Warum es den Prozess Kachelmann niemals hätte geben dürfen oder “Auch weise Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe konnten das Schlimmste nicht verhindern”

Warum es den Prozess Kachelmann niemals hätte geben dürfen oder “Auch weise Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe konnten das Schlimmste nicht verhindern”

© Stefan Scherer

Der Fall des Wettermoderators Jörg Kachelmann, der der Vergewaltigung seiner ehemaligen Freundin bezichtigt und am 31.05.2011 nach einem quälend langen Prozess freigesprochen wurde, dürfte einer der spektakulärsten Strafprozesse der letzten Jahre in Deutschland gewesen sein.

Wurden schon die Ermittlungen gegen ihn zu einem mehr als öffentlich ausgetragenen Ereignis, so war der Pressehype während des Prozesses kaum noch zu überbieten.

Und auch jetzt – knapp 1 1/2 Jahre nach der Rechtskraft des Urteils – findet der Strafprozess in Zeitschriften und Talkshows seine Fortsetzung, nicht zuletzt deswegen, weil Jörg Kachelmann inzwischen juristisch zum Gegenschlag übergegangen ist und mindestens zivilrechtliche Ansprüche gegen die Anzeigeerstatterin geltend macht.

Aber damit nicht genug: Jörg Kachelmann und seine Ehefrau Miriam haben inzwischen auch ihr lange angekündigtes Buch „Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz“ veröffentlicht – welches sofort nicht nur medial, sondern auch juristisch ins Kreuzfeuer geriet: die dort mit ihrem vollen Namen genannte ehemalige Nebenklägerin stoppte umgehend, aber nur kurzfristig die Auslieferung der ungeschwärzten Ausgabe auf juristischem Wege – und verlor dann im einstweiligen Rechtsschutz, sodass derzeit Herr Kachelmann sie nicht nur bei ihrem vollem Namen nennen, sondern auch weitere durchaus pointierte Aussagen über sie treffen darf, was den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen vor, nach und anlässlich des Prozesses betrifft.

Doch selbst nach der Lektüre des Buches von Miriam und Jörg Kachelmann bleiben viele Fragen offen, denn weiterhin hat die Öffentlichkeit keine Möglichkeit, sich ein tatsächlich eigenes und insbesondere vollständiges Bild des Strafprozesses vor dem Landgericht Mannheim zu machen – und auch nicht über den Verfahrensverlauf, der letztendlich zur Eröffnung des Hauptverfahrens geführt hat.

Allerdings stellen Miriam und Jörg Kachelmann in „Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz“ ein zentrales Dokument des gesamten Verfahrens zumindest überwiegend der öffentlichen Prüfung und Diskussion zur Verfügung: den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. Juli 2010 (Az. 3 Ws 225/10), auf dessen Grundlage der Wettermoderator aus der Untersuchungshaft entlassen wurde.

Tatsächlich dürfte es sich dabei um das inhaltliche Kernstück auch des späteren Prozesses handeln, denn nach diesem Beschluss war für das Landgericht Mannheim der Weg zu einer Verurteilung des zum Zeitpunkt des Erlasses schon vorschnell zum Angeklagten mutierten Jörg Kachelmann mehr als weit geworden. Gerade deswegen lohnt sich nach meiner Einschätzung eine umfassendere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Karlsruher Senats – auch im Lichte des in seiner Begründung bis zum heutigen Tage komplett unter Verschluss gehaltenen freisprechenden Urteils in schriftlicher Form, welches letztendlich auch keine anderen tragenden Erwägungen enthalten dürfte als der Beschluss des OLG Karlsruhe, denn nach allen bisherigen Erkenntnissen wurden in den vielen Verhandlungstagen in Mannheim keine relevanten neuen Tatsachen gefunden.

Allerdings ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe im Buch von Miriam und Jörg Kachelmann leider nur auszugsweise veröffentlicht. Und dies leistet natürlich Spekulationen Vorschub, hier werde einseitig Meinung gemacht, indem der Beschluss des OLG durch geschickte Kürzungen in eine bestimmte Richtung uminterpretiert werde.

Diesen Spekulationen kann auch ich zu meinem Bedauern nicht wirksam entgegen treten, denn selbst auf erneute aktuelle Nachfrage zur Veröffentlichung des vollständigen Beschlusses war es mir nicht möglich, eine solche vollständige Ausgabe des Beschlusses zu erhalten. Dementsprechend bleibt mir also nichts Anderes übrig, als die gekürzte Veröffentlichung dem nachfolgenden Text zugrunde zu legen. Den Restverdacht, hier werde ein Beschluss einseitig instrumentalisiert, müssen Andere entkräften.

Aber gewinnen wir zunächst ein besseres Verständnis für das Verfahren in Mannheim und Karlsruhe und schauen uns in groben Zügen den Verlauf des Prozesses selbst an – und nähern uns der Entscheidung des OLG Karlsruhe dadurch, dass wir uns noch einmal mit dem Landgericht Mannheim und seiner Prozessführung beschäftigen.

Das Landgericht Mannheim und seine Pressemitteilung zum Urteil

Am 31.05.2011 wurde der Wettermoderator Jörg Kachelmann durch das Landgericht Mannheim vom Vorwurf der besonders schweren Vergewaltigung seiner ehemaligen Freundin freigesprochen. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Damit gilt Herr Kachelmann ausdrücklich als unschuldig – doch leider wird dies von einem Teil der öffentlichen Meinung weiterhin negiert: immer wieder wird der Freigesprochene in die Nähe eines Täters gerückt, es wird weiterhin über ihn und sein Leben spekuliert und ihm übel nachgeredet.

Natürlich besteht nach einem Strafprozess immer die Gefahr, dass interessierte Kreise – sei es aus Berechnung und Schädigungsabsicht, sei es aus Dummheit und Sensationsgier – weiterhin Zweifel an der Unschuld eines Freigesprochenen haben, denn naturgemäss bereitet es jedem Menschen grosse Schwierigkeiten, zweifelsfrei und unwiderleglich auch für den schlimmsten Hetzer im Internet nachzuweisen, dass man etwas nicht getan hat, dass man eben nicht Täter einer Straftat ist; doch so einfach liegt der Sachverhalt hier leider nicht:

Denn Vieles wurde über die kaum zu vermeidenden üble Nachrede eigentlich unbeteiligter Dritter hinaus unternommen, um auch nach dem Freispruch des Jörg Kachelmann die Zweifel an seiner Unschuld zu nähren, was wir exemplarisch an der unsäglichen mündlichen Urteilsbegründung des Vorsitzenden des Landgerichts sehen werden – einer Urteilsbegründung, die diesen Namen eigentlich nicht verdient.

Diese Entwicklung ist nicht nur für den ehemaligen Angeklagten äusserst negativ, sie gefährdet auch die Grundlagen unserer Rechtsordnung, in diesem Fall speziell diejenige, nach der ein rechtskräftig Freigesprochener ein Recht darauf hat, auch als ein solcher wahrgenommen zu werden.

Einen Grossteil der Schuld für diese Beschädigung der Unschuldsvermutung und damit eines zentralen Prinzips des Rechtsstaates muss man nach meiner Auffassung zunächst leider der Staatsanwaltschaft Mannheim und sodann dem Landgericht Mannheim selbst zuweisen.

