War Norditalien der Entstehungsort der Gründerpopulation des aschkenasischen Judentums?

"Der Ursprung der Ashkenasim ist ungeklärt"

The origins of the Ashkenazim are obscure,

heißt es auf dem diesbezüglichen Artikel auf Wikipedia bis heute! Der vorliegende Blogartikel erschien vor genau drei Monaten und ging der These nach, dass die Gründerpopulation des aschkenasischen Judentums in Worms, Speyer und Mainz entstanden wäre und von Anfang an da gelebt hätte. Diese These soll heute aktualisiert werden anhand neuer Hinweise (2). In die genannten Rheinstädte Worms, Speyer und Mainz ist nämlich im 9. Jahrhundert auch die bedeutende jüdische Familie der Kalonymiden aus Norditalien (Lucca) zugewandert (s.a. Wikipedia dt. und engl.). Was uns bislang nicht bekannt war. Dies ist aber das Thema eines angekündigten Vortrages von Michael Schneider im Archäologischen Landesmuseum Brandenburg am 4. November 2015: "Aschkenas - Archäologie des Judentums in Mitteleuropa von der Spätantike bis in die Neuzeit", der angekündigt wird mit den Worten:

Etwa seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. leben Juden in Aschkenas, also auf dem Gebiet Mitteleuropas. Die meisten kamen im Zuge der römischen Expansion nach Germanien. Ihre Geschichte ist von Anfang an eng mit der Kulturgeschichte Deutschlands verwoben. (...) Das Judentum ist eine Gemeinschaft der Sprache, der Schrift und deren Tradierung. In dem Vortrag wird dargestellt, inwieweit die Archäologie hilfreich bei der Erforschung und der Rekonstruktion jüdischen Lebens wirken kann. An aktuellen Beispielen u.a. der SCHUM-Gemeinden (Speyer, Worms und Mainz) werden die Ergebnisse zusammenfassend erörtert und anschaulich jüdisches Leben dargestellt.
The closest matches were with mtDNAs from people who today live in and around Italy.
The results imply that the Jews can trace their heritage to women who had lived in Europe at that time. Very few Ashkenazi mtDNAs could be traced to the Middle East.
Wie die Juden legten auch die Langobarden auf ihre langen Bärte und das lange Haupthaar größten Wert.

Doch im folgenden bleibe der ursprünglichen Blogartikel einfach so stehen, wie er bisher eingestellt war, mit Ausführungen, die der Sache nach womöglich nun eher auf Norditalien als auf den deutschen Rhein zu beziehen wären. Sie geben also weiterhin höchstens noch Zeugnis von unserem intensiven Suchen, weniger vom abschließenden Finden. Sie geben also Zeugnis davon, dass Wissenschaft immer auch verbunden ist mit Irrwegen und zunächst falschen Hypothesen! :) (Aber man kann sie oft auch erst um so leichter und bedeutungsvoller widerlegen, um so intensiver man ihnen zuvor nachgegangen ist.)

Ein neuer Gedankengang dazu

Wenn man sich nun überlegt, aufgrund welcher Szenarien diese so sehr noch im Dunkeln liegende Gründerpopulation zustande gekommen sein kann, so kommt man zu folgender neuer Überlegung: So weit bekannt, spielen die jüdischen Frauen, sprich, die jüdischen Mütter eine große Rolle für die aschkenasisch-jüdische Kultur. Eine nicht hinweg zu denkende. Wohin man blickt, wird in ihr dementsprechend auch von der jüdischen Mutter mit Ehrfurcht und Respekt gesprochen.

Die Rabbiner haben sich auch immer wieder eingehend damit beschäftigt, dass den Frauen eine äußerst wohlwollende Stimmung innerhalb ihres Volkes entgegen gebracht würde. Schon das ist eigentlich sehr interessant zu beobachten.

Die Frage stellt sich aber dennoch: Wie konnten die aus den romanischsprachigen Teilen des damaligen untergehenden römischen Reiches und der dortigen germanischen Nachfolgereiche nach dem Rhein zuwandernden Männer jüdischer Herkunft (oft Angehöriger der Priesterkaste Kohanim, die sich bis in die Gegenwart genetisch in männlicher Linie "rein" erhalten hat) einheimische germanische Frauen so sehr von ihrer jüdischen Religion und Lebensweise überzeugen, dass diese bis heute eine solche starke Überzeugtheit von dieser und Identifikation mit derselben aufzeigen? Und zwar obwohl sie zum Beispiel im religiösen Leben der Gemeinden klar untergeordnet sind, kaum ein Mitspracherecht haben, ihre Anwesenheit in den Gottesdiensten eigentlich gar nicht notwendig ist aus der Sicht der Priesterschaft?

