Warnung: In dieser Rezension spukt es

Von European-Cultural-News

Ist das da ein Kopf in Ihrer Tasche, Frau Doktorin?

Dass es hier spukt, wird schon gleich am Anfang festgestellt. Frau Dr. Krone (Corry Riesz) bittet bereits in der zweiten Szene eine in diesem Krankenhaus berüchtigte Simulantin (Veronika Vitovec) Symptome eines Gehirntumors vorzutäuschen. Suse Melchior ist darüber hinaus nämlich auch Spiritistin und tatsächlich, sie und Dr. Krone hören ein deutliches Wimmern, das Publikum nicht. Schnell wird aus einem kürzlich heruntergefallenen Heft und einem Luftzug im Nacken ein hilfesuchendes Wesen, dem sich Frau Melchior entschlossen annehmen will. Dr. Krone: „Wenn man das Ohr an die Tür legt, hört man ein Klingeling!“ Frau Melchior: „Wie eine Totenglocke?“ Oder ein Mobiltelefon.


“Geister” ist im Moment im Brick-5 zu sehen (Fotos: Junger Salon, Tanja Gruber)


So in etwa fängt das neue Stück „Geister“ des Jungen Salon unter der Regie von Isabella Wolf an. In einem Krankenhaus, das viele Verbindungen zum Abriss des „Kaiserin Elisabeth Spitals“ zieht, ausgerechnet einem Ort der Wissenschaft!, spukt es. Der obige Ausschnitt steht allerdings nicht für das Gesamte. Basierend auf der trashigen Horror-TV-Serie von Lars von Trier „The Kingdom“ bewegt sich diese Inszenierung ständig auf einer Grenze. Allein die erste Szene, wie eine hoch literarische Kurz-Prosa für sich stehend, zeigt dies. Zwei statische Putzfrauen, die nichts anderes als den Besen selbst reinigen, während sie wie ablesend sprechen: „Wenn die Welt traurig ist, weinen die Kinder. Wenn die Welt schrecklich ist, weinen die Erwachsenen. Aber was ist mit der Welt, wenn sogar die Häuser weinen?“

Und dieses Krankenhaus weint ständig. Aus der Decke hängt neben einer großen Lampe ein Beton- verschmiertes Rohr, konstant in einen Eimer tropfend. An der hinteren Wand stehen derweil stilisierte Versionen präservierter Köpfe, zur Erforschung von Schilddrüsenerkrankungen. (Hier zum Beispiel findet sich eine der Querverstrebungen zum Kaiserin Elisabeth Spital, das sich als Schilddrüsen-Zentrum europaweit einen Ruf machte.)

„Kranke Ärzte – wo gibt es denn so was!“

Unter dem monotonen Tropfen spielt sich vieles nebeneinander ab. Da ist zum Beispiel der Handlungsstrang einer deutschen Neurochirurgin, Dr. Helmer (gespielt von Carmen Schrenk), die angeklagt ist, durch einen Kunstfehler die junge Patientin Mona (Gunda Kinzl) zu einem Pflegefall gemacht zu haben. Nun setzt Dr. Helmer für ihr gefährdetes Ansehen alle Hebel in Bewegung, bis hin zu einer Straftat mittels Bestechung einer Pflegerin (Wally Friedl).
Diese schauspielerisch schwierige Situation zwischen Doktorin, aber vor allem Mutter (Judith Neichl) und Kind war regietechnisch gewagt, nicht zuletzt wegen der schweren Behinderung Monas, ist aber durch die schonungslose Umsetzung und schauspielerische Leistungen eine der stärksten Seiten des Stückes.

Die äußerst kurzen, prägnanten Szenen mit Reinigungskräften verschiedener Anzahl (Lisa Pavitschitz, Vanessa Dorlijski oder Christina Strnad), ziehen sich durch das gesamte Stück und sind schon allein textlich ein Geniestreich. Wahrscheinlich angelehnt an die Teller- waschenden Krankenhausangestellten aus Triers Serie, (in der sie beide von Darsteller/-innen mit Trisomie 21 gespielt werden), wissen sie Dinge, integrieren sich in den morschen, abrissreifen Hospital-Komplex. Dabei bleiben die Reinigungskräfte immer auf einer distanzierten, literarischen Ebene, sind wortkarg, oft steif und so sehr geschickt (ohne Behinderung) inszeniert – mehr Krankenhaus als Mensch.

In einer weiteren Konstellation steht Dr. Arnsberg (Madgalena Lermer) einer alten, komatösen Patientin (Christina Strnad) gegenüber, zwischen ihnen eine moralische Grauzone. „Geister“ vom Jungen Salon setzt sich hier subtil mit dem Forschungsargument in der Medizin auseinander, und die möglichen unethischen Auswüchse, die sich daraus im Tun der Schilddrüsenexpertin Arnsberg ergeben. („Sie würden für ein neues Präparat doch über Leichen gehen!“) Diese Auswüchse gehen weit zurück, über Generationen, und haben nicht wenig mit jenem alles auslösenden Wesen zu tun. Was als Luftzug anfängt, breitet sich wie ein Krankheitsverlauf im gesamten Gebäude aus, befällt sämtliche Figurenkreise.

