Warum du die Kontrolle über dein Leben abgibst (und wie du sie wieder eroberst)

Wie viele tägliche Entscheidungen triffst du ganz bewusst? Es sind ganz sicher nicht viele, auch wenn wir uns das selbst nicht eingestehen wollen. Die meisten Handlungen werden durch Routinen und äußere Impulse ausgelöst. Tragischerweise bekommen wir gar nicht erst mit, wie fremdbestimmt wir eigentlich leben.

Im Durchschnitt schauen wir 1.500 mal wöchentlich und mehr als 3 Stunden täglich auf unser Smartphone. Oft tun wir das unbewusst, aus Langeweile oder weil wir auf eine Benachrichtigung reagieren. Das Smartphone mit seinen klingelnden und vibrierenden Benachrichtigungen ist das beste Beispiel dafür, wie sehr wir uns fremdsteuern lassen, ohne es bewusst wahrzunehmen.

Wir sind so gefangen in unserem Alltag, dass wir das Bewusstsein darüber verlieren, was in unserem Leben wirklich wichtig ist. Wie mit Scheuklappen galoppieren wir in eine Richtung, die wir irgendwann einmal eingeschlagen haben. Merken tun wir das erst viel zu spät, da wir durch all die Ablenkungen keine Zeit haben, den Autopilot auszuschalten.

Vielleicht wollen wir den Autopiloten auch gar nicht deaktivieren. Sich in eine gewisse Abhängigkeit zu begeben ist schließlich bequem, denn damit muss keine Verantwortung für das eigene Leben übernommen werden. Die Schuld (und gleichzeitig die Macht) wird an den Fremdbestimmer abgegeben.

Dennoch behaupten wir, voller Selbstbestimmung zu leben und unser Leben unter Kontrolle zu haben. Für die meisten ist das nur ein Wunschdenken, denn der Tag wird nicht aktiv durch uns gesteuert, sondern durch:

  • gesellschaftliche Konventionen und die Abhängigkeit vom Sozialstaat,
  • Glaubenssätze anderer Menschen und der unendliche große Wunsch nach Zugehörigkeit,
  • manipulative Berichterstattung der Medien, Fernsehen und das immer anwesende Internet
  • E-Mails, soziale Netzwerke, Kalender voller Meetings und Telefonkonferenzen, endlos lange To-Do Listen,
  • Sorgen über die Altersvorsorge und Krankheitsversicherung sowie Gedanken über die Vergangenheit

Unser Gehirn braucht diesen Autopiloten, sonst würde es heiß laufen. Aber in regelmäßigen Abständen solltest du ihn ausschalten, kurz innehalten und dann entscheiden, ob du ihn weiterlaufen lässt oder selbst die Steuerung übernimmst.

Szenario 1 – reaktiveS Erleben (Autopilot)

Um 6 Uhr klingelt der Wecker und du quälst dich aus dem Bett, aber nicht bevor du deine E-Mails auf dem Smartphone überflogen hast. Du weißt es nicht aber für die nächsten 16 Stunden lässt du dich von den Routinen und Agendas anderer Leute lenken.

Du putzt dir die Zähne während du den Facebook Feed herunter scrollst, hastest ohne Frühstück aus dem Haus und nimmst den gleichen Weg zur Arbeit wie jeden Tag, ohne deine Umwelt bewusst wahrzunehmen. An einem alten Schulfreund rennst du ungesehen vorbei, da ihr beide wie Zombies mit gesenktem Blick auf euer Smartphone schaut.

Im Büro angekommen wühlst du dich durch deine E-Mails, hörst die Mailbox ab und schaust, was auf Twitter und Snapchat los ist. Spätestens jetzt hast du die eigene Kontrolle über deinen Tag komplett abgegeben. Alle Leute um dich herum erzählen dir, warum ein To-Do absolut höchste Priorität hat und in welcher Frist etwas erledigt werden muss. Alles hat Priorität, nur nicht dein eigenes Wohlbefinden, denn um dich geht es schließlich nicht.

Am Ende des Tages hast du viele To-Dos abgehakt. Trotzdem kannst du den Wettlauf gegen immer neue Aufgaben nicht gewinnen. Das ist aber auch nicht das Ziel. Das Ziel ist es, den Geist zu beschäftigen, um sich ja nicht bewusst zu werden, wie fremdgesteuert dein Tag eigentlich ist.

Deshalb nimmst du dir auch am Abend keine Zeit zum Reflektieren. Du hast schließlich so hart gearbeitet, dass du es dir verdient hast, dich durch Reality TV oder die neueste Serie auf Netflix beschallen zu lassen. Um so richtig abschalten zu könne, greifst du zur Schachtel Zigaretten und gießt dir den obligatorischen Rotwein ein, ohne diese Dinge bewusst zu genießen.

Diese Pause am Abend brauchst du, denn morgen beginnt der ganze Spaß wieder von Neuem. Du brauchst Energie, um zu funktionieren und so gut es geht den Bedürfnissen anderer Leute zu entsprechen.