Der uns wichtige, neue Gedankengang ist nun folgender: Man möchte meinen, dass nichtjüdische Frauen, die in einem solch umfangreichen Ausmaß zur Identifikation mit der jüdischen Religion und Kultur gebracht werden sollen, zuvor schon "vorbereitet" gewesen sein müssen. Man möchte also meinen, dass es sich um Frauen gehandelt hat aus germanischen Bevölkerungsteilen, die schon seit vielen Generationen christianisiert worden waren. Diese Überlegung drängt den Gedanken auf, dass es sich um Frauen aus jenen alemannischen und fränkischen Bevölkerungsteilen gehandelt haben könnte, die am frühesten zum Christentum übergetreten sind.

Der christliche Königshof der Burgunder in Worms (406 bis 435)

Um nun die Ethnogenese des aschkenasisch-jüdischen Volkes zeitlich und räumlich noch klarer eingrenzen zu können, müsste man sich deshalb wohl die Siedlungs- und Missionsgeschichte der Alemannen und Franken anhand der archäologischen Ausgrabungen und der schriftlichen Überlieferungen anschauen. Zu den Burgunden heißt es auf Wikipedia:

Nach dem Abzug eines großen Teiles der römischen Truppen vom Rhein im Jahr 401 war der Weg über den Fluss frei. Der Übergang bei Mainz am 31. Dezember 406 (siehe Rheinübergang von 406) setzte vermutlich die Landnahme des nördlichen Alamannenlandes bis zum unteren Neckarbergland voraus. (...) Nach Olympiodoros von Theben (dessen Werk aber nur fragmentarisch erhalten ist) erhoben im Jahr 411 Burgunden unter ihrem Anführer Gundahar (auch als Gundihar oder Gunthahar überliefert) gemeinsam mit Alanen unter Goar in Mundiacum in der Provinz Germania II den Gallorömer Jovinus zum Gegenkaiser. Die ältere Forschung hat dies in der Regel dahingehend „verbessert", dass das unbekannte Mundiacum mit Moguntiacum (=Mogontiacum bzw. Mainz) in der Provinz Germania I gleichgesetzt wurde.

Die Burgunden wurden von den Römern offenbar als Bundesgenossen innerhalb der Reichsgrenzen am Rhein angesiedelt. Weiter heißt es:

Orosius († um 418) behauptete in seinen letzten Lebensjahren, die Burgunden seien nunmehr Christen und überdies keine Feinde mehr, sondern Beschützer der Römer (Hist. adv. pag. 7,32). (...) Doch Gundahars Bemühungen, seinen Machtbereich unter Ausnutzung erneuter innerrömischer Konflikte nach Westen (in die Provinz Belgica I) auszudehnen, brachte die Burgunden schließlich in Konflikt mit den Römern. Im Jahr 435 wurde ein burgundisches Heer vom weströmischen Heermeister Aëtius besiegt und musste sich wieder in die Germania I zurückziehen. Ein Jahr darauf wurde das Burgundenreich am Rhein von hunnischen Hilfstruppen Westroms endgültig vernichtet. Dieses Ereignis stellt den historischen Kern der Nibelungensage dar, wobei Attila, das Vorbild für den mittelhochdeutschen Etzel bzw. altnordischen Atli der Sage, in Wahrheit keine Rolle beim Untergang des rheinischen Burgundenreiches spielte.
Das um 1200 entstandene Nibelungenlied nennt dieses Volk Burgonden und seinen König Gunther. Das Burgund des 12. Jahrhunderts lag jedoch um Arles (Königreich Arles) sowie weiter nördlich (Herzogtum Burgund in der Region um Dijon), während die Burgunden des 5. Jahrhunderts einige Jahre nach der Zerschlagung ihres Reichs am Rhein in der Gegend südlich des Genfer Sees angesiedelt wurden (siehe unten). Um die Unterschiede zu betonen, ist es in der Forschung oft üblich, nur das Volk der Nibelungensage als Burgunden, das historische Volk hingegen als Burgunder zu bezeichnen.

