Warum bin ich… ich?

Von Lolafuchs

Für July.

(Zwar kein ganzes Buch mit Details über meine Vergangenheit, aber zumindest ein Snap. Von Herzen.)

Vergangenheit

Als ich blutjunge 17 war, hatte ich einen besten Freund. Er war großartig! Nett, witzig, ehrlich und verlässlich. Wir, oft gemeinsam mit ein paar anderen, hingen beinahe jede freie Minute zusammen ab und er war es auch, der mir meine 1. Fahrstunde auf dem Parkplatz der Vorarlberghalle in Feldkirch gab. Nicht, dass ich dabei mehr gelernt hätte, als wie man bei 50 km/h eine Vollbremsung mit anschließender 180° Drehung vollzieht^^ Aber dafür konnte er nichts, denn die Fahrstunde wurde jäh unterbrochen von einem Funkspruch. Er war nämlich bei der freiwilligen Feuerwehr, manövrierte mich sofort auf den Beifahrersitz und raste mit mir zusammen zur Leitstelle – während ich mich verzweifelt versuchte, irgendwo am Inneren des Wagens festzuhalten. Ich war beeindruckt! So viel Pflichtbewusstsein und Einsatz, er war mein Held in diesem Augenblick! Und eigentlich auch generell…

1. Schlüsselerlebnis

Eines Tages standen wir vor meiner Haustüre und plötzlich sagte er zu mir: „Ich empfinde mehr für dich als nur Freundschaft. Ich hab mich schon lange in dich verliebt.“

Ich war ehrlich gestanden nicht sonderlich überrascht darüber, doch bevor ich ihm irgendwas entgegnen konnte, fuhr er fort: „Aber ich kann dir nicht vertrauen. Weißt du, welchen Spitznamen du bei uns hast? Die 3-Monats-Lola. Weil du spätestens nach 3 Monaten jedem noch so tollen Typen das Herz brichst und ihm den Laufpass gibst.“

Meine Reaktion darauf? Ich küsste ihn.

Kurze Zeit später verschwand er für immer aus meinem Leben. Diesmal brauchte ich dafür nur 3 Wochen.

Ich stolperte fleißig weiter durch mein (Liebes-)Leben. Gestaltete sich für mich auch nicht sonderlich schwer, ich hatte keine Probleme Männer für mich zu begeistern. Ich strahlte wohl etwas starkes, selbstsicheres, abenteuerliches und irgendwo auch unnahbares aus. Ich war mir stets sicher: War der Eine nichts, lässt der Nächste nicht lange auf sich warten. Ich sah keinen Grund und keine Notwendigkeit darin, mich und mein Verhalten in Frage zu stellen. Auch wenn ich seitdem öfter an die 3-Monats-Lola denken musste.

2. Schlüsselerlebnis

Ich war in meiner….. oh Gott, ehrlich gesagt keine Ahnung…. x. „Beziehung“. Es gab Streit und es wurde sehr laut zwischen uns. Irgendetwas hatte ihn enttäuscht und sauer gemacht, sagte er mir, und mich machte das rasend vor Wut! Wie kann ihn so eine futzi kleine Sache gleich enttäuschen und sauer machen???! Das ist sowas von bescheuert und ungerechtfertigt, dass mir die Worte dazu fehlen. Sei mal lieber nicht so ein Mimöschen!! Wenn du das nicht aushältst, dann bist du zu schwach für mich und du solltest dich lieber vom Acker machen!!!!

Dann sagte er mit hörbarer Traurigkeit, vielleicht auch etwas Ratlosigkeit und Verzweiflung, in seiner Stimme: „Du bist auf der einen Seite so ein derart gefühlvoller Mensch, doch auf der anderen Seite kannst du so kalt sein, wie ein Eisblock.“

Ich und kalt? Der hat doch keinen blassen Schimmer von mir. Er kennt mich doch gar nicht wirklich. Ich bin nicht kalt, im Gegenteil. Ich fühle so viel, dass es mich in stillen Momenten regelmäßig lawinenartig überrollt. Gott Lob gab es nicht so viele stille Momente. Ich war eigentlich stets „beschäftigt“. Beschäftigt damit, 2 Ausbildungsjahre gleichzeitig zu meistern – natürlich mit ausgezeichnetem Erfolg – und mich nebenbei ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit zu engagieren, mich um meine Mom zu kümmern und, weil noch immer viel zu wenig, auch noch für eine kleine, lokale Jugendzeitung zu schreiben.

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Runnin‘ (Lose It All) – Naughty Boy feat. Beyoncé & Arrow Benjamin

Ich musste doch Leistung erbringen. Ich musste besser sein. Ich musste mich hervorheben. Ich musste einen Wert haben und wertvoll sein. Für mich und für andere. Ich musste mehr sein, als ich dachte, dass ich bin. Ich musste diese Leere füllen, diese Risse und Lücken in mir. Ich musste immer weiter suchen nach…. ich wusste nicht wonach.