Zwischen Séancen, Kleiderhaken und plötzlichem Blut

Zwischen Séancen, Beschwörungsstöcken in Kleiderhakenform, plötzlichem Blut, lyrisch- philosophischen Putzfrauen, einer ergreifenden Todesszene eines Patienten ( Mikey Kirchhofer), einer genial eingesetzten Puppe, dem absurden Windmühlenkampf der Primarin (Luzia Oppermann) gegen den Abriss des Hospitals, vielen Teufelsbeschuldigungen und Kreuzen, Vaterunsers und schlechten Vätern, verzweifelter Mütter, trauernder Töchter und sogar einer Ministerin mit erstaunlicher Körperspannung (beide Heidy Fu) und nicht zu vergessen einer Dame der SVA (Judith Neichl), die in der dritten Szene auftritt und in der letzten noch immer nicht den Ausgang gefunden hat, zwischen all diesen scheinbar konträren Elementen ergibt sich in „Geister“ eine seltsame Kohärenz. Was zu Beginn als Kontrast die vielen verschiedenen Ebenen trennte, fügt sich in ein Gesamtes. Welches das Krankenhausgebäude ist.

Nass, dunkel, und beengt. Die Bühne im brick-5 ist sehr klein und ebenerdig. Anfangs war das eher nachteilig, von der vierten Reihe aus konnte man große Teile des Bühnenbodens nicht sehen. Doch zeigt sich zunehmend im Verlauf, wie geschickt die Enge dem Stück zuspielt. Dazu wird der Raum virtuell vergrößert durch verschiedene Videoprojektionen von Gängen, Kellern und Fahrstühlen auf eine seitliche Wand zwischen Bühne und Publikum. Die Enge büßt jedoch nichts in seiner Wirkung ein, eher verstärkt die Projektion das Gefühl im Publikumsraum, in einem surrealen, lebendigen Kellerraum zu sitzen.

Das ständige Tropfen, die Kürze der Szenen und die vielen Blacks, die mehr wie unbehagliche Stromausfälle wirken, werden als notwendiges Mittel eingesetzt. Das Sekundengezähle, all diese kleinen Details zwischen den großen Bildern, etwa einem Dr. Krone, der auf Knien und rosenkranzbetend über die Bühne kriecht, musikalisch extrem wirkungsstark untermalt – alles spielt auf eine spukhafte Art ineinander.

Und Horror ist jetzt auf einmal Kunst, ja klar!

Die Musik (Felix Pöchhacker, Benedict Schlögl) trägt hier einen enormen Teil dazu bei. Sämtliche Ebenen werden bedient, optisch und musikalisch. Es war mutig, sich des Horror-Genres zu bedienen, ist es doch durch Filmen wie „SAW“ und der gleichen ein sehr seichtes und hat auch einen Ruf als solches. „Geister“ erzeugt eine ganz andere Färbung von Horror. Es ist vielleicht auch weniger „trashig“ als die Trier-Serie, mit traurigeren Noten und einer anderen Art von Musik, ohne die die Produktion des Jungen Salons diesen feinen Spagat wohl nicht so gut hinbekommen hätte.

Ungewöhnlich ist bei „Geister“ der Aufbau des Spannungsbogens. Gleich am Anfang ist klar, dass es spukt. Das Publikum muss das auch schnell einfach hinnehmen. Bei den meisten Produkten dieses Genres wäre jetzt aus Ermangelung eines tatsächlichen Plots das meiste Pulver verschossen worden. Nicht hier. Ich denke, das spricht sehr viel über das Stück. Noch ein Tipp: Achten Sie auf den Milchreis mit Mandeln. Er führt zu einer der allerschönsten letzten Szenen.


Ach, ich habe Sie gewarnt, hier hätten Sie dringlichst zum Lesen aufhören müssen!
Nun ist es zu spät, oh, das tut mir ja so leid! Aber jetzt tropft es aus ihrem Bildschirm, das Wasser sickert in die Seite und macht sie ganz unlesbar gewellt. Achtung!, da kommen schon die plötzlichen Stromausfälle. Woher die ganzen rostigen Kabel kommen oder was Sie mit ihnen tun müssen, das weiß ich dummerweise nicht, aber eines ist von allergrößter Wichtigkeit.


Termine:
25.- 27. April 2014, 30. April und 1. -2. Mai 2014 ab jeweils 19:30
im Brick-5, Fünfhausgasse 5, 1150 Wien

Links:

Informationen zu „Geister“
Ticketreservierung
Trailer

Was wäre ein Theaterstück ohne Kritik?

Der Junge Salon im Brick-5 gibt theaterbegeisterten Jugendlichen die Möglichkeit, unter Anleitung von Profis aktiv ein Theaterstück zu erarbeiten. European Cultural News findet dieses Idee großartig und unterstützt sie mit einer adäquaten Aktion. Drei schreibbegeisterte junge Menschen wagen hier ihr erstes öffentliches Auftreten als Kritikerinnen und Kritiker. Sie als Lesende haben dabei die seltene Möglichkeit eines Kritikvergleiches in einem einzigen Medium. Theaterspielen muss erlernt werden, Kritiken schreiben auch. Es ist wunderbar zu sehen, wie sehr sich die Kritiken voneinander unterscheiden und wie stark jeweils die „persönliche Handschrift“ lesbar wird. Unser Dank gilt Benedikt Müller, Fabienne Sigaud und Katharina Godler – deren Kritik erst ab Donnerstag zu lesen sein wird.