Schon im Ermittlungsverfahren und direkt nach Inhaftierung des nunmehr umfänglich Freigesprochenen äusserten sich die Staatsanwälte sehr offensiv zu den bestehenden Vorwürfen – und ausgewählte Medien erhielten anscheinend tiefen Einblick in die Ermittlungsakten, den sie nicht für, sondern praktisch durchgehend gegen Jörg Kachelmann einsetzten; dabei ist bis zum heutigen Tage ungeklärt, wer ihnen diese vermeintlich intensive Aktenkenntnis verschaffte – allerdings gibt es ebenfalls bis heute keine Hinweise auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, wer die dortigen Akten weitergegeben hat.

Es drängt sich dementsprechend förmlich eine Frage auf: sollte tatsächlich eine deutsche Ermittlungsbehörde in unserem Rechtsstaat kein Interesse daran haben, zu erfahren und zu ermitteln, wer im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahren ihre Akten an Dritte, insbesondere die Presse, „durchgesteckt“ hat? Man kann und darf dies eigentlich nicht glauben, und doch ist der derzeit bekannte Sachstand zu diesem Thema schon sehr bemerkenswert.

Im Verfahren selbst war es immer wieder die Staatsanwaltschaft, die durchaus subjektive Mitteilungen über den Verfahrensstand abgab – und das Gericht führte einen grossen Teil des Verfahrens nichtöffentlich, sodass eine ab- und ausgewogene Berichterstattung nicht möglich war.

Legendär ist in diesem Zusammenhang die in Bild und Ton dokumentierte Stellungnahme des Sprechers der Staatsanwaltschaft Mannheim, der von Blut- und DNA-Spuren am angeblichen Tatmesser sprach – wir vermuten inzwischen aufgrund sehr vieler Einzelheiten, dass es einen Nachweis solcher Spuren niemals gegeben hat, und wir dürfen aufgrund aller bekannten Fakten annehmen, dass dies zum Zeitpunkt dieser Aussage auch schon zumindest teilweise aktenkundig war. Trotzdem hält sich dieses Gerücht hartnäckig bis zum heutigen Tage – und die Staatsanwaltschaft Mannheim unternimmt ebenfalls bis zum heutigen Tage nichts, um diesem Gerücht entgegen zu treten – oder den Wahrheitsbeweis ihrer damaligen Behauptungen auch gegenüber der Öffentlichkeit anzutreten.

Das Gerichtsverfahren selber zog sich dann quälend lange hin – erst nach 45 Verhandlungstagen, die sich auf viele Monate verteilten, war es beendet. Während dieser vielen Monate ging es nicht nur Fachleuten, sondern auch der Öffentlichkeit so, dass sie keine rationalen Gründe für den Verhandlungsverlauf fand.

Denn zunächst hatte jeder erwartet, dass nach der Verlesung der Anklage und der Vernehmung des Angeklagten (durch Verlesung seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren) die Aufklärung der angeblichen Tat im Fokus des Gerichts stände – und damit zwingend die Vernehmung der Nebenklägerin, lag doch hier eine typische „Aussage-gegen-Aussage“-Situation vor, deren Prüfung in einem Strafverfahren durchaus festgelegten Regeln folgt. Aber weit gefehlt, erst am 9. Verhandlungstag trat die Anzeigeerstatterin und Nebenklägerin, die die Boulevardpresse längst zum einzig wahren Opfer hochstylisiert hatte, in den Zeugenstand – nicht, ohne zunächst medial ihren grossen Auftritt zu haben und nachdem vorher zB. ihre Eltern befragt worden waren (wozu auch immer) und auch die erste ehemalige Freundin des Angeklagten, womit der Reigen der „luusmeitli“ (der kolportierte Kosename des Angeklagten für seine diversen Freundinnen) seinen verhängnisvollen Beginn nahm.

Nach der Vernehmung der Anzeigeerstatterin ging es dann allerdings erst so richtig los mit der Vernehmung der diversen Frauenbekanntschaften des Angeklagten: eine Försterin, die ihre Story schon vorab exklusiv an eine Boulevardzeitung verkauft hatte, eine Weltmeisterin im Luftgitarrespielen, Exfreundinnen des Herrn Kachelmann, die Vernehmungen sozusagen „im Dutzend billiger“ – erst nach langen Wochen, nämlich am 20. Verhandlungstag, kamen die ersten Gutachter zu Wort.

Aber auch dort erlebte der Prozess eigenartige Auftritte, so zB. den des Therapeuten der Nebenklägerin, der nicht etwa – wie ein anderer und im übrigen hochdekorierter Universitätsprofessor mit internationalem Ruf, den das Gericht der Voreingenommenheit verdächtigte – als sachverständiger Zeuge vernommen wurde, sondern wohl  als Sachverständiger selbst.

Mit dessen Künsten war es dann allerdings recht schnell vorbei – jedenfalls im Bild der öffentlichen Meinung, denn spätestens als er behauptete, noch nach Wochen Angst riechen zu können – allerdings keine offensichtlichen Lügen der Nebenklägerin, wie wir später noch sehen werden – breitete sich nicht nur insgeheim im Mannheimer Gerichtssaal, sondern auch in der öffentlichen Meinung Unverständnis darüber aus, wer so Alles durch das Gericht in Mannheim ein Podium für seine Darstellung erhielt.

Daneben blieb auch Anderes in diesem Prozess äusserst nebulös, denn bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verwies das Gericht die Öffentlichkeit des Saales – und überliess damit den Kaffeesatzlesern der Presse und den reichlich Interviews gebenden Prozessbeteiligten die Meinungshoheit: kein objektives Bild der Verhandlung konnte sich ergeben, sondern ein verzerrtes aufgrund einseitig gefärbter Propagandamitteilungen durchaus beider Seiten zur gefälligen Missdeutung durch die sensationsheischende Presse war die äusserst missliche Folge.

Ein Beispiel gefällig? Nach dem 13. Verhandlungstag wurde die Vernehmung der Nebenklägerin abgeschlossen, der Rechtsanwalt des Angeklagten zeigte sich zufrieden und der Rehabilitierung seines Mandantens ein gutes Stück näher, doch der stets nach Möglichkeiten zur Abgabe von Statements suchende junge Staatsanwalt Lars Torben O. hielt dies in einer im scharfen Diskant vorgetragenen Presseerklärung für Wunschdenken… ja, was denn nun?

Nicht zuletzt aufgrund des reichlich unkonventionellen Prozessverlaufs (drücken wir es mal so beschönigend-charmant für das Gericht in Mannheim aus) festigte sich in der Öffentlichkeit bis zum Tage des Urteils der Eindruck, der Prozess stehe auf der Kippe – und so nahm man den Freispruch auf, als sei Jörg Kachelmann „gerade noch einmal davongekommen“: manche Kommentatoren verstiegen sich sogar zu der Einschätzung, es handele sich bei dem Urteil um einen „Freispruch zweiter Klasse“ – und nährten damit in einigen Gazetten und in diversen Internetforen die Legendenbildung, eigentlich sei der Angeklagte ja doch schuldig, nur wahlweise der verlotterten Rechtsordnung oder seinen hinterlistigen und für viel Geld ihre Moral an der Garderobe abgebenden Verteidigern habe es er zu verdanken, den Gerichtssaal als freier Mann verlassen zu dürfen – die arme Nebenklägerin aber bleibe als vermeintliches Opfer auf der Strecke.

