Angela Merkels Eurokrisen-Politik ist eine Katastrophe. Ihre bewusste Inkaufnahme der Rekordarbeitslosigkeit in Südeuropa, ihr ungeniertes Hinauszögern der Krise im Namen „deutscher Interessen“, wo es doch darum gehen müsste, für ganz Europa eine Lösung zu finden, ihre Ignoranz gegenüber wirtschaftlichen Zusammenhängen. Aber darum soll es hier nicht gehen. Möglich ist diese Politik, weil sie eine überwältigende Zustimmung in der deutschen Öffentlichkeit und bei den Wählern findet – sogar, wie jetzt eine Umfrage gezeigt hat, bei vielen Wählern der Grünen. Das ist bedauerlich, und doch ist der Befund letztlich nicht überraschend.
Über die Zustimmung der grünen Wähler hat gestern Zeit Online berichtet:
Das Umfrageinstitut infratest dimap hatte im Auftrag der Partei-Strategen im Dezember 1.500 Wahlberechtigte ab 18 Jahren zu ihren politischen Interessen befragt. Darunter waren rund 700 Menschen, die sich grundsätzlich vorstellen könnten, die Grünen zu wählen. Diese möglichen Grünen-Wähler schätzen an Angela Merkel vor allem, dass sie "in der Euro-Krise erfolgreich deutsche Interessen" vertritt. 67 Prozent der Wählergruppe stimmen dieser Aussage zu. 39 Prozent halten die Euro-Politik der Kanzlerin für "alternativlos". 81 Prozent der potenziellen Grünen-Wähler halten Merkel außerdem für "sehr kompetent" oder "kompetent".Zu beachten ist hier sicherlich, dass es sich nur um potenzielle Grünenwähler handelt. Viele von ihnen dürften sich später dann doch für die SPD, einig auch für Linke oder CDU entscheiden. Aber das tut unserer kleinen Betrachtung hier keinen Abbruch, schließlich ist anzunehmen, dass die Ansichten unter SPD-Wählern ähnlich ausfallen. Zwei Drittel stimmen also Merkels Eurokurs zu. Ob die restlichen 33 Prozent mehr europäische Solidarität wollen oder im Gegenteil noch nationalistischer eingestellt sind, sagt die Studie leider nicht. Es ist anzunehmen, dass beide Meinungen vertreten sind.
Zunächst einmal erklären diese Zahlen natürlich, warum die Opposition in der Eurofrage eigentlich gar keine echte Opposition mehr ist. Seit Jahren verfolgen SPD und Grüne eine „ja, aber“-Strategie, wie Eric Bonse zuletzt am Beispiel Steinbrück demonstriert hat. Noch jedes Mal haben Rote und Grüne den Rettungspaketen zugestimmt / sich enthalten und die Europolitik der Regierung durchgewunken.
Das ist im Lichte der Demoskopie zunächst ziemlich rational. Wenn ihre potenziellen Wähler auf Merkel-Linie sind, teilweise vielleicht sogar rechts davon, wie können dann die Fraktionen im Bundestag und Parteiführungen eine fundamental andere Politik einfordern? Wären SPD und Grüne überhaupt noch in der Nähe der Mehrheitsfähigkeit, wenn sie etwa einen dauerhaften europäischen Finanzausgleich, ein milliardenschweres Konjunkturpaket aus deutschen Steuergeldern oder eine höhere Inflationsrate fordern würden? Vielleicht nicht, denn umso leichter würde es Merkel fallen, die schwäbische Hausfrau in Stellung zu bringen.
Aber andersrum wird halt auch ein Schuh daraus: Eben weil die Opposition der Parteispitzen so schwach ausfällt, weil Sozialdemokraten und Grüne immer nur „ja, aber“ sagen, so könnte man argumentieren, hat sich auch das Wahlvolk in dieser Frage fast vollständig entpolitisiert. „Political elites shape voter’s perception of the world“, schreiben die Politikwissenschaftler Lluís Orriols und Sebastián Lavezzolo. Und weiter: „Political parties have strong incentives to do not take public opinion as fixed; instead, they try to actively bring the electorate close to their political positions”, stellen sie fest.
Parteien können also nicht nur auf politische Stimmungen reagieren, sondern diese auch mitprägen. Doch davon hat man in der Eurofrage bei SPD und Grünen in den letzten Jahren nicht viel gesehen. Zumindest nicht viel Überzeugendes. Und das ist dann die Kehrseite ihres pragmatischen (oder opportunistischen?) Ansatzes: Wer keine Führungs- und Meinungsstärke gegen den Kurs der Kanzlerin zeigt, darf sich dann letztlich auch nicht wundern, wenn bei den Wählern so recht keine kritische Haltung aufkommen mag.
Ein letzter Punkt: SPD und Grüne befinden sich hier sichtlich in einer schwierigen Situation. Einen anderen Kurs einzuschlagen ist nicht trivial. Das liegt auch daran, dass die wahren Zusammenhänge der Eurokrise komplizierter, konterintuitiver und auch unangenehmer für die Deutschen sind als die Mainstream-Sichtweise. Denn dann geht es nicht mehr um faule Griechen und hohe Schulden, weshalb man jetzt sparen müsse, sondern um Exportungleichgewichte, den Verlust an Souveränität über die Monetärpolitik, den Krisengewinnler Deutschland und antizyklische Fiskalpolitik. Das soll erstmal einer in zwei Minuten in der Tagesschau erklären.