Damit spielt das christliche Burgunderreich von Worms nur in den Jahren 406 bis 435 eine Rolle. Man fühlt sich an die kurze Lebensdauer der etwas später begründeten Reiche der Wandalen in Nordafrika (429 bis 533) und der Ostgoten in Italien (488 bis 552) erinnert. Dass schon zumindest ein Teil der Burgunden in Worms christlich geworden ist, ebenso wie wir dies von den eben genannten Ostgoten wissen, ebenso wie dies von den die Burgunden in Worms ablösenden Franken gilt, wird auch durch zwei auf dem Wormser Kirchfriedhof schon im 19. Jahrhundert gefundene römischsprachige Grabsteine bestätigt für die 50-jährige "Pauta" und den 30-jährigen Ludino. Beide Grabsteine mit christlicher Bildsprache (u. a. Christogramm). Ihre beiden Namen ebenso wie die anderen auf den Steinen genannten Namen sind von der Forschung als germanische aufgefasst worden (1, S. 870):

Beide Grabinschriften belegen überzeugend, dass es hier bereits zu Beginn des 5. Jahrhunderts Germanen gab, die sich zum Christentum bekannten.

Die Inschrift des ersten, ins erste Drittel des 5. Jahrhunderts datierten Grabsteins lautet übersetzt (1, S. 871):

Hier ruht in Frieden Pauta ihres Namens, gestorben nach 50 Jahren, 6 Monaten und 15 Tagen. Den Grabstein errichteten Puasi und Quito und Siggo, Boddi, Ivio.

Die Inschrift des zweiten, ins zweite Drittel des 5. Jahrhunderts datierten Grabsteins lautet übersetzt (1, S. 870):

Hier ruht in Frieden Ludino, der 30 Jahre lebte. Die Inschrift setzte seine Ehefrau Duda.

(Abbildungen der beiden Grabsteine hier, sowie hier und hier.) Wir wissen von den Westgoten, dass sie nach dem Hunnensturm von 375 und in Flucht vor demselben nur dann über die Donau hinter die Grenzen des römischen Reiches fliehen durften, wenn sie sich zugleich zum Christentum bekehrten. Vielleicht galt ähnliches auch für die als Bundesgenossen der Römer über den Rhein vorgedrungenen Burgunden. Jedenfalls deutet somit vieles darauf hin, dass die christlichen Gemeinden in den vormals römischen Städten Trier, Köln, Mainz, Worms und anderwärts während der Völkerwanderungszeit niemals ganz untergegangen sein müssen. Die die Kirchen umgebenden Friedhöfe scheinen ohne Unterbrechung von Christen benutzt worden zu sein, wobei sich auch die zuwandernden Germanen in die christlichen Gottesdienste und in die Friedhofsbenutzung scheinen eingeordnet zu haben. All das ist ja auch von dem etwas später begründeten Goten-Reich Theoderichs des Großen (451-526) bekannt.

Die Juden unter den Westgoten (418 bis 711)

Wahrscheinlich haben die Juden des römischen Reiches zu den toleranteren Arianern unter den christianisierten Germanenvölkern sogar noch eher Zugang gefunden als zu den damaligen romanischsprachigen "Mehrheitschristen", unter denen der religiöse Antisemitismus ja schon sehr stark ausgeprägt gewesen ist. Jedenfalls wurden damals von den Mehrheitschristen wo immer sie auftraten "Heiden, Juden und Arianer" in einem Atemzug genannt. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Beschlüsse des dritten Konzils von Toledo der Westgoten im Jahr 589 gegen Arianer und Juden, nachdem der westgotische König zu den Mehrheitschristen übergetreten war und nachdem die Westgoten damit eine ganz neue Identität als Volk angenommen hatten ( Wiki):

Zu den Konzilsbeschlüssen gehörten auch Maßnahmen gegen die Juden; ihnen wurde unter anderem verboten, christliche Frauen zu heiraten oder christliche Konkubinen zu haben, und Kinder aus solchen bereits bestehenden Verbindungen mussten getauft werden.

Über das vierte Konzil von Toledo im Jahr 633 heißt es:

Das Konzil missbilligte die von König Sisebut (612-621) angeordneten Zwangstaufen der Juden, erklärte sie aber für kirchenrechtlich gültig; den auf Sisebuts Veranlassung zwangsweise getauften Juden wurde verboten, zu ihrem angestammten Glauben zurückzukehren.