Ob absichtlich oder nicht, der Vorsitzende der zuständigen 5. Kammer des Landgerichts Mannheim, Herr VRiLG Michael Seidling, verstärkte diesen fatalen Eindruck noch erheblich mit seiner mündlichen Urteilsbegründung – und ist damit bis heute der Kronzeuge der Hetze gegen Jörg Kachelmann; dies wird sicherluch nicht sein Ziel gewesen sein, aber es ist nun einmal das beklagenswerte Ergebnis seiner Ausführungen.

Die auf dieser unsäglichen mündlichen Urteilsbegründung des Vorsitzenden beruhende Presseerklärung des Landgerichts Mannheim vom 31.05.2011 ist dabei ein Lehrstück, wie man es nach dem Freispruch eines Angeklagtens seitens des Gerichts gerade nicht machen sollte, wenn man die für den ehemaligen Angeklagten streitende Unschuldsvermutung respektieren und nicht mit Füßen treten will.

Leider strotzt diese “Urteilsbegründung” nur so vor Selbstverteidigung des Gerichts und Fremdverteidigung sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Nebenklägerin, sie ergeht sich in persönlichen Angriffen gegen die Verteidigung und den Angeklagten, sie verteidigt eine Meinungsfreiheit, die das Gericht im Laufe des Prozesses selber in eklatanter Weise eingeschränkt hat – und sie erteilt abschliessend oberlehrerhaft Ratschläge an Alle und Jeden, Ratschläge, die einem Gericht nach einem solch fatalen und weitgehend selbst verschuldeten Prozessverlauf eigentlich nicht mehr zustehen.

Aber lesen Sie selbst:

Pressemitteilung vom 31.05.2011 – Freispruch für Jörg Kachelmann -

Datum:  31.05.2011

Kurzbeschreibung: Freispruch für Jörg Kachelmann

I. Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat den Angeklagten Jörg Kachelmann heute vom Vorwurf der schweren Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. 

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen. Die Höhe der Kosten und der notwendigen Auslagen werden im Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Angaben dazu sind im Urteilstenor nicht erforderlich.

Des weiteren wurde dem Grunde nach die Entscheidung getroffen, dass der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft sowie für die aus den sonstigen Zwangsmaßnahmen (Durchsuchungen, Beschlagnahme) entstandenen Schäden zu entschädigen ist.

II. Der Vorsitzende hat zu Beginn seiner rund einstündigen Urteilsbegründung auf folgendes hingewiesen:

„Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen.“

Er hat im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung zunächst Stellung zu den Angriffen gegen das Gericht und die Staatsanwaltschaft genommen: 

„Der Kammer zu unterstellen, sie sei nicht bestrebt, die Wahrheit herauszufinden und sie stattdessen mit dem Vorwurf zu überziehen, sie verhandele, bis etwas Belastendes herauskomme, ist schlicht abwegig. Im Ergebnis wird damit meinen Kollegen und mir jegliche Professionalität und jegliches Berufsethos abgesprochen. Es bleibt der ungerechtfertigte, dem Ansehen der Justiz schadende Vorwurf im Raum stehen, Richter seien bei Prominenten bereit, zu deren Lasten Objektivität, richterliche Sorgfalt und Gesetze außeracht zu lassen. 

Gleiches gilt im übrigen für die Staatsanwälte. Gerade der vorliegende Fall steht in seiner Komplexität exemplarisch dafür, dass mit vertretbaren Erwägungen unterschiedliche Sichtweisen denkbar sind. Den Vertretern der Staatsanwaltschaft deshalb pflicht- bzw. gesetzeswidriges Verhalten zu unterstellen, ist eines Strafprozesses unwürdig. Die – wenn auch hart geführte – Auseinandersetzung in der Sache setzt immer auch den respektvollen Umgang miteinander voraus. Diesen hat der Verteidiger des Angeklagten häufig vermissen lassen. 

Dass angesichts der Verdachtslage ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, Anklage zu erheben und das Hauptverfahren zu eröffnen war, ist bei objektiver Betrachtung der gesamten Aktenlage – und nur auf die kommt es bei den vorgenannten Entscheidungen an – nicht zu bezweifeln. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe hat dies nicht anders gesehen.“ 

Der Vorsitzende hat vor allem auch die Rolle des Internets und der Medien kritisch beleuchtet: 

„Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber auch sie kennt Grenzen. Diese Grenzen existieren offensichtlich im Internet nicht. 

Vorwiegend hinter der Fassade der Anonymität wurden im Verlauf des Verfahrens in den Meinungsforen, Blogs und Kommentaren im Internet die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, der Nebenklägerin, aber auch des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten immer wieder mit Füßen getreten, ohne dass die Möglichkeit bestanden hätte, sich dagegen in irgendeiner Weise effektiv zur Wehr zu setzen. 

Auch angeblich Sachkundige konnten nicht der Versuchung widerstehen, ohne Aktenkenntnis und ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben, häufig aber auf der Grundlage unvollständiger und fehlerhafter Medienberichte per Ferndiagnose ihre persönliche Meinung zum Besten zu geben, die in der Regel nichts mit sachlicher Kritik zu tun hatte, sondern häufig nur Klischees bediente.

Die Pressefreiheit zählt wie die Meinungsfreiheit zu den elementaren Grundrechten. Die Gerichte haben bei ihrer Tätigkeit die Pressefreiheit zu respektieren und den Medien eine angemessene Berichterstattung über das Verfahren zu ermöglichen. Gerichte müssen und sollen damit leben, dass sie durch die Medien öffentlicher Kontrolle unterliegen. 

Umgekehrt aber ist es Aufgabe der Presse, vollständig und sachlich zu berichten, dem Leser damit die Möglichkeit zu geben, sich unvoreingenommen eine Meinung zu bilden und dabei die Würde des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten zu achten. 

Statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren prägten vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung. Diese mögen zwar als Garant für Schlagzeilen und Verkaufszahlen dienen; der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sind sie jedoch in hohem Maße abträglich. Sie erzeugen Stimmungen, wo Sachlichkeit gefragt ist; letztlich vertiefen sie den mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbundenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der Nebenklägerin in nicht gerechtfertigter Weise. Vor allem aber erschweren sie die Akzeptanz eines Richterspruchs in der Öffentlichkeit und schaden damit dem Ansehen der Justiz. 

Mit Befremden hat die Kammer die Aufrufe an die Bevölkerung registriert, im Wege der Abstimmung über Schuld und Unschuld des Angeklagten zu entscheiden. Damit verkommt das Gerichtsverfahren nicht nur zu einem reinen Event; vielmehr werden Entscheidungen von Gerichten, denen nicht selten eine hochkomplizierte Entscheidungsfindung vorausgeht, in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Merkmal der Beliebigkeit behaftet. Dass auch dadurch dem Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit massiver Schaden zugefügt wird, liegt auf der Hand. 

Mit öffentlicher Kontrolle der Gerichte durch die Medien hat diese Form der Medienarbeit nichts zu tun.

Der Kammer ist bewusst, dass die Arbeit der Medien im vorliegenden Verfahren unter erschwerten Bedingungen stattfand. Durch den wiederholten Ausschluss der Öffentlichkeit war es den Medienvertretern nicht möglich, sich ein vollständiges Bild vom Ablauf und Inhalt der Hauptverhandlung zu machen. 