Die Einsicht

Ein paar Jahre vergingen und zugegeben, manch einer passte wirklich nicht zu mir. Brrrr  Doch das war nicht bei jedem der Fall. Der eine oder andere wäre vermutlich gar nicht mal so verkehrt gewesen, aber ich habe ihm keine Chance gegeben. Keine Chance ein Teil von mir zu werden und ich konnte nicht Teil von ihm werden. Bis….. bis ich einst in meinem Wohnzimmer stand, die tropfnasse Tasse und das Geschirrtuch in meinen Händen haltend. Im Fernseher wurde gerade eine Werbung einer Versicherung gezeigt. Eine sich liebende und glückliche Familie. Kitsch pur hoch 10 – ööäähh! Und ich brach in bitterliche Tränen aus.

Ich weinte so sehr und so laut, als würde plötzlich jeder Kummer und jeder Schmerz, der tief und gut versteckt in mir saß, in einer geballten Ladung und unaufhaltsam durch meine Tränendrüsen geschossen ans Tageslicht kommen. Ich wurde überrollt von einer Gefühlswelle, die gleichermaßen unerträglich, wie erleichternd für mich war.

Mir wurde bewusst, dass irgendwas in mir und meinem Leben gehörig schief läuft und ich auf diese Weise wohl nie Zufriedenheit und innere Ruhe erhalten werde und nie einem Menschen richtig und dauerhaft verbunden sein werde. Mist verdammt! Aber das will ich! Ich habe das Recht auf Zufriedenheit, innere Ruhe und Glück! Ich habe das Recht darauf, eine gesunde, glückliche Beziehung zu führen, zu heiraten, in ein Haus mit weißem Gartenzaun zu ziehen und die durchschnittlichen 1,5 Kinder zu bekommen! Ich habe das Recht auf so eine Zukunft und die will ich gefälligst auch! 

Was läuft nur schief? Warum 3-Monats-Lola? Warum bin ich, wie ich bin? Warum kalt, wie ein Felsblock?

Warum bin ich…. ich?

Ich setzte mich vor meinen Laptop und begann zu schreiben. Ich war gerade mal 22 Jahre, doch meine Vergangenheit, meine Kindheit und Jugend, fühlten sich damals an wie ein ganzes Jahrhundert. Ein gefühltes, ganzes Jahrhundert, bis dahin gut und tief in mir versteckt, begann ich niederzuschreiben.

Was war passiert in dieser Zeit?

Ich wuchs allein mit meiner Mom auf. Ihres Zeichens zutiefst geprägt von ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart. (Vollwaise, misshandelt, zwangsverheiratet, geflüchtet mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, einen alles verändernden Unfall erlitten, schwerkrank geworden, im Rollstuhl sitzend, finanzielle Nöte, sich völlig abgekapselt von der Außenwelt und anderen Menschen, abhängig von mir. Abhängig davon, dass ich für sie da war, für sie sorgte und mich um sie kümmerte. Sie war der personifizierte Kontrast zwischen dem gütigsten, weisesten und stärksten… und dem zynischsten, forderndsten und verletzendsten Menschen, der mir je begegnet war.)

Ein Vater, den ich nicht kennengelernt habe und nicht kannte – obschon er 16 Jahre in der unmittelbaren Nachbarschaft lebte. Bruder und Schwester mütterlicherseits, die gegangen waren als ich noch sehr klein war und spätere Erfahrungen mit ihnen tiefe Wunden in mir hinterließen. Bruder und Schwester väterlicherseits, die ich nicht kannte.

Ansonsten war da niemand. Niemand, der sich für die kleine Lola interessierte. Niemand, der diese Last und diese Verantwortung mit ihr geteilt, mit ihr zusammen getragen hätte. Ich war doch noch ein Kind.

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Times Like These – The Foo Fighters

Ich sagte immer „es macht mir nichts, es ist mir egal“ und „ich komm schon damit zurecht, alles kein Problem, ich bin stark genug dafür“. Ich war wirklich gut darin  So gut, dass ich mir dies lange Zeit selbst glaubte.

In Wahrheit war ich voller Wut, Enttäuschung und Selbstzweifel. Voller Enttäuschung und Selbstzweifel, dass mich all diese Menschen im Stich gelassen haben. Mich allein gelassen haben in meinem Leben mit meiner Mom. Als wäre ich und mein Schicksal ihnen egal. Als wäre ich es nicht wert, dass sie mir ihre Hand reichen und für mich da sind. Voller Wut, dass sie einfach abgehauen waren und mir somit als Letztverbliebene keine andere Wahl ließen, als zu bleiben und mein Leben meiner Mutter zu widmen, die jemanden brauchte. Und auch voller Wut meiner Mom gegenüber, die sich selbst von jedermann zurückzog und sich somit von mir abhängig machte.

Wie grässlich und abscheulich ist es von der eigenen Tochter, wütend auf ihre Mutter zu sein, die sich – so wie sie konnte – aufgeopfert und durchgehalten hat für sie, obwohl sie so schwerkrank war?

Gar nicht.

