die beste Präsidentin gewesen, um in einer feindlichen Umgebung die Erfolge Obamas durch kleinteilige Regierungsarbeit ordentlich abzusichern. Dazu kam es nie. Und sicherlich trug dieses wenig inspirierende Bild auch zu ihren Problemen bei. Man sollte aber ehrlich dabei sein, was die Partei, die Unterstützer und Sympathisanten in ihr sahen - und was nicht.
Im nächsten Teil der Serie befassen wir uns mit der Frage, was 2016 eigentlich geschah - der Faktenlage, die von allen Beteiligten als solche anerkannt wird. Auf dieser Grundlage werden wir dann den Wahlkampf Clintons analysieren, wo es eine von allen Beteiligten anerkannte Faktenlage effektiv nicht gibt.