Ich komme aus einer ziemlich apolitischen Familie und Gemeinde. Häufig habe ich Schimpftiraden über die “Welt” und die böse “Politik” gehört und kann die apolitische Einstellung mancher Christen verstehen. Ich möchte mich aber mit den Argumenten auseinandersetzen und prüfen, ob Christen wählen gehen sollten…
Ein Hauptargument, warum viele Christen nicht wählen gehen, bringt ein Artikel auf Soundwords auf den Punkt:
“Wenn es aber wahr ist, dass der Christ im Blick auf diese Welt „tot“ ist, wenn sein Bürgertum in den Himmeln ist, wenn sein Platz, sein Teil und seine Heimat droben sind, wenn er hier auf der Erde nur ein Pilger und Fremdling ist, dann folgt daraus, dass er nicht berufen ist, sich in irgendeiner Weise in die Politik dieser Welt einzumischen, sondern berufen, seinen Pfad als Pilger zu gehen, sich um des Herrn willen geduldig jeder Einrichtung der Menschen zu unterwerfen, den obrigkeitlichen Gewalten gehorsam zu sein und für ihre Bewahrung und ihr Wohl in jeder Hinsicht zu beten. (…) Wenn wir also durch die Schrift geleitet werden sollen, haben wir keinerlei Befugnis, uns in die Politik dieser Welt einzumischen. Das Kreuz Christi hat das Band zerrissen, das uns mit dieser Welt verband.”
Die Argumentation ist einfach: Wir sind “tot für diese Welt”, also halten wir uns aus ihr heraus…
Ich verstehe, wie man mit den im Artikel genannten Bibelstellen (Joh 17,14-16; Phil 3,17-20 und Kol 3,1-4), zu dieser Position kommt, aber die Argumentation hat mich nicht überzeugt. Bedeutet das “tot sein für diese Welt”, dass ich mich aus ihr zurückziehe? Darf ich dann überhaupt in Deutschland leben und einen Arbeitsvertrag eingehen? Darf ich BAföG beziehen, mich aber sonst aus allem raushalten? Darf ich selbst hineindeuten, was es bedeutet dieser Welt gestorben zu sein?
Die entscheidende Frage ist: Was bedeutet denn “tot sein für diese Welt”? Die beste Erklärung für die negative Verwendung des Begriffs “Welt” findet man in 1. Johannesbrief 2,16-17:
“16 Denn nichts von dem, was diese Welt kennzeichnet, kommt vom Vater. Ob es die Gier des selbstsüchtigen Menschen ist, seine begehrlichen Blicke oder sein Prahlen mit Macht und Besitz – all das hat seinen Ursprung in dieser Welt. 17 Und die Welt mit ihren Begierden vergeht; doch wer so handelt, wie Gott es will, wird für immer leben.” (1Joh 2,16-17, NGÜ)
Die “Welt”, der wir gestorben sind, ist das ganze gottfeindliche System – mit allen falschen Maßstäben und falschen Handlungsmustern. Es ist nicht das soziale/politische Zusammenleben auf dieser Welt gemeint. Im Klartext: Die Politik ist an sich kein gottloses System.
Wir sind für die Sünde gestorben, sollen nun aber in dieser Welt (mit all ihren Bezügen) zur Ehre Gottes leben. So steht es unmissverständlich in Römer 6,6-10:
6 Was wir verstehen müssen, ist dies: Der Mensch, der wir waren, als wir noch ohne Christus lebten, ist mit ihm gekreuzigt worden, damit unser sündiges Wesen unwirksam gemacht wird und wir nicht länger der Sünde dienen. 7 Denn wer gestorben ist, ist vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit. 8 Und da wir mit Christus gestorben sind, vertrauen wir darauf, dass wir auch mit ihm leben werden. 9 Wir wissen ja, dass Christus, nachdem er von den Toten auferstanden ist, nicht mehr sterben wird; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. 10 Denn sein Sterben war ein Sterben für die Sünde, ein Opfer, das einmal geschehen ist und für immer gilt; sein Leben aber ist ein Leben für Gott. (Römer 6,6-10, NGÜ)
Deshalb glaube ich: Wir sollen im Lebensalltag dieser Welt (= dieses Lebens) das suchen, was “droben” ist (Kol 3,1-4). Jesus sagt wir sollen uns Schätze im Himmel sammeln (Mt 6,20). Wie machen wir das? Zum Beispiel indem wir für das Recht der Armen und Gottes Ordnungen einstehen! Es ist richtig sich gegen Abtreibung, für gerechte Löhne usw. einzusetzen. Unser himmlisches Bürgerrecht verbietet uns nicht, uns für Gerechtigkeit einszusetzen, sondern gebietet es geradezu! Warum sollte man sich nicht auch durch politische Wahlen für Gottes Ordnungen einsetzen können?
Oder was denkst du? Kann man als Christ, der “dieser Welt gestorben ist”, wählen gehen?