"Ein Sutra sagt: 'Schneide alles Böse ab, kultiviere das Gute, dann wirst du zum Buddha.' Das sind falsche Gedanken, die dein eigener Geist erzeugt."
Ich möchte nun die versprochene Entgegnung auf einige neuere Blogs und Bewegungen formulieren, in der Hoffnung, dass diese auf ihrem Weg davon inspiriert sein mögen. Der Einfachheit halber fasse ich unter dem "Säkularem Buddhismus" der Überschrift hier mal all die Bestrebungen zusammen, abseits von etabliertem Buddhismus (ob er nun vornehmlich Religion oder Spiritualität ist) eine moderne, aufgeklärte, kritische Praxis der Buddha-Lehre zu etablieren. Ich werde natürlich den erheblichen Unterschieden in Blogs, die ich zeitweise hier verlinkt hatte, so nicht gerecht. Aktiv sind vor allem Stephen Batchelors "Secular Buddhism", in Deutschland etwa "Der Unbuddhist", dann international Glen Wallis "Speculative Non-Buddhism" und weitere, die sich - meist mit akademischem Hintergrund - von verschiedenen Warten dem Phänomen Buddhismus nähern und insbesondere seine Grundannahmen und sein Vokabular hinterfragen und dekonstruieren.
Nachdem ich mich dort eine Weile umgeschaut hatte (und weiterhin Abstecher mache), fiel mir auf, dass sich einige Unzufriedenheit mit dem tradierten Buddhismus direkt aus der im Westen etablierten und vorherrschenden Lehre der Theravadins, der Tibeter und eines späten Zen erklären lässt. Ich halte diese Gegenbewegung für sehr wichtig, möchte jedoch hier einmal aufzeigen, warum sich einem im frühen Zen (Chan) der Chinesen Verwurzelten manches Problem nicht stellt, wie also bereits mit dem Entstehen des Zen das Heilmittel für zahlreiche kopflastige Erwägungen der Moderne angeboten wurde. Alle Zitate stammen aus den Tun-huang-Manuskripten, die als "Bodhidharma-Anthologie" bekannt wurden, ohne diesem Bodhidharma selbst zugeschrieben werden zu können (siehe Jeffrey L. Broughton: The Bodhidharma Anthology, Berkeley 1999):
1) "Wenn jemand den Geist des Kultivierens des Weges kräftigen will, sollte er den Geist jenseits der Grenzen von Normen schicken."
"Verlangt jemand nicht nach Verständnis und sucht nicht nach Weisheit, dann wird er die Irrungen und Wirrungen der Dharma- und Dhyana(Versenkungs)-Meister vermeiden."
Im Grunde könnte dies das Schlachtmotto der "Unbuddhisten" sein. Von Anfang an ruft das Zen zur Sprengung jedes Althergebrachten auf. Zen, so man es überhaupt als Buddhismus verstehen mag, ist seit jeher eine permanente Revolution.
2) "Wer, ohne sich auf die Lehre eines Meisters zu verlassen, den Dharma aus den Ereignissen herleitet, wird einer mit scharfem Verstand genannt. Wer nur aus der gesprochenen Lehre eines Meisters versteht, ist dumm."
Hier wird die Offenheit gegenüber empirischer Wissenschaft und eigener Erfahrung letztlich der Schriftüberlieferung vorgezogen.
3) "Der Bodhisattva sieht das Dharma-Reich als sein Zuhause an und die vier unermesslichen Bewusstseinszustände* als Ort der Vorschriften. Frage: Gibt es im Dharma-Reich ein Einhalten oder Brechen der Vorschriften? Antwort: In der Essenz des Dharma-Reiches gibt es weder gewöhnlich noch heilig."
"Jeder Ort schlechten Karmas wird vom Bodhisattva zu einem Buddha-Geschehen gemacht."
"Den weglosen Weg gehen heißt, den Buddha-Weg zu verstehen. So einer lehnt weder Eifersucht noch Verlangen ab. Denn wer verstanden hat, für den ist Eifersucht eifersuchtslos und Verlangen ohne Verlangen."
Die Vorschriften, Gebote, Gelübde sind hier auf *Freundlichkeit, Mitempfinden, (Mit)Freude und Gleichmut beschränkt. Eine ausgedehnte Liste von Gelübden und Forderungen an den Praktzierienden existiert nicht, drei Charaktereigenschaften, die das Miteinander erleichtern und eine, die einem selbst besonders gut tut und kein Phänomen ablehnen muss, also ein- und nicht ausschließt, sind die Grundausstattung des Bodhisattva. Buddhismus (Zen) war einmal ganz einfach. Und er umfasste das ganze Spektrum des Lebens, ohne schwarz-weiß zu malen.
4) "Alle Sutren und Abhandlungen erzeugen Geist. Wenn kein Geist erzeugt wird, welchen Nutzen hat dann die Sitzmeditation? Wenn keine schlauen Kunstgriffe aufkommen, muss man sich auch nicht mit rechter Achtsamkeit abquälen."
"Die Erkenntnis der Buddhas kann den Menschen nicht durch Sprache gezeigt noch kann sie verborgen werden, und auch durch meditative Versenkung kannst du sie nicht ausloten."
Dieser Satz ist wichtig für alle, die an jedweder Methode der Meditation und des Sitzens haften. Selbst eine zwingende Korrelation von Erkenntnis und Sitzen, ja sogar von Erkenntnis und Versenken wurde im frühen Chan abgelehnt!
5) "Als Mensch in die Hölle zu fallen bedeutet, im Geist ein Ego zu erschaffen. Wenn die Menschen sagen:'Ich tue Schlechtes, also erfahre ich Bestrafung; ich tue Gutes, also empfange ich Belohnung', dann ist dies übles Karma. Von vornherein haben solche Dinge nicht existiert, doch die Menschen unterscheiden und behaupten willkürlich, es gäbe sie. Genau darin liegt das üble Karma."
"Gewöhnliche Menschen bestehen auf der Unterscheidung: 'Ich begehre, ich bin wütend.' Solche Ignoranten werden in die drei üblen Wiedergeburten fallen."
Karma ist die fiktive Unterscheidung im Geist, das moralinsaure, dualistische Denken. Üble Folgen entstehen genau dann, wenn Menschen meinen, wütend und begehrlich zu sein an sich würde dieses Karma schaffen.
6) "Zahllose gewöhnliche Menschen auf der ganzen Welt sind von Begriffen und geschriebenen Worten gebunden."
"Sie benutzen Geist, um Geist loszuwerden ..."
"Wenn du intellektuelles Verstehen benutzt, um einen passenden Namen zu finden, werden geistreiche Entwürfe entstehen. Willst du solche gewitzten Tricks beenden, dann erzeuge keinen Gedanken an Erleuchtung und berufe dich nicht auf das Wissen der Sutren und Abhandlungen."
Wenn sich der Gedankenapparat immer weiter dreht, auf der Suche nach einer modernen Form des Buddhismus, wird die Lösung nur provisorisch sein. Frühes Zen (Chan) fordert:
"Wenn Bewusstsein und Gedanke beruhigt sind, so dass kein einziger Gedankenimpuls mehr da ist, dann kann man von vollständigem Erwachen sprechen. Gleichermaßen ist alles an Gedanken und Bewusstsein, was nicht zur Ruhe kommt, ein Traum."