Als Angestellter hast du zumindest einen Lichtblick: das Wochenende. Raus aus der Arbeitswoche und rein in den Wochenkreislauf zwischen “TGIF” und “Shit, schon wieder Montag”. Als Selbständiger magst du darüber nur lachen, merkst aber nicht, dass sich deine Routine nicht nur 5 mal, sondern 7 mal pro Woche wiederholt. Du fühlst dich frei, da du dich nicht nach einem Boss und Kollegen richten musst, machst dich aber von Kunden, Google und deinem Smartphone abhängig.

Szenario 2 – aktives Wahrnehmen (Achtsamkeit)

Du lässt dich nach einem erholsamen Schlaf durch natürliches Sonnenlicht aufwecken. Nachdem du dich an das Tageslicht gewöhnt hast, stehst du langsam auf, holst dir ein großes Glas Wasser und schaust aus dem Fenster in den Park gegenüber, in dem Eichhörnchen umherspringen. Du nimmst dir Zeit, um zu meditieren und dein morgendliches Sportprogramm durchzuführen.

Nach einer Dusche isst du dein Frühstück nicht im Stehen, sondern am Tisch, ohne dabei auf einen Bildschirm zu schauen. Nach dem Frühstück schaust du zum ersten Mal nach deinen E-Mails und Benachrichtigungen. Du lässt dich auch dann nicht aus der Ruhe bringen, wenn dir jemand Mails mit noch so vielen Ausrufezeichen schickt. Du weißt ganz genau, welches wichtige To-Do du heute erledigen willst, denn du hast es dir am Vorabend bereits aufgeschrieben.

Sobald diese eine, für dich wichtige Aufgabe, erledigt ist, widmest du dich anderen Sachen. Dabei bleibst du immer in Kontrolle. Du entscheidest bewusst darüber, was wichtig ist für dich und was andere Leute wichtig machen wollen.

Zur Mittagszeit gehst du raus an die frische Luft. Du nimmst dir Zeit für dich selbst, genießt das Wetter, die Natur und nimmst deine Umgebung ganz bewusst wahr. Du bist genau hier und jetzt in diesem Moment. Du denkst nicht darüber nach, was du später noch erledigen musst und ärgerst dich auch nicht über einen Zeitungsartikel, den du am Morgen gelesen hast.

Am Abend triffst du dich mit guten Freunden. Dein Smartphone liegt dabei nicht auf dem Tisch, sondern befindet sich im im Flugmodus und ist in der Jackentasche verstaut. Du möchtest dich nicht ablenken lassen, denn in diesem Moment ist nichts so wichtig, wie die vertrauten Personen, die dir unmittelbar gegenübersitzen.

Bevor du ins Bett gehst denkst du darüber nach, wofür du heute dankbar bist, was dich glücklich gemacht hat und was du morgen verändern möchtest. Du agierst, denn du weißt, dass du jeden Tag eine neue Chance hast, dein Leben so zu gestalten, wie es dich glücklich macht.

Welches Szenario lebst du?

Wahrscheinlich bist du irgendwo dazwischen und willst hoffentlich näher an das zweite Szenario herankommen. Der erste Schritt dorthin ist immer das Bewusstsein. Sobald du dir darüber bewusst bist, welche Bereiche deines Lebens fremdgesteuert sind, braucht es die Absicht zur Veränderung und die entsprechenden Handlungen.

Um dieses Bewusstsein zu erlangen, musst du viel öfter mal auf die Bremse treten, die Geschwindigkeit aus deinem Leben nehmen und dir Zeit zur bewussten Wahrnehmung nehmen. Ob das für dich mit Tools wie morgendliche Meditation, dem Schreiben eines Journals, einem stündlichen Alarm oder durch Coaching funktioniert, ist ganz egal. Wichtig ist, dass du bewusst reflektierst, anstatt nur zu reagieren.

Wenn du beim nächsten Mal an der Kasse stehst oder dich über einen Stau ärgerst, dann hole nicht geistesabwesend dein Handy aus der Hosentasche oder gib dich deinem Frust hin, sondern beobachte den Moment. Nimm den Augenblick ganz bewusst wahr, schaue dir die Menschen um dich herum und die Umgebung an. Du wirst den Unterschied zwischen Autopilot und Achtsamkeit – zwischen passivem Erleben und aktiver Wahrnehmung – sofort merken.

Versuche nicht, deine Gedanken zu ändern oder zu jeder Tageszeit achtsam zu sein. Das wird dir sowieso nicht gelingen. Versuche aber regelmäßig den Autopilot auszuschalten und zu beobachten, welchen Impulsen du gerade in diesem Moment folgst. Ist es dein bewusster Gedanke oder reagierst du auf äußere Umstände?

Das tote Pferd ist eine Metapher dafür, dem Unausweichlichen doch irgendwie ausweichen zu wollen. Viel zu oft bleiben wir im Sattel, obwohl das Pferd uns keinen Meter weiterträgt. Ich bin gespannt, ob du dich hier wieder erkennst und es letztendlich aus dem Sattel schaffst.


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