Dies hätte jedoch umso mehr Anlass zur Zurückhaltung bei der Berichterstattung sein müssen. Die Kammer hätte vor allem in diesem Zusammenhang von Seiten der Medien mehr Verständnis für die Belange des Strafprozesses erwartet. 

Das Gericht ist bei der Durchführung der Hauptverhandlung in erster Linie der Wahrheitsfindung verpflichtet. Dabei sind nicht nur die in der Strafprozessordnung vorgegebenen Regeln einzuhalten; die Gerichte, denen von Gesetzes wegen erhebliche Eingriffsbefugnisse zustehen, haben vor allem darauf zu achten, dass die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der Zeugen nicht mehr als zur Wahrheitsfindung erforderlich eingeschränkt werden. 

Ob einer Hauptverhandlung für die breite Öffentlichkeit ein ausreichender Unterhaltungswert zukommt, ist für die Beurteilung der Schuldfrage und damit für die Gestaltung der Hauptverhandlung ohne Belang. Das Gericht ist bei der Durchführung der Hauptverhandlung nicht der Befriedigung des Sensations- und Unterhaltungsinteresses verpflichtet.

Die medienwirksam vorgetragene Kritik des Verteidigers am Ausschluss der Öffentlichkeit ließ vordergründig den Eindruck entstehen, die Kammer habe bis zu seinem Auftreten ohne sachliche Rechtfertigung die Öffentlichkeit in exzessiver Weise ausgeschlossen. Dass sich drei Zeuginnen durch Interviews ihrer Persönlichkeitsrechte – jedenfalls teilweise – begeben hatten, verstärkte diesen Eindruck. 

Ohne Zweifel haben diese drei Zeuginnen und die entsprechenden Medien durch ihr Verhalten dem Ablauf der Hauptverhandlung geschadet. 

Abgesehen davon, dass die weit überwiegende Anzahl der unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommenen Zeuginnen keine Interviews gegeben und damit Anspruch auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte hatten, geht die Kammer nicht davon aus, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger ernsthaft gewollt hätten, dass das Beziehungs- und Intimleben des Angeklagten der Allgemeinheit in allen Einzelheiten durch eine Vernehmung der Zeuginnen in öffentlicher Verhandlung zugänglich gemacht worden wäre. Im Ergebnis steht deshalb außer Frage, dass der wiederholte Ausschluss der Öffentlichkeit sachlich gerechtfertigt war. Er diente allein dazu, die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, auch die des Angeklagten zu wahren und die Wahrheitsfindung in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen.

Auf der anderen Seite hat die Kammer aber auch gesehen, dass einige Medienvertreter – wenn auch eher eine überschaubare Anzahl – durchaus sachgerecht und ausgewogen über das Verfahren berichtet haben. 

Bei allem Verständnis für die Belange der Medienarbeit erhofft sich das Gericht, dass die Medien künftig wieder mehr Verständnis für das vorrangige Interesse der Justiz an der ordnungsgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens entwickeln. 

Das vorliegende Verfahren sollte Anlass dazu sein, eine sachgerechte Diskussion auch unter Beteiligung der Justiz in Gang zu setzen, um zu verhindern, dass ohne Not unüberbrückbare Gegensätze entstehen.“ 

Im Rahmen der Urteilsbegründung im engeren Sinn hat der Vorsitzende die Komplexität der Beweislage, aber auch das Erfordernis der umfangreichen Beweisaufnahme betont und darauf hingewiesen, dass gerade die Plädoyers der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidigerin dies eindrucksvoll belegt hätten.

Er führte aus, dass der Schuldspruch auf einer tragfähigen Beweisgrundlage aufbauen muss, die die hohe Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Beweisergebnisses ergibt.

Er wies daraufhin, dass nicht nur die Nebenklägerin, sondern auch der Angeklagte nach Überzeugung der Kammer in einigen Punkten die Unwahrheit gesagt haben. Er hob jedoch in diesem Zusammenhang hervor:

„Dass sie in einzelnen Punkten die Unwahrheit gesagt haben, macht sie unter Berücksichtigung der weiteren Beweisergebnisse angreifbar; dass sie deshalb insgesamt die Unwahrheit gesagt haben, lässt sich mit dieser Feststellung nicht belegen.“ 

In diesem Zusammenhang verwies er auf die Ausführungen in einem juristischen Lehrbuch, in dem sich bezogen auf das Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht“ folgender Hinweis findet:

„Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, stets anzunehmen, dass jemand der in einem Nebenpunkt lügt, auch im Kernpunkt die Unwahrheit sage.“

Im Verlauf der weiteren Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende:

„Angesichts des Umstandes widersprechender Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie angesichts der Feststellungen, dass beide in Teilbereichen nachweisbar die Unwahrheit gesagt haben, stellt sich die Frage, ob durch außerhalb der Aussagen liegende Beweise begründete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Schilderung der Ereignisse nach dem Ende des Trennungsgesprächs gefunden werden können. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass keiner der außerhalb der Aussagen liegenden Beweise für sich gesehen geeignet ist, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen. 

Es ist vielmehr festzuhalten, dass die objektive Beweiskette in die eine wie in die andere Richtung immer wieder abreißt. Die unzureichende objektive Beweislage lässt sich auch durch die von dem Vertreter der Nebenklage in seinem Plädoyer aufgeworfenen Sinnfragen nicht auffüllen. Diese zu Recht in den Raum gestellten Sinnfragen belegen zwar begründete Zweifel an einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin; die Zweifel an der Schuld des Angeklagten können sie jedoch nicht ausräumen.“

Der Vorsitzende ging anschließend auf einzelne Beweisergebnisse näher ein, die Staatsanwaltschaft und Verteidigung unterschiedlich gedeutet hatten.

Abschließend führte er zum Ergebnis der Beweisaufnahme aus, dass auch in der Gesamtschau der Beweisergebnisse keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung von Herrn Kachelmann bestehe, dass aber umgekehrt angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht von einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin ausgegangen werden könne.

Zum Schluss wandte sich der Vorsitzende mit einem persönlichen Wort der Kammer an die Verfahrensbeteiligten, die Prozessbeobachter und die Vertreter der Medien:

„Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung verspüren wir dadurch jedoch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin aber auch mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht geworden zu sein.

Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Frau X. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war. 

Versuchen Sie, sich künftig weniger von Emotionen leiten zu lassen. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und Frau X. und führen Sie sich dann vor Augen, was beide möglicherweise durchlitten haben. 

Nur dann haben Sie den Grundsatz „in dubio pro reo“ verstanden. Nur dann kennt der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner.“

III. Die Nebenklägerin und die Staatsanwaltschaft haben nun die Möglichkeit, das Urteil binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision anzufechten. Die Revision ist nach Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe binnen eines Monats nach Zustellung der Urteilsgründe schriftlich zu begründen. Über die Revision hätte der Bundesgerichtshof zu entscheiden.

Die Urteilsabsetzungsfrist beträgt von heute an gerechnet rund 3 ½ Monate.