Ich darf wütend sein.

Ich darf enttäuscht sein.

Ich darf traurig sein.

Und: Ich BIN wertvoll. Was geschehen war, hatte nichts mit mir zu tun.

Das Resümee

Menschen machen Fehler. Die Besten unter uns machen sie. Das macht sie aber deshalb nicht gleich zu schlechten Menschen. Es macht sie nur menschlich. Es macht sie menschlich, nicht immer das Richtige tun zu können und nicht immer zu wissen, was das Richtige ist.

Sie konnten und wussten es einfach nicht besser.

Sie wollten mir damit nicht weh tun, auch wenn es weh tat.

Ich darf wütend, enttäuscht und traurig darüber sein, was und wie es geschehen ist. Ich darf sogar wütend auf meine eigene Mutter sein, denn sie hat Fehler gemacht! Und es macht sie deshalb nicht zu einem schlechteren Menschen, schmälert nicht meine Liebe und Wertschätzung ihr gegenüber sondern macht sie nur zu dem, was sie ist. Was wir alle sind. Zu einem unperfekten Menschen, der es eben nicht immer besser konnte und wusste.

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Right To Be Wrong – Joss Stone

Nie gab es die Möglichkeit oder Gelegenheit ein ehrliches und offenes Gespräch mit jemandem von ihnen zu führen. Ihnen sagen zu können, was ich gefühlt habe als sie sich verhielten, wie sie sich verhielten und als sie sagten, was sie sagten. Nie konnte ich ein „es tut mir leid“ von jemandem einfordern, das mich wahrscheinlich schon weitaus früher von meinem Kummer befreit hätte. Doch auch wenn mich nie jemand von ihnen um Verzeihung gebeten hat, ich nie von jemandem diese Worte gehört habe sondern einzig und allein Erklärungen und Rechtfertigungen für alles, was und wie es geschehen ist und ich diese bis dahin eben einfach hingenommen und akzeptiert hatte, habe ich ihnen verziehen. Erklärungen und Rechtfertigungen mögen ebenso ihre Berechtigung und Richtigkeit haben, keine Frage. Aber sie werden nie ein aufrichtiges „es tut mir leid“ ersetzen. Dennoch habe ich ihnen verziehen. Mir zuliebe.

Ich hatte endlich gefunden, wonach ich gesucht habe.

Gegenwart

Heute kann ich es ernst und annehmen, wenn man mir sagt, dass meine Worte oder mein Verhalten ihn verletzt, enttäuscht oder sauer gemacht haben – ohne mit verständnisloser Wut zu reagieren oder Gegenargumente abzufeuern. Heute bin ich kein vermeintlicher Felsblock mehr. Heute bin ich nicht mehr die 3-Monats-Lola von damals. Heute traue ich mich, Menschen Teil von mir werden zu lassen und ich traue mich, Teil von ihnen zu werden. Heute bin ich nicht mehr rastlos auf der Suche. Heute bin ich zufrieden. Heute weiß ich, dass ich wertvoll bin und nur das Beste verdiene.

Weil ich es mir selbst zugestanden habe, mich so fühlen zu dürfen. Weil ich es mir selbst zugestehe, mich so zu fühlen, kann ich es anderen zugestehen. Weil ich heute keine Zeit mehr verstreichen lasse sondern sage, wie ich mich fühle. Weil ich heute nach wie vor verzeihe, wenn es jemand mal nicht besser konnte und wusste. Weil ich heute weiß, dass Erklärungen und Rechtfertigungen kein Ersatz für ein „es tut mir leid“ sind.

Ich sage nicht:

„Ich war so furchtbar zu dir, weil mich einfach meine Vergangenheit so verkorkst hatte.“

Ich sage:

„Es tut mir leid, dass ich so furchtbar zu dir war. Bitte verzeih mir.“

Und das tat ich auch tatsächlich, indem ich nachträglich jeden einzeln kontaktierte, von dem ich noch Daten hatte.

(Für alle anderen soll stellvertretend nun dieser Snap stehen. Auch wenn ich mir niemals anmaßen möchte, dass du dich nach so langer Zeit noch an mich erinnerst oder es noch Bedeutung für dich hätte – und du auch noch zufällig über diese Zeilen hier stolperst: Es tut mir leid, bitte verzeih mir.)

Und ebenso kann ich heute meine Tochter um Verzeihung bitten, wenn ich einen Fehler gemacht oder sie verletzt habe. Ich weiß nun, wie wichtig es ist und wie sehr es weh tun kann, es nicht zu tun.

Zukunft

2 Jahre. 2 Jahre des Niederschreibens, der Reflektion und der Einsicht brauchte es. Und doch ist alles ein endloser Prozess und bleibe ich unperfekt. Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen. Ich mache Fehler. Kann und weiß es nicht immer besser. Aber ich lerne, arbeite an mir, entwickle mich weiter und versuche zumindest die Fehler meiner Vergangenheit nicht zu Fehlern meiner Gegenwart und Zukunft werden zu lassen.

Du auch?