Die erste Sila lautet: Panatipata veramani sikkhapadam samadiyamiPana verweist z.B. nach Bhikkhu Bodhi offenbar auf jedes Wesen mit Atem und einem Bewusstsein. Eigentlich ist es der "Atem des Lebens". Pflanzen sollen nicht darunter gefasst werden. atipata ist Töten oder Verletzen.
Das erste Problem deutet sich damit schon an: Nach dem aktuellen Stand der Hirnforschung gestehen wir Bewusstsein bestenfalls einigen Säugetieren zu. Insekten nicht. (https://www.dasgehirn.info/denken/bewus ... wusst-6082)
Desweiteren findet bei Pflanzen die Photosynthese statt, die wir heute als passive Atmung (Austausch von Gasen) bzw. "Respiration" begreifen können. Zu Buddhas Zeiten gab es dieses Wissen wohl nicht. Demnach müssten wir heute korrekterweise unter die erste sila auch Pflanzen fassen, wenn wir schon Lebewesen ohne Bewusstsein miteinbeziehen - und müssten dann bei Befolgen der sila verhungern.
Folglich sollte man verstehen, welchen Zweck die sila haben. Sie sollen Liebe, Respekt, Harmonie und Einheit erzeugen (siehe A.III,287; M.I.322, Ausgabe nach der Pali Text Society). Sich an diese sila zu halten wurde als Gabe (danani) gesehen, von der Gebender wie Empfangender profitieren würden, und zwar so: Wenn ein Edler die fünf sila praktiziert, dann verleiht er Freiheit von Furcht, Hass und bösem Willen an zahllose Lebewesen (nach A. IV, 246). An einer anderen Stelle nennt der Buddha dies förderlich für die Konzentration und Freiheit spendend. (A. III, 132).
Denken wir mal einen Moment darüber nach, ob diese Dinge zutreffen können, wenn mit den Lebewesen tatsächlich Tiere gemeint wären. Verlieren Tiere prinzipiell ihre Furcht, ihren Hass (und kennen sie diesen überhaupt?), wenn man sie nicht tötet, oder geht es hier doch nur um den Ausübenden der sila, den Menschen? Wird etwa einem Insekt Konzentration geschenkt, wenn man es nicht tötet? Hier wird also schon klar, dass die sila in Hinblick auf diese Effekte gar nicht dem Nutzen der Tiere dienen kann, sondern allein dem der Menschen. Die Aussage, dass diese Effekte bei "zahllosen Lebewesen" zuträfen, ist widerlegbar. Die Motivation für das Verschonen von tierischem Leben wäre demnach menschlicher Eigennutz - die Harmonie unter den Menschen. Aber auch diese Harmonie würde recht schnell in Hungersnöten schwinden, wenn Menschen der Genuss von Fleich verboten würde. Eine solche Situation dürfte zu Lebzeiten Shakyamunis hinreichend bekannt gewesen sein. Also kann es nicht ums Verschonen von Tieren gegangen sein.
Das Fazit ist: Die erste sila kann sich aufgrund weiterer Erläuterungen des Buddha nur auf das Nicht-Töten von Menschen beziehen (so man eine innere Logik des Palikanon sucht). Nach modernen Erkenntnissen wäre zu überlegen, ob man bestimmte hoch entwickelte Säugetiere darunter fasst (die Tiere, die wir gemeinhin zum Essen schlachten, gehören in der Regel nicht dazu). Insekten fallen gewiss nicht unter diese Regel. Wer die Regel allzu wörtlich auslegen will und den Zusammenhang mit den o.g. Textstellen leugnet, wird sich die Frage gefallen lassen müssen, warum er Pflanzen tötet.