Warum es nicht besser wird

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Neulich im Hochseilgarten: Einweisung in Gurt und Sicherungsanlage ausschließlich in großer Gruppe. Viele Personen werden gleichzeitig eingewiesen, dann wandern viele Personen gleichzeitig zu einem Hochseilparcours, dann warten viele-1 Personen, dass sie mit der ersten Station beginnen können.

Es staut sich überall: Vor der Einweisung solange, bis mit der großen Gruppe begonnen wird, vor dem Hochseilparcours und auch noch im Hochseilparcours auf den Plattformen zwischen den Stationen.

imageÜberall Nadelöhre, Flaschenhälse, Engpässe. Manche davon unvermeidlich: aus Sicherheitsgründen darf zu jeder Zeit nur eine Person eine Station absolvieren. Andere aber selbstgemacht: das Warten vor der Einweisung und beim Einstieg in die Parcours.

Doch warum wird das nicht besser? Denn das war nicht nur am letzten Wochenende so, sondern auch schon vor zwei Jahren. Es kommt nur schwer zu einem Fluss der Besucher durch die Stationen. Meist stockt es – auch wenn der Hochseilgarten noch nicht ausgelastet ist.

Das ist für mich als Besucher nervig. Den Hochseilgarten als Organisation scheint es aber nicht zu stören. Dort konzentriert man sich auf lokale Effizienz statt globalen Fluss. Es ist wichtiger, dass Mitarbeiter die Einweisung nicht so häufig machen, statt dass die Besucher nach Ankunft flüssig in die erste Station einsteigen können.

Denn nichts anderes soll ja die Einweisung großer Gruppen bewirken, als dass man dabei Personal-Zeit spart. Sie dauert immer gleich lang, egal ob sie für 2 oder 20 gemacht wird. Dann doch besser für 20, oder?

 

imageNeulich im Restaurant: Da sitzen Kollege Stefan Lieser und ich in der Schweiz an einem sehr lauen Sommerabend an der murmelnden Limat draußen beim Italiener. Die Bedienung ist zuvorkommend, die Bestellung wird zügig aufgenommen, das Essen wird bald gebracht – aber beim Bezahlen dauert es lange, sehr lange. Die Bedienung vergisst uns, die Bedienung vergisst, dass wir mit Karte bezahlen wollen, die Bedienung kann mit dem Kartenlesegerät nicht recht umgehen. So war es am ersten Tag und so war es am zweiten Tag. Da erlaube ich mir anzunehmen, dass es sonst nicht anders ist. Warum ist das aber so?

Als Gast bin ich an Aufmerksamkeit während meines gesamten Besuchs interessiert. Nicht nur möchte ich bald mein Essen haben, ich will auch gehen können, wenn ich gehen will.

Aus Restaurantsicht ist das jedoch anders. Die Organisation interessiert sich für mich anscheinend nur solange sie noch Umsatz machen kann. Das ist ja vorbei, wenn ich zahlen will. Also muss sie uns keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Glaubt sie. Anscheinend.

Und wieder ist das eine lokale Optimierung. Die Bedienung denkt nur für den Moment. In dem hat sie soviel Umsatz gemacht, wie sie kann. Weiteren Aufwand in uns zu investieren, könnte bedeuten, andere Gäste, die noch länger bleiben wollen, zu vernachlässigen.

Wenn sie allerdings über den Moment hinaus blickte, würde sie erkennen, dass selbst eine zügige Abwicklung des Bezahlens vorteilhaft für das Geschäft sein kann. Erstens wäre der Tisch wieder frei für neue Gäste. Zweitens – und viel wichtiger – wären wir rundum zufrieden, würden das Restaurant in guter Erinnerung behalten, keinen solchen Blogeintrag schreiben und schließlich gern wiederkommen.

