Warten auf Manuel

Von Guidorohm

Klar. Er müsste längst da sein. Die Tür aufschließen. Hereinspazieren. Einen Kuss in die Luft drücken. Sagen: Da bin ich.

Ich sitze vor dem Fernseher. Eine dieser dämlichen Shows. Gesucht wird ein neuer Popstar. Weil mich das langweilt, stelle ich mir vor, wie sie den Papst vor ein Erschießungskommando zerren. Ich sehe es deutlich vor mir. Dieser Gesichtsausdruck. Der Zweifel, der sich über seine Wangen arbeitet. Schüsse. Der Papst sackt zusammen. Sie holen den Nächsten. Der Dalai Lama. Das ist nun wirklich mal eine gute Show. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Und Manuel. Ich rufe ihn auf seinem Handy an. Nichts zu machen. Er muss es ausgeschaltet haben.
Also schenke ich mir einen Wodka ein.
Schalte auf einen Nachrichtensender. Die zeigen noch das wahre Leben. Leichenteile. Liegen verteilt auf einem Feldweg. Wo ist das nur? Egal. Weiter.
Ich könnte mir einen Porno ansehen. Nein!

Später erzählen sie mir Einzelheiten. Ich muss immer wieder darüber nachdenken. In den Nächten träume ich davon.
Manuel hatte einen Verkehrsunfall. Da kann man natürlich lange warten.
Ein Besoffener steuerte sein Auto frontal in den Wagen Manuels. Seltsam. Ich habe sogar Fotos gesehen. Aber ich kann es immer noch nicht glauben.
In meinem Kopf läuft es als Action-Film ab.

Damals weiß ich noch nichts davon. Ich rauche auf dem Balkon eine Zigarette.
Unter mir läuft ein streitendes Paar. Ich verhalte mich ganz ruhig. Beuge mich über das Geländer. Richtig verstehen kann ich nichts.
Enttäuscht gehe ich wieder in die Wohnung. Ich schaue auf die Uhr, kann nicht ahnen, dass Manuel in diesem Augenblick stirbt. Er verschmilzt mit seinem Wagen. Er und sein Auto werden zu einem Wesen. Daran muss ich später denken.

Manuel wird nicht kommen. Jetzt bin ich mit Bernd zusammen. Ich spreche nicht über Manuel. Wir sehen uns Pornos an. Kriegsfilme.
Er holt mir mit der linken Hand einen runter. Ganz nebensächlich. Ich spritze ab. Bernd lächelt kurz. Dann verabschiedet er sich.
Ich glaube, ich könnte mich in Bernd verlieben.

Als Manuel starb, da starben so viele andere Menschen. Es ist nichts wirklich Besonderes.
Ich muss nur die Nachrichten einschalten. Unzählige Menschen werden in jeder Sekunde erschossen. Sie verhungern. Sie werden zu Todes gefoltert.
Sie sind Teil meines Fernsehprogramms. Mehr nicht.

Manuel ist nicht gekommen. Ich fluche auf ihn. Mehrmals. Ich spiele mit dem Gedanken, alleine in den Club zu gehen. Tanzen. Flirten. Ein paar Drinks.
Ich lasse es, weil ich müde bin.
Ich lege mich in mein Bett. Ich sehe zu dem Kissen neben mir hin.
Ich stelle mir Manuels Gesicht vor.
Später stelle ich es mir auch oft vor. Dann aber ist es über und über mit Blut besudelt. Frisches Blut. Der Anblick erregt mich. Ich schlafe mit Manuel, mit dem nun toten Manuel, der seinen Schwanz mit aller Heftigkeit ins meinen Arsch stößt. So war er gar nicht. Der tote Manuel gefällt mir. Ich könnte mich an ihn gewöhnen.

Sie klingeln in der Nacht. Sie haben meine Adresse von Manuels Mutter. Sie teilen mir seinen Tod mit. Ich nicke nur stumm. Gehe in die Wohnung zurück.
Ich schalte den Fernseher ein, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun sollte.
Die Show vom Abend wird wiederholt. Ich sehe hin. Ich denke nicht an Manuel. Die Show langweilt mich noch immer.
Ich schalte um. Da sind Frauen, die sich ausziehen.
Ich sehe zur Tür hin.
Manuel wird nicht kommen.
Ich schalte weiter. Irgendwo wird schon ein guter Film kommen. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
Niemals.

Manuel wird nicht kommen. Ich habe mich daran gewöhnt. Jetzt kommt Bernd. Auf Bernd ist Verlass.
Wir sprechen nicht über Manuel. Das würde sich nicht gehören.
Wir sitzen vor dem Fernseher. Sie zeigen eine Dokumentation über Verkehrsunfälle.
Über Manuel berichten sie nicht.
Manuel ist zu meiner heimlichen Liebe geworden. Die ideale Liebe.
Er ist der perfekte Liebhaber. Ich muss nie auf ihn warten, weil er schon längst da ist. Das ist das Gute an den Toten. Man kann sich auf sie verlassen.

Bernd hat mich verlassen. Ich würde nicht zuhören, hat er gesagt.
Ich habe nichts erwidert. Reisende soll man ziehen lassen. Außerdem habe ich Manuel.
Ich streife die Unterhose über meine Füße. Mein Schwanz ragt in die Luft.
Manuels blutverschmiertes Gesicht lächelt mich an.
„Endlich“, sagt er.
„Tut mir leid. Ich stand im Stau.“
„Ich habe gewartet“, sagt Manuel.
„Das ist gut. Sehr gut sogar.“
Ich küsse ihn. Ich habe ihn zum Fressen gern. Irgendwann werde ich ein Stück aus seinem Körper beißen.
Ich bin noch nicht soweit. Aber der Tag nähert sich. Ich kann es spüren.
Ich habe mich nie lebendiger gefühlt. Der tote Manuel fickt mich. Ich schreie laut auf.
Das ist gut so. Das ist der Beweis.
Ich bin noch am Leben.