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Darf ein Gericht jemanden freisprechen, wenn es davon überzeugt ist, dass dieser einen anderen Menschen rechtswidrig und schuldhaft getötet hat?
Dies war die schwierige Frage, die gestern das Landgericht Trier im Prozess um den Tod einer Achtzehnjährigen klären musste – der im November 1982 geschah.
Lolita Brieger war zur Tatzeit mit dem gestern Freigesprochenen liiert und erwartete von diesem ein Kind. Das Landgericht Trier sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte die junge Frau in einem Schuppen in der Nähe seines Elternhauses vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft tötete. Danach versteckte er zusammen mit einem anderen Mann die Leiche auf einer Mülldeponie – und beging damit nahezu 30 Jahre lang ein fast perfektes Verbrechen, so die Richter.
Fast perfekt, denn vor kurzem meldete sich das Gewissen des Mannes, der dem Angeklagten beim Verstecken der Leiche geholfen hatte, und so wurde diese doch noch gefunden und das Verbrechen nach Auffassung des Landgerichts aufgeklärt.
Nur bestraft werden kann der Mann dafür nicht mehr- und dies hinterlässt den Beobachter des Prozesses ratlos: muss dieser Mensch nicht eine – in jedem Fall – gerechte Strafe erhalten, wenn das Gericht doch zu dem Ergebnis kommt, dass er die junge Frau getötet hat?
Juristisch ist dies leider sehr schwierig: mit Ausnahme des Mordvorwurfs sind alle anderen Vorwürfe (eben auch der des Totschlags) nach einer so langen Zeit verjährt, d.h., die Tat kann zwar nachgewiesen, aber nicht mehr bestraft werden, da der Bestrafung ein Verfahrenshindernis entgegensteht.
Doch dürfen Straftaten verjähren?
Die Verjährung ist ein sehr altes Rechtsinstitut, sie ist schon im Römischen Recht verankert gewesen, und sie hatte schon dort den Sinn, nach dem Ablauf einer bestimmten Zeit in jedem Fall den Rechtsfrieden wieder herzustellen: je länger eine Tat vergangen war, um so schwieriger ist der Nachweis, und umso grösser ist auch das Interesse des Beschuldigten, vor dem Erheben eines möglicherweise falschen Anklage effektiv geschützt zu sein.
Im Prinzip ist diese Entscheidung des Gesetzgebers nachvollziehbar, aber genauso nachvollziehbar ist die andere Entscheidung des Gesetzgebers, Mord und Völkermord nicht den Verjährungsvorschriften zu unterwerfen; der Streit um diesen Punkt tobte jahrzehntelang in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere, um nicht auch Verbrechen der NS-Zeit verjähren zu lassen.
Letztendlich brachte die Entschliessung des Europäischen Parlaments und die Verjährungsdebatte des Jahres 1979 Rechtssicherheit: seit dem 03.07.1979 ist die Verjährung von Mord und Völkermord gänzlich aufgehoben.
Doch damit bildet sich automatisch eine Schnittstelle bei der Bestrafung von Mord und Totschlag, welche für die Angehörigen eines “Mordopfers” in bestimmten Ausnahmefällen kaum erträglich ist: kann nämlich ein Gericht die qualifizierenden Mordmerkmale bei der vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Tötung eines Menschens nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dann bleibt die im Volksmund als “Mord” bezeichnete Tat als Totschlag ungesühnt.
Und hier hilft der Zeitablauf im konkreten Fall dem nach Auffassung des Landgerichts festgestellten Täter: zwar ist eine Leiche gefunden und man kann ihm angeblich nachweisen, dass er derjenige war, der die junge Frau getötet hat, aber nach so langer Zeit sind die von der Staatsanwaltschaft ins Felde geführten Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe für die Strafkammer nicht mehr aufzuklären.
Und so ist das gestrige Urteil wohl juristisch richtig, aber für die direkten Angehörigen des Opfers und für viele Prozessbeobachter moralisch nicht nachvollziehbar: die Angehörigen zahlen den Preis für ein Rechtssystem, welches von Menschen nach bestem Wissen und Gewissen gemacht ist, aber gerade deswegen nur Recht und keine Gerechtigkeit schafft. Und neutrale Beobachter bleiben konsterniert zurück, weil ein Mensch, den das Gericht für einen Totschläger hält, als freier Mann den Gerichtssaal verlässt.
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