 

imageNeulich beim Arzt:Ich rufe an, um einen Termin zu bekommen. Aber ich komme nur in die Warteschleife und am Ende nur zum Anrufbeantworter. Das mache ich zwei Mal ohne Nachricht - und wünsche mir beim dritten Mal doch einen Rückruf.

Man ruft zurück, erreicht mich aber gerade nicht. Also wähle ich wieder den Arzt an – und komme in die Warteschleife und bitte wieder um um Rückruf. Denn asynchron kann man mit Arztpraxen keinen Termin abmachen. Die bieten kein Tool auf ihrer Homepage dafür an und wenn ich ihnen einen Doodle-Link schicken würde, schlügen sie die Hände über dem Kopf zusammen. Nein, nein, dass der Patient Terminvorschläge macht, das geht ja gar nicht.

Warum ist das aber so? Dass ich nicht sofort drankomme, wenn ich einfach so in der Praxis auftauche, verstehe ich ja. Aber für einen Termin, dessen Länge ja keiner abschätzen kann und der kaum anders geplant würde, egal, was ich am Telefon sage, für einen solchen Termin, der allen Beteiligten Planungssicherheit gibt, muss ich nun großen Aufwand treiben. Wieder bin ich als Servicenehmer unzufrieden.

Dabei ist das doch ein uraltes Problem. Ärzte können ja nicht überrascht sein von Patientenanfragen. Und auch ihr Fließbandbusiness überrascht nicht einmal mehr mich. Warum ist da die Terminierung so schwierig? (Dass ich dann selbst mit Termin allermeistens immer noch 20-40 Minuten warten muss, will ich hier gar nicht anbringen.)

Wieder ist eine lokale Optimierung im Spiel. Da bin ich mir sicher. Diesmal verstehe ich sie aber nicht. Denn gerade an einer Terminvereinbarung als Einstieg bzw. Fortführung einer Behandlung, also einer Reihe von Umsätzen, sollte den Arzt doch sehr interessieren. Sie könnte fast schon als seine Visitenkarte angesehen werden. (Naja, dazu müsste dann auch noch der Termin mit max. 5-10 Minuten Verzug verlässlich eingehalten werden. Aber ich will nicht zuviel auf einmal fordern.)

Optimieren da die Sprechstundenhilfe etwas für sich? Vermeiden Sie vielleicht Ärger jetzt, weil sie etwas am Tresen nicht tun, da sie am Telefon hängen, zugunsten von Ärger, den sie gar nicht zu spüren bekommen, weil ich genervt zu einem anderen Arzt gehe? Hm… ich weiß nicht.

Blind für den Servicenehmer

Drei ganz unterschiedliche Erlebnisse für mich als Servicenehmer. Aber drei ähnliche Ergebnisse: mein Durchfluss durch den Service stockt. Allerorten stecke ich im Warten: in der Warteschlange beim Hochseilgarten, im Warten auf die Abrechnung, in der Warteschleife am Telefon.

Für mich ist das nervig. Wie ist das jedoch für die jeweilige Organisation? Ist das aus ihrer Sicht ein bewusst hergestellter Zustand? Sie weiß, dass ich genervt bin, aber ihr ist das egal. Oder weiß sie es, aber es ist ihr nicht egal, doch sie hat keine Ahnung, wie sie es besser machen könnte? Oder weiß sie es nicht, doch wenn sie es wüsste, wäre es ihr nicht egal? Hm… keine Ahnung.

Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Denn was zählt ist, dass die Organisation existiert. Sie kann es sich offensichtlich leisten, dass ich genervt bin. Zumindest im Augenblick. Glaubt sie.

Warum es nicht besser wirdSie ist quasi sehbehindert, leidet darunter aber nicht. Denn sie zeigt mir nicht, dass sie meine Frustration wahrnimmt oder gar bedauert. Das erinnert mich an Rindenblindheit (Blindsight): Dabei ist der Patient blind, bemerkt es aber nicht unbedingt.