Dr. Joachim Bock

VRLG und Pressereferent

Eine Einschätzung der mündlichen Urteilsbegründung

Man mag es zunächst als überflüssig ansehen, auf diese Vorneverteidigung des Gerichts einzugehen, die herzlich wenig mit einer überzeugenden mündlichen Begründung eines Freispruchs zu tun hat (und noch weniger mit der juristisch einzig relevanten schriftlichen Begründung des Urteils, die bis heute in Mannheim geheim gehalten wird), aber trotzdem seien ein paar Worte erwidert, um die zeitlich vorangehende, aber hier noch im Einzelnen darzustellende Entscheidung des OLG Karlsruhe (soweit dies möglich ist aufgrund des misslichen Umstandes, dass sie der Öffentlichkeit nur in gekürzter Form zugänglich ist) richtig einordnen zu können:

  • Es ist richtig, dass es die Aufgabe des Strafgerichts in Mannheim war, über die angebliche Täterschaft und die vermeintliche Schuld oder Unschuld des Jörg Kachelmann zu befinden – und nicht darüber, ob die Nebenklägerin eine Falschbeschuldigung begangen hat oder nicht. Dies bleibt (unter Umständen) einem anderen Gericht überlassen, vielleicht schon jetzt im Rahmen der zivilrechtlichen Auseinandersetzung vor dem Landgericht Frankfurt/Main, in der Jörg Kachelmann Schadensersatzansprüche gegen die Anzeigeerstatterin geltend macht. Wenn allerdings der Vorsitzende einer Strafkammer bei einem Landgericht seine mündliche Urteilsbegründung so einleitet, dann verurteilt er damit den Angeklagten trotz des Freispruchs im Blick der Öffentlichkeit, die er hiermit anspricht – und dies ist nach meiner Einschätzung unerträglich und ganz bestimmt kein Vorgang, der den Rechtsstaat zu einem Gewinner dieses Prozesses macht. Einem Vorsitzenden Richter an einem Landgericht muss doch bewusst sein, welche verheerenden Folgen eine solche mündliche Erklärung hat – schon allein deswegen, weil sie das Bild des Angeklagten in der Öffentlichkeit auch dann mehr prägen würde, wenn die schriftliche Urteilsbegründung nicht unter Verschluss gehalten würde.
  • Warum gerade dieser Prozess besonders kompliziert gewesen sein soll, erschließt sich weder mir noch anderen Prozessbeobachtern: ein Beziehungsstreit mit einer „Aussage-gegen-Aussage“-Situation ist nichts, was einem gestandenen Juristen (und noch weniger einem erfahrenen Strafrechtler) den Angstschweiss auf die Stirne treibt; es waren Gericht und Staatsanwaltschaft, die durch Ermittlungen in völlig abwegige Richtungen diesen Prozess undurchsichtig gemacht haben – und dadurch auch den Verdacht ausgelöst haben, man suche dringend nach belastenden Argumenten gegen den Angeklagten, notfalls eben auch in seinem Intimleben und seinen sexuellen Präferenzen, obwohl diese mit dem vermeintlichen Tatgeschehen nichts zu tun haben .
  • Und es waren diese abwegigen Ermittlungen in der Privatsphäre des Angeklagten, die den Medienhype ausdrücklich befördert haben. Diese waren nämlich interessant für den Boulevard und das Internet – „Sex sells“, eine Weisheit, die mal wieder auf traurige Weise bestätigt wurde, ganz besonders, wenn ein mutmasslicher Biedermann plötzlich zum Frauenheld mit diversen Liebschaften mutiert.
  • Transparenz in der Prozessführung wäre der Weg gewesen, Spekulationen über den Prozessverlauf zu begegnen, doch genau das Gegenteil geschah: je größer die Kritik nicht nur aus uninformierten oder sensationslüsternen, sondern eben auch aus Fachkreisen wurde, desto restriktiver wurde die Haltung der Mannheimer Kammer – und je größer wurde ihre Verfolgungssorge, bis hin zu der skurrilen Verhaftung eines Journalisten, der sich zufälligerweise unterhalb des Fensters befand, in dem sich die Berufsrichter zur Kaffeepause zurück gezogen hatten, und dem man unterstellte, er könne mit seinem Handy bzw. Diktiergerät wie ein Supermann durch Wände lauschen.
  • Dabei zeigt die Kritik an der Verteidigung, dass das Gericht wohl erhebliche Schwierigkeiten hatte, die Rolle einer Verteidigung in einem Strafprozess zu erkennen – übrigens kein Einzelfall, scheint es doch inzwischen in vielen Gerichten verpönt zu sein, mit den Verteidigern kollegial und respektvoll umzugehen, wenn diese nicht handzahm und kooperativ auftreten. Aber dies ist sicherlich ein weites Feld und soll hier nicht weiter erörtert werden.
  • Auch die Kritik an fachlich fundierten Stellungnahmen zum Prozess – wobei sich diese Kritik am Ende darauf reduzierte, ausser dem Gericht kenne ja niemand die Akten und könne deswegen nicht urteilen – greift mehr als nur zu kurz: es gibt Spielregeln in einem Strafprozess, es gibt ein vorgegebenes Procedere (wir werden das im Folgenden noch sehen), werden diese nicht eingehalten, dann ist das sehr wohl von aussen zu erkennen. Und es gibt Handlungen eines Gerichts, die eben leicht als abwegig zu kennzeichnen sind, insbesondere dann, wenn der Gang der Hauptverhandlung in einer solch eklatanten Weise von der verzweifelhaften Suche nach „schwarzen Flecken“ auf der Weste des Angeklagten geprägt ist wie diejenige in Mannheim. Aber Kritikfähigkeit an der eigenen Prozessführung scheint keine Stärke der in Mannheim im Prozess gegen Jörg Kachelmann tätigen Kammer zu sein.
  • Es ist schlimm, wenn ein Gericht in der mündlichen Begründung eines Freispruchs sowohl den soeben Freigesprochenen weiterhin als mutmaßlichen Täter darstellt als auch die Hauptbelastungszeugin als mutmaßliche Falschbeschuldigerin – egal, in welche verbrämenden Worte es diese Aussagen kleidet. Der Vorsitzende Richter Seidling überzog damit nicht nur weit die Grenzen des guten Geschmacks, sondern lieferte auch eine Steilvorlage, um die Hetze gegen die Prozeßbeteiligten weiter fortzusetzen.

Aber es bestand selbst nach dieser völlig verfehlten mündlichen Urteilsbegründung immer noch die Möglichkeit, der Sachlichkeit durch Transparenz wieder Raum zu geben; doch leider wurde auch diese Chance vertan, denn nun begann das Mauern der Justiz in Mannheim, man zog sich zurück in seine Wagenburg: das Landgericht lehnte erst mit Hinweis auf die noch nicht eingetretene Rechtskraft, dann unter Bezug auf die inzwischen eingetretene Unzuständigkeit eine Herausgabe der schriftlichen Urteilsgründe ab – und baute direkt schon mal vor: es könne durchaus sein, dass auch die nunmehr dafür zuständige Staatsanwaltschaft eine Herausgabe der Urteilsgründe mit Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte der Beteiligten ablehne, weil eine neutralisierte und anonymisierte Fassung nicht zu erstellen sei, denn sie sei nicht mehr aus sich heraus verständlich.