Das sechste Konzil tagte im Jahr 638:

Es fasste unter anderem Beschlüsse gegen die Juden, wobei den Konzilsakten zufolge der König die treibende Kraft war. Die Bischöfe billigten die Absicht des Königs, das Judentum in seinem Reich gänzlich auszurotten und keine Nichtkatholiken zu dulden.

Auch noch 693 und 694 wurden entsprechend scharfe Gesetze gegen das Judentum beschlossen, da man sie verdächtigte, die Muslime zum Angriff auf das Westgoten-Reich in Spanien zu ermuntern. In diesem Angriff ist das Westgoten-Reich dann ja auch ab 711 untergegangen.

Christianisierte germanische Frauen in etwa dritter Generation?

Es ist also bekannt, dass in der Regel zuerst die Oberschicht der germanischen Völker zum Christentum übergetreten ist. Und dies wird ebenfalls zunächst vor allem für die frühe Stadtbevölkerung dieser Völker gelten. So wie die romanisierten Bevölkerungen links des Rheins werden auch die dort lebenden ("sephardischen") Juden mit den zuwandernden Germanen-Völkern auf einen ganz neuen "Menschenschlag" getroffen sein. Und dieser "Kulturschock" wird am Rhein nicht - wie unter den Westgoten in Spanien oder an der Loire und Seine unter den Franken dadurch abgemildert gewesen sein, dass es noch eine größere romanischsprachige Vorbevölkerung gab. Diese wurde am Rhein vielmehr ebenfalls "germanisiert". Und so wird für die ("sephardischen") Juden am Rhein noch viel schwieriger gewesen sein, sich - zumal als eigenständige religiöse und ethnische Gruppierung - inmitten dieses ganz neuen Menschenschlages zu behaupten als weiter westlich, zumal nachdem auch die Franken unter Chlodwig um 500 zum katholischen (nicht arianischen) Christentum übergetreten waren.

Auf dem Flächenland rechts des Rheines treten um 500 n. Ztr. ganz unregelmäßig Kreuzbeigaben und andere christliche Symbole in den alemannischen und fränkischen heidnischen Reihengräbern auf. In dem Augenblick, in dem die Reihengräberfelder nicht mehr weiter belegt wurden, sondern sich die nun eindeutig christlichen Gräber um eine örtliche Kirche gruppierten, ist die jeweilige Christianisierung vor Ort als im wesentlichen abgeschlossen zu erachten. Auf Wikipedia heißt es ( Alemannen):

Im 7. Jahrhundert begannen Teile der Oberschicht, ihre Toten nicht mehr auf den Reihengräberfeldern, sondern beim Herrenhof zu bestatten. In dieser Zeit zeichnen oft Steinkisten die Gräber aus. Durch die Christianisierung wurden Anfang des 8. Jahrhunderts die Reihengräberfelder ganz aufgegeben und die Friedhöfe künftig um die Kirche herum angelegt.

Genauer detailliert ist auf einer anderen Internetseite zu erfahren, wobei der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem etwas abgelegeneren Allgäu liegt ( Oberstorf Online):

Im 6. und 7. Jahrhundert sind die Zeugnisse für ein bewusstes und lebendiges Heidentum der Alemannen leicht nachweisbar. So wurden im ländlichen Raum noch nahezu alle Toten in Reihengräberfeldern mit Grabbeigaben bestattet. Funde in Sonthofen, Altstätten und Fischen belegen dies auch für unser Gebiet. Die Kirchenorganisation im 6. Jahrhundert war einfach noch nicht in der Lage, eine Missionierung in größerem Stile durchzuführen.
Dies änderte zu Beginn des 7. Jahrhunderts (...). Beschleunigt wurde zu dieser Zeit die Christianisierung durch den Machtzuwachs des fränkisch-alemannischen Adels, der zunehmend den Bau von Kirchen betrieb. Häufig waren das sogenannte Eigenkirchen, die zum Teil aus heidnischen Tempeln zu Kirchen umgewandelt wurden. Der Grundherr und nicht der Bischof bestimmte die Priester, die häufig selbst noch dem alten Glauben zugetan waren. Erst etwas um 720 wurde dann an der Stelle der Zelle de Hl. Gallus das Kloster St. Gallen gegründet, das sich, wie wir unten lesen werden, der kirchlichen Durchdringung des alemannischen Allgäus annahm. (...)
Durch die Reihengräberfunde in Sonthofen, Altstätten und Fischen wissen wir sicher, dass sich die Allgäuer Alemannen um 700 noch zu ihren alten Göttern bekannten. Dies blieb so bis Mitte des 8. Jahrhunderts, denn warum sonst sollte der erste sicher nachgewiesene Bischof der Diözese Augsburg Wikterp († um 772) Magnus ins Allgäu holen.