Qualität außerhalb des Zwecks

Ist solche “Sehbehinderung” kritikwürdig? Aus meiner ganz persönlichen Servicenehmersicht natürlich. Aber wenn ich mal einen Schritt zurücktrete, mal versuche die Situationen neutral zu sehen, nicht in Bezug auf mich zu werten… dann sehe ich Ursache und Wirkung.

Die Wirkung ist, dass Servicenehmer in Warteschlangen stecken. Und was ist die Ursache?

Ich glaube, der Grund für die Warteschlangen, die die Organisationen nicht zu bedauern scheinen, liegt im Zweck der Organisationen. Der ist so formuliert, dass Warteschlangen für Servicenehmer davon keine Abweichung darstellen. Die Warteschlangen sind unterhalb des Radars des Organisationszwecks.

Beispiel Hochseilgarten:

Wenn der Zweck des Hochseilgartens wäre “Menschen ein naturnahes Hochseilgarten-Erlebnis bieten, bei dem sie sicher selbstbestimmt vorankommen”, dann wären die Warteschlangen auf dem Radar. Denn zu einem selbstbestimmten Vorankommen gehört nicht nur, dass ich entsprechend meinem Selbstvertrauen Stationen durchlaufe, sondern auch dass ich nicht in Warteschlangen gezwungen werde.

So ist der Zweck aber bestimmt nicht definiert. Stattdessen – da bin ich mir sicher – steckt im Zweck das Geldverdienen drin. Er lautet also vielleicht “Heute Geld verdienen mit einem Hochseilgarten-Erlebnis”.

Ganz bewusst habe ich aus dieser Zweckdefinition sogar die Sicherheit rausgelassen. Denn die muss nicht drin stehen, wenn das Geld darin vorkommt. Sie ergibt sich sozusagen, weil es mit dem Geldverdienen schnell vorbei sein kann, sobald die Sicherheit nicht berücksichtigt wird.

Der Unterschied zwischen den beiden Zwecken liegt also darin, dass der eine Qualitätsmerkmale enthält und der andere nicht.

Ich glaube, die Warteschlangen sind eine Folge dessen, dass die Organisationen in ihrem Zweck mehr auf Funktionalität und aufs Geld achten, als auf Qualität. Qualität ist sozusagen nur ein notwendiges Übel, damit über die Funktionalität das ersehnte Geld reinkommt. Solange das passiert, ist die Qualität egal. Um die kümmert man sich erst wieder, wenn es beim Geld stockt.

Das ist ein legitimer Ansatz. Vielleicht ist das auch ein ökonomisch sinnvoller, zumindest verständlicher Ansatz. Kurzfristig allemal.

Mich als Servicenehmer befriedigt er allerdings nicht.

Zweck braucht Werte

Wenn meine Diagnose in die richtige Richtung gehen sollte, dann finde ich das zunächst persönlich frustrierend. Darüber hinaus glaube ich aber auch, dass sich Unternehmen keinen Gefallen tun, wenn Sie Ihren Zweck ohne Qualitätsansprüche formulieren. Und sogar, wenn zu diesen Qualitäten nicht “flüssige und verlässliche Beantwortung der Servicenachfrage” gehört.

Früher, ja, früher mag es ohne gegangen sein. Da herrschte Mangel allerorten. Jeder war froh, wenn er als Servicenehmer überhaupt irgendwie und irgendwann bedient wurde. Der Kunde war Bittsteller. Nicht anders ist es ja zu erklären, dass er heute als König ausgerufen wird. Diese krasse Bewertung macht nur Sinn als Gegenentwurf zu einem vormalig konträren Zustand.

Es ist so ähnlich wie bei der Post: Früher hieß es beim Telefon “Fasse dich kurz!”, dann hieß es “Ruf mal wieder an!” Mal steckte der Mangel in der Infrastruktur, dann in der Zahl der Servicenehmer.

Irgendwo ist also immer Mangel. Früher bei den Angeboten. Aus der Zeit stammen die husch-husch formulierten Zwecke vieler Unternehmen. Doch heute ist der Mangel eben nicht mehr bei den Angeboten, sondern bei den Kunden. Die vielen, vielen Angebote dürstet es nach den knappen Kunden.

Kein Angebot kann sich damit mehr sicher sein, dass es nachhaltig ein Bedürfnis erfüllt. Es mag heute ein Bedürfnis erfüllen – doch was ist morgen? Da hat das Bedürfnis des Publikums womöglich schon wieder gewechselt.

Es gibt inzwischen viele Hochseilgärten selbst in/um Hamburg, es gibt schon lange Unmengen an Restaurants und auch Ärzte gibt es genügend in Hamburg. Keines der Unternehmen kann es sich also eigentlich erlauben, die Qualität nicht im Zweck festgeschrieben zu haben. Und damit meine ich nicht nur die essenzielle Qualität in Bezug auf das Produkt – hohe Plattformen und sicherer Parcours beim Hochseilgarten oder moderne Diagnose und Therapie beim Arzt –, sondern auch die “ambiente” Qualität, das Drumherum.

Zu den ambienten Qualitäten gehören dann aber nicht nur schicke Praxisräume oder freundliche Kellner, sondern eben auch… Flüssigkeit in der Bedienung meiner Nachfrage. Denn Flüssigkeit schont die ultimativ knappe Ressource der Kunden.

Die Zukunft gehört der Zeit

Warum es nicht besser wirdPlatte Befriedigung ist out. Fundamentale Löcher müssen nicht mehr gestopft werden. Seit wir aus dem Mangel heraus sind, geht es um etwas anderes. Als Kunden müssen wir nicht mehr um wenige Angebote kämpfen. Umgekehrt können sich die vielen Angebote nicht mehr wie Herrschaften den Kunden gegenüber verhalten.

Wer heute Kundschaft nicht nur anziehen, sondern auch halten will, der muss ihr daher mit Respekt begegnen. Dazu gehört für mich im Kern die Rücksicht auf das wertvollste, das Kunden haben: Zeit.

“Zeit ist Geld” ist der Leitspruch von Generation von Unternehmern. Die Frage ist heute allerdings, wessen Zeit damit gemeint ist. Bisher war es die der Unternehmen. Ich glaube aber, dass es in Zukunft die der Kunden sein sollte.

Unter genügend ähnlichen guten Angeboten gewinnt das, welches mit meiner Zeit als Servicenehmer am respektvollsten umgeht. An der Zeit hängen meine Aufmerksamkeit und mein Geld.

Wer mir das Gefühl vermittelt, insgesamt “eine gute Zeit” während der Nutzung seiner Angebote zu haben, der gewinnt.

Der Umgang mit der Zeit des Kunden gehört damit für mich ausdrücklich in den Zweck jedes Unternehmens. Solange das nicht der Fall ist, wird es nicht besser in den genannten Fällen.

Aber wenn er da angekommen ist, dann verschwinden die Warteschlangen beim Hochseilgarten, im Restaurant und beim Arzt. Und wenn sie nicht verschwinden sollten, dann wird zumindest mit mir als Kunde anders in Bezug darauf umgegangen.

Vielleicht finde ich die Warteschlange beim Hochseilgarten – falls sie wirklich, wirklich nicht zu vermeiden sind - ja gar nicht mehr so schlimm, wenn man mich währenddessen zu einem Kaffee einlädt? :-)

 

PS: Was das für die Softwarebranche bedeutet sollte klar sein. Nicht nur Performance und Skalierbarkeit der Software sind wichtig. Es gilt vielmehr, schlechte Usability und die vielen Gründe für Supportanrufe auch als Zeitfresser zu erkennen.

Jede Entscheidung der Entwicklung, die Kunde oder Anwender Zeit kostet, widerspricht einem Unternehmenszweck, der sich respektvollen Umgang mit der Zeit seiner Servicenehmer auf die Fahne geschrieben hat.


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