Prompt hüllte sich auch die Staatsanwaltschaft bezüglich des Urteils in Schweigen, und zwar bis zum heutigen Tage – man ist fast versucht, zu glauben, Mannheim wolle das Problem einfach aussitzen.

Dies ist umso bedauerlicher, als die mündliche Urteilsbegründung in der Form der Presseerklärung alles Mögliche enthält, nur eben keine juristisch nachvollziehbare Begründung des Freispruchs. Und so bleiben sicherlich nicht nur für mich eine Reihe von Fragen – und nur diejenigen, die am offensichtlichsten sind, seien hier aufgezählt:

  • Wieso verletzt die Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsgründe im Fall Kachelmann sozusagen automatisch Persönlichkeitsrechte?
  • Warum ist das anonymisierte und neutralisierte Urteil ohne solche Passagen, die die Verletzungen der Persönlichkeitsrechte implizieren würden, nicht mehr verständlich?
  • Liegt das Urteil tatsächlich so „außerhalb der Norm“?
  • Und wenn ja, liegt dies daran, weil ein leidlich Prominenter Angeklagter war?
  • Und wenn die Rechtsauffassung des Landgerichts Mannheim tatsächlich richtig wäre, wäre die Veröffentlichung von Urteilen im Bereich der Verbrechen überhaupt noch möglich?

Eine Reihe von Fragen, die Landgericht und Staatsanwaltschaft in Mannheim dringend beantworten sollten – aber nach meiner Einschätzung wohl nie beantworten werden.

Dabei kann man die Frage des überragenden Schutzes von Persönlichkeitsrechten durchaus unterschiedlich beurteilen: ich teile insoweit die Auffassung vieler Fachleute und vieler Gerichte, dass es bei der Veröffentlichung von Urteilen zunächst einmal um die Information der und die Kontrolle durch die Öffentlichkeit geht – und es geht auch um Rechtsfortbildung und Rechtsvergleichung.

Deswegen werden regelmäßig Entscheidungen aus dem Bereich des Strafrechts veröffentlicht, und nicht etwa nur durch die Staatsanwaltschaft, sondern auch durch die entscheidenden Gerichte selbst.

Insoweit geht es nämlich um die Grundfrage, warum sind (Straf-) Prozesse öffentlich, warum werden Urteile öffentlich verkündet und warum sind auch die Urteilsbegründungen öffentlich zugänglich?

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dazu schon sehr umfänglich geäussert (BVerwG, Urteil vom 26.02.97, Az.: BVerwG 6 C 3.96).

In dieser Entscheidung weist das BVerwG zunächst einmal darauf hin, dass allen Gerichten kraft Bundesverfassungsrechts die Aufgabe obliegt, die Entscheidungen ihrer Spruchkörper der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insoweit handelt es sich bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen um eine öffentliche Aufgabe.

Die Pflicht umfasst dabei alle Entscheidungen, an deren Veröffentlichung die Öffentlichkeit ein Interesse hat oder haben kann. Insoweit besteht sogar eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen.

Diese Pflicht folgt aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung: Gerichtliche Entscheidungen konkretisieren die Regelungen der Gesetze; auch bilden sie das Recht fort (vgl. auch § 132 Abs. 4 GVG). Schon von daher kommt der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine der Verkündung von Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung zu.

Und, wem dies noch zu abstrakt ist, dem führt das BVerwG vor Augen, warum solche Veröffentlichungen gerade für den Bürger von grosser Bedeutung sind: dieser muß zumal in einer zunehmend komplexer werdenden Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein.

Woraus wiederum das BVerwG sein Ergebnis zieht: Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist es dem Bürger nicht möglich, diese Kenntnis zu erlangen, denn die Rechtsprechung in einem demokratischen Rechtsstaat und zumal in einer Informationsgesellschaft muß sich – wie die anderen Staatsgewalten – auch der öffentlichen Kritik stellen.

Dabei geht es nicht nur darum, daß in der Öffentlichkeit eine bestimmte Entwicklung der Rechtsprechung als Fehlentwicklung in Frage gestellt werden kann. Dem Staatsbürger müssen die maßgeblichen Entscheidungen auch deshalb zugänglich sein, damit er überhaupt in der Lage ist, auf eine nach seiner Auffassung bedenkliche Rechtsentwicklung mit dem Ziel einer (Gesetzes-)Änderung einwirken zu können.

Das Demokratiegebot wie auch das Prinzip der gegenseitigen Gewaltenhemmung, das dem Grundsatz der Gewaltenteilung zu eigen ist, erfordern es, daß auch über die öffentliche Meinungsbildung ein Anstoß zu einer parlamentarischen Korrektur der Ergebnisse möglich sein muß, mit denen die rechtssprechende Gewalt zur Rechtsentwicklung beiträgt. Nicht zuletzt dient es auch der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege für die Aufgabe der Fortentwicklung des Rechts, wenn über die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine fachwissenschaftliche Diskussion ermöglicht wird.

All dies hat das BVerwG schon 1997, ja, tatsächlich, “veröffentlicht”. Und diese Äusserungen des Bundesgerichts sind eigentlich auch recht leicht verständlich, weswegen ich sie ja umfänglich übernehmen konnte – nur an Justiz in Mannheim scheinen sie weitgehend spurlos vorbeigegangen zu sein.

Aber vielleicht liest man dort keine obergerichtlichen Entscheidungen (zumal dann, wenn sie auch noch aus einer anderen Fachgerichtsbarkeit stammen), und zieht sich lieber auf das Gesetz zurück; und tatsächlich, ein solches gibt es für das Veröffentlichungsgebot nicht.

Doch es braucht dafür gar kein solches Gesetz, so das BVerwG weiter:

Zur Begründung der Pflicht der Gerichte, der Öffentlichkeit ihre Entscheidungen zugänglich zu machen und zur Kenntnis zu geben, bedarf es bei dieser Verfassungslage keiner speziellen gesetzlichen Regelung; eine solche hätte lediglich klarstellende Bedeutung.

Und trotzdem findet das BVerwG (in Übereinstimmung mit seinen Vorinstanzen) sogar eine Rechtsnorm, sozusagen der Gürtel zum Hosenträger: § 5 Abs. 1 UrhG . Dort werden nämlich ausdrücklich “Entscheidungen und amtliche Leitsätze” vom Urheberschutz ausgenommen und für gemeinfrei erklärt. Daraus leitet sich zwar keine Pflicht zur Veröffentlichung ab, sie setzt aber eine solche Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen voraus. Und nur am Rande sei erwähnt, dass diese Norm auch mir die Möglichkeit gibt, hier aus Gerichtsentscheidungen zu zitieren, auch wenn sie nicht durch die Justiz selber veröffentlicht wurden.

Doch ohne pflichtmäßige Mitwirkung der Gerichtsverwaltung und der Richter bei der Erstellung herausgabefähiger Entscheidungsabdrucke und amtlicher Leitsätze (vgl. zur Definition BGHZ 116, 136) läßt sich nach Auffassung des BVerwG die Gemeinfreiheit von Gerichtsentscheidungen und amtlichen Leitsätzen nicht realisieren. Also muß der Gesetzgeber bei dieser Regelung das Bestehen entsprechender Pflichten mitbedacht und auch konkret vorausgesetzt haben.

Und das BVerwG findet noch weitere treffende Argumente für eine Veröffentlichungspflicht: sie habe ihre Grundlage auch in dem leitenden Grundsatz des Prozeßrechts der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen und Urteilsverkündungen (vgl. u.a. § 55 VwGO i.V.m. §§ 169, 173 GVG), geht aber über diesen – wie ausgeführt – hinaus.

Und wenn die Pflicht dem Grunde nach besteht, dann gilt sie eben grundsätzlich auch für die Instanzgerichte und hier insbesondere für die Obergerichte, sie läßt sich nicht allein auf Entscheidungen der obersten Bundesgerichte beschränken, so das BVerwG. Diesen Gerichten ist zwar durch das Prozeßrecht die Entscheidung grundsätzlich bedeutsamer Fragen, die Wahrung der Rechtseinheit und die Fortentwicklung des Rechts in herausgehobener Weise aufgetragen. Es gelangen aber durchaus nicht alle grundsätzlichen oder doch das Allgemeininteresse berührenden Rechtsstreitigkeiten zu ihnen.

Stellt sich für das BVerwG noch die Frage der Veröffentlichungswürdigkeit im Allgemeinen: eine solche könne auch über das Revisionsrecht hinaus gegeben sein, wenn durch eine Entscheidung allgemein anerkannte Rechtssätze oder deren Anwendung, die bis dahin weniger im Blickfeld stehen, berührt werden. Die Veröffentlichungswürdigkeit beurteile sich dabei ausdrücklich aus der Sicht derjenigen, die mit der Publikation erreicht werden sollen.

Maßgeblich sind also das tatsächliche oder mutmaßliche Interesse der Öffentlichkeit und das Interesse derjenigen, die in entsprechenden Angelegenheiten um Rechtsschutz nachsuchen wollen.

So weit das Bundesverwaltungsgericht. Und was bedeutet dies im konkreten Fall Kachelmann?

Nun, man muss der Entscheidung des BVerwG wohl entnehmen, dass das Urteil und seine Begründung zu veröffentlichen sind – allein das öffentliche Interesse an dem Prozess ist genügend Rechtfertigung hierzu. Und damit besteht grundsätzlich ein Anspruch der Öffentlichkeit an der Kenntnis von der schriftlichen Urteilsbegründung.

Doch wer ist nun dazu berufen, das Urteil zu lesen, zu kommentieren und sodann zu veröffentlichen. Lesen wir das BVerwG weiter:

Zunächst stellt es klar, dass auch für die Veröffentlichungspraxis selbst keine Rechtsnormen vorliegen – logisch, da ja auch die Veröffentlichung an sich nicht extra in einem Gesetz normiert ist. Deswegen macht das Gericht sich intensive Gedanken zum Procedere einer solchen Veröffentlichung:

Zunächst weist es darauf hin, dass natürlich die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, der Datenschutz und zB. das Steuergeheimnis, aber auch die strikte Gleichbehandlung bei der Herausgabe zu überwachen ist. Daraus entwickelt das BVerwG eine zweistufige Verfahrensweise:

Auf der ersten Stufe ist ein öffentlich-rechtlich bestimmtes Handeln der Gerichtsverwaltung zunächst insoweit unumgänglich, als veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen konkret ausgewählt werden. Das wiederum kann auf zweierlei Weise geschehen: Zum einen ist eine “amtliche Auswahl” zu treffen, und zwar dies aus der Sicht des mit der Materie befaßten Richters bzw. seines Spruchkörpers. Zum anderen ist die Gerichtsverwaltung gehalten, die Auswahl um diejenigen Entscheidungen zu ergänzen, an deren Veröffentlichung ersichtlich ein öffentliches Interesse besteht.

Und nun wird es das erste Mal richtig spannend: was ist denn nun ein solches öffentliches Interesse? Nach dem BVerwG ist dieses

… in der Regel bei entsprechenden Anfragen aus der Öffentlichkeit zu bejahen. Dies gilt regelmäßig auch für die private Anforderung zu Zwecken der privaten Veröffentlichung.

Zur ersten Stufe des notwendig öffentlich-rechtlichen Handelns zählt weiterhin die Herstellung einer herausgabefähigen, d.h. insbesondere anonymisierten und neutralisierten Fassung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen.

Wie allerdings die Gerichtsverwaltung im Anschluß an diese erste Stufe des notwendig öffentlich-rechtlichen Handelns verfährt, ist ihrem pflichtgemäßen Ermessen überantwortet. Sie kann durch entsprechenden Organisationsakt eine Regelung treffen, daß sich eine zweite Stufe anschließt, in der sie sich aus Gründen der Effektivität der Aufgabenerfüllung, der Kostenersparnis oder der Verwaltungsvereinfachung die Privatinitiative Dritter einschließlich etwa der im Gericht tätigen Richter zunutze macht. Insbesondere die Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung der Entscheidung und der weitere Vorgang der Veröffentlichung als solcher können sich nach den Regeln des Privatrechts vollziehen. Dies geschieht dann aber nicht etwa aufgrund eines originären Verwertungsrechtes Dritter, sondern eben nach Maßgabe des Organisationsaktes.

Ziemlich kompliziert das Ganze, aber man kann es etwas einfacher ausdrücken: jede Entscheidung, die entweder von den Richtern selbst oder aber von jedem interessierten Dritten als veröffentlichungswürdig angesehen wird, ist in eine anonymisierte und neutralisierte Fassung zu bringen und sodann herauszugeben.

Und, mal ehrlich, warum sollte gerade das schriftliche Urteil im wohl medienwirksamsten Prozess Deutschlands gerade ein solches sein, welches nicht veröffentlichungswürdig ist?

Halten wir also fest: nach meiner Einschätzung kann die Justiz Mannheim eine Übersendung des Urteils im Fall Kachelmann in anonymisierter und neutraler Fassung einschliesslich der Urteilsgründe nicht verweigern. Sie verstösst damit zunächst eindeutig gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, so wie dies das BVerwG umfassend dargelegt hat. Und trotzdem tut sie es, weil es angeblich so grosse Unterschiede von diesem Prozess zu anderen Strafprozessen gäbe.

Und natürlich gilt das Gleiche für die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe.

Allerdings und hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt glaube ich nicht an die grossen Unterschiede zwischen dem Urteil im Fall Kachelmann und anderen Urteilen in Vergewaltigungsprozessen – ich bin mir sogar sicher, dass es diese nicht gibt -, denn der hier behauptete Vorgang einer Vergewaltigung am Ende einer Beziehung im privaten Umfeld gehört nun wirklich nicht zu den ganz seltenen Fallgestaltungen.

Nur gibt es eben wenige Fälle, in denen sich das Gericht so viel „Mühe“ gemacht hat, den Sachverhalt insbesondere im näheren oder weiteren persönlichen Umfeld der Beteiligten aufzuklären – oder, um es ganz böse auszudrücken, so wenig Rücksicht auf die Privatsphäre der Parteien über den angeblichen Tatvorwurf hinaus genommen hat wie hier.

Allerdings dürfte all dies bei einem Freispruch aufgrund des fehlenden Nachweises einer Tatbegehung doch sowieso nicht im Urteil stehen – oder unproblematisch gestrichen werden können, hat es doch für die Sachverhaltsaufklärung keine Relevanz.

Tatsächlich, es gibt reihenweise veröffentlichte Urteile in Vergewaltigungsprozessen – und bei keinem problematisiert man die Frage der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Eigenartig, und auch einen Verdacht bei mir erzeugend: könnte die Ursache für das derzeitige Verhalten der Justiz in Mannheim vielleicht doch sein, vermeintlich Prominente anders zu behandeln – oder aber, durchaus schlimmer als die vermutete Besserstellung von Prominenten, will man die effektive Kontrolle des Gerichts und der Staatsanwaltschaft durch die Öffentlichkeit verhindern?

Fast schon ein Treppenwitz ist es in diesem Zusammenhang, dass die Sperrung der schriftlichen Urteilsbegründung einher ging mit der Nachricht, dass die Nebenklägerin „ihre Persönlichkeitsrechte“ – gemeint sind wohl eher die Rechte auf Informationen in Bezug auf ihre Beziehung zu Jörg Kachelmann und in Bezug auf den Prozess – an einen Filmproduzenten verkauft hat.

Dieser „Ankäufer“ rühmte sich umgehend in Interviews, es ständen unglaubliche Sachen in den Prozessakten. Man darf und muss also vermuten, dass die Strafakten – erneut (?) – Dritten zugänglich gemacht wurden, aber dies sicherlich aus der Sicht der Nebenklägerin nicht mit dem Ziel, der Öffentlichkeit einen neutralen Blick auf den Prozess zu geben – und zu einem Zeitpunkt, an dem die Akten mit dem vermeintlich unglaublichen Inhalt sicherlich auch die doch so geheime schriftliche Urteilsbegründung enthalten haben dürften. Die Staatsanwaltschaft schützt also inzwischen einen Text, der sich längst nicht mehr nur in den Händen von zur  Verschwiegenheit verpflichteten Juristen befindet, sondern vermeintlich zusammen mit „Persönlichkeitsrechten“ an den Boulevard zur gefälligen Vermarktung bei z.B. RTL 2 oder Pro 7 verschachert worden ist.

All das macht im Lichte der Rechtsprechung des BVerwG einen befremdlichen Eindruck auf jeden, der sich mit dem Recht und der Durchsetzung des Rechts beschäftigt – aber es passt in den grossen Kontext dieses sicherlich aussergewöhnlichen Prozesses; dabei resultiert das Aussergewöhnliche nicht aus dem Umstand, dass der Angeklagte leidlich prominent ist, sondern aus dem Hype, der hier ausbrach. Nennen wir doch nur die Highlights:

  • ein Polizeibeamter, der zur Verhaftung Familienangehörige mitbringt.
  • ein Gefangenentransporter, der auf Wunsch der Presse für bessere Photos umgestellt wird.
  • regelmässige Medienauftritte von Staatsanwälten mit der Präsentation von angeblichen Beweismitteln, die sich hinterher als wenig tragfähig erweisen – legendär sind da die Aussagen zum angeblichen Tatmesser, dass mit Spuren übersäht sein sollte, und an dem später – allerdings schon zu einem sehr frühen Verfahrensstadium – ein Sachverständiger nicht eine einzige verwertbare Spur finden konnte – jedenfalls soll dies das Ergebnis sein, welches bei den spärlichen Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen ist.
  • eine Parade von Exfreundinnen des Angeklagten, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen und mehrheitlich postwendend nach der Vernehmung ihre Aussagen an Boulevardzeitungen meistbietend versteigern.
  • eine (Ex-?)Feministin, die sich zur Gerichtsreporterin aufschwingt, und dies tatsächlich für die „BILD“-Zeitung.
  • ein die Nebenklägerin therapierender Sachverständiger, der Angst noch nach Wochen riechen kann – und von ihr gleichzeitig heftig, mehrfach und vor allen Dingen äusserst erfolgreich belogen wird, wie sich noch zeigen wird.
  • Ausflüge des Gerichts in die Schweiz zur Einvernahme eines weiteren angeblichen „Luusmeitli”.

Man könnte die Liste der Merkwürdigkeiten dieses Prozesses sicherlich noch ein ganzes Stück weiterführen, und man könnte herzlich lachen über den teilweise possenartigen Verlauf der Verhandlung, wenn dieses zu einem absurden Theater verkommene Verfahren nicht so bittere Konsequenzen hätte: für den Angeklagten, dem man immer noch eine Straftat unterstellt, für die Nebenklägerin, die immer noch eine mutmassliche Falschbeschuldigerin ist, für den Rechtsstaat, der mal wieder ein Stück seiner Glaubwürdigkeit verloren hat.

Und unwillkürlich stellt sich die Frage: Hätte man dies verhindern können? Und wenn Ja, zu welchem Zeitpunkt?

Die bisherigen und meine weiteren Ausführungen zum Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe sowie den Beschluss im Wortlaut finden Sie hier:

http://www.amazon.de/Prozess-Kachelmann-niemals-dürfen-ebook/dp/B00AB2J0EE/ref=sr_1_2?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1354823609&sr=1-2

Sie sprengen in ihrem Umfang bei weitem den hiesigen Blog und sind deswegen denjenigen vorbehalten, die sich wirklich mit dem Fall Kachelmann auseinander setzen wollen.

Aus gegebenem Anlass weise darauf hin, dass durch die Veröffentlichung über Amazon die gesamten Ausführungen zusätzlich und umfänglich urheberrechtlich geschützt sind und deren Veröffentlichung nicht nur so geschützt sind wie diese Blogbeiträge, sondern auch darüber hinaus. Der durch Amazon erhobene Betrag für das Herunterladen liegt weit unter denjenigen Kosten, die jedem Leser durch eine Anforderung des Beschlusses bei der Staatsanwaltschaft Mannheim entstehen würden – wenn er denn von dort den vollständig Beschluss überhaupt erhalten würde, obwohl dieser inzwischen durch Herrn Kachelmann fast vollständig veröffentlicht wurde. Es geht mir also nicht um Geld, sondern um den inhaltlichen Schutz dieses Artikels.

Besonders negativ ist mir in diesem Zusammenhang übrigens die ausser Dienst gestellte Oberstaatsanwältin Gabriele Wolff aufgefallen, die hier ja auch schon Kommentare hinterlassen hat. Sie hat in der Vergangenheit völlig ungeniert Einträge aus meinem Blog in Auszügen in ihren Blog kopiert und damit entgegen des hiesigen ausdrücklichen Hinweises vervielfältigt, ohne eine Genehmigung dafür zu haben. Dies allein wirft schon ein bezeichnendes Licht auf eine ehemalige Staatsanwältin, aber noch bedenklicher ist, dass sie inzwischen sogar in einem Forum im Vorfeld dieses Artikels aufgefordert hat, aus meinem Aufsatz zu kopieren und diese Kopien in ein Forum einzustellen, damit sie diese dort nachlesen könne. Da scheint jemand erhebliche Probleme mit dem geistigen Eigentum Anderer zu haben.

Warum es den Prozess Kachelmann niemals hätte geben dürfen oder “Auch weise Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe konnten das Schlimmste nicht verhindern”

Warum es den Prozess Kachelmann niemals hätte geben dürfen oder “Auch weise Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe konnten das Schlimmste nicht verhindern”

 

Inzwischen umschreibt Frau Wolff übrigens ihre “Wünsche” an andere, indem Sie einer “ausführliche Rezension” zu lesen wünscht…

Photo: Stefan Scherer


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