Das hieße, dass die Alemannen auf dem Land erst um 750 n. Ztr. in ihrer großen Mehrheit zum Christentum übergetreten sind. Der burgundische Königshof von Worms ist es womöglich schon um das Jahr 406 herum. Man sieht aus diesen beiden Jahreszahlen die große zeitliche Dauer, die der Christianisierungs-Prozess der germanischen Völker in Anspruch nahm.

Die zentrale Rolle von Mainz, Speyer und Worms

Die drei SchUM-Gemeinden Mainz (belegt ab 917), Speyer und Worms (ab 980) gelten als Beginn des aschkenasischen Judentums.
Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die jüdischen Gemeinden in Zentraleuropa gelten sie als Geburtsstätte der aschkenasischen religiösen Kultur.

So deutlich hat man es früher auf Wikipedia nicht gelesen und liest man es noch heute auf dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel noch nicht. Freilich ist das Jahr 917 schon recht spät. Aber so unwahrscheinlich wird es dennoch nicht sein, dass sich die Volkwerdung des aschkenasisch-jüdischen Volkes zwischen 400 und 700 n. Ztr. in den drei Städten Mainz, Speyer und Worms vollzogen hat. Ob hier die Archäologie noch neue Erkenntnisse zutage bringen wird? Womöglich sogar die DNA-Forschung an Knochenfunden aus nachweisbar jüdischen Gräbern in einer dieser drei Städte, bzw. natürlich auch an Knochenfunden aus nichtjüdischen Gräbern?

Gab es zwischen 700 und 800 n. Ztr. christliche, sich stark auf das Judentum hin orientierende Gemeinden in Mainz, Speyer und Worms?

Ein Gemeinschaftsgefühl unter allen ostfränkischen germanischen Stämmen bildete sich mit dem Bewusstwerden einer gemeinsamen Volkssprache heraus (im Gegensatz zum Lateinischen und den romanischen Sprachen bei den westfränkischen Stämmen). Die zweisprachig abgefassten Straßburger Eide aus dem Jahr 842 werden allgemein als erstes Anzeichen der sprachlichen Trennung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk angesehen.

Es wäre nun einmal zu untersuchen, ob es schon in damaligen germanisch-christlichen Bevölkerungsteilen in Worms und anderwärts Gruppen gegeben hat, die nicht nur zum Christentum neigten, sondern die aufgrund dieser Religion auch ein erhöhtes Interesse an der jüdischen Religion selbst entwickelten, die diese jüdische Religion also nicht aus "zweiter Hand" (von Nichtchristen) gepredigt bekommen wollten, sondern vom "Volk des Heils" selbst. Und die sich davon nicht mit Hilfe des Arguments abschrecken ließen, dass es ja "die Juden" gewesen seien, die den Heiland ans Kreuz geschlagen hätten. Solche Menschen, gerade auch Frauen, gibt es auch heute noch in Deutschland. Und es mag belehrend sein, sich einmal einen solchen jüdischen Gottesdienst für christliche Juden und nichtjüdische Christen anzusehen und mitzuerleben.

Falls es damals solche Gruppierungen gegeben hätte, könnte man erwarten, dass die jüdischen Männer der Gründerpopulation des aschkenasischen Judentums in diesen Gruppierungen am ehesten ihre Frauen gefunden haben werden. Denn hier bestand sicherlich die größte Aufgeschlossenheit ihnen und ihrer Religion und Kultur gegenüber. Das Verheiraten mit einheimischen Frauen wird ihnen nun auch deshalb sinnvoll vorgekommen sein, weil dadurch das allein physische Aussehen ihrer Kinder und Kindeskinder nicht mehr als gar so krass im Gegensatz stehend empfunden zu werden brauchte zu dem "Menschenschlag" und dessen physischem Aussehen der einheimischen Bevölkerung, weshalb diese dann auch wiederum eher geneigt gewesen sein könnte, die Anwesenheit einer solchen Gruppierung in ihrer Stadt zu tolerieren und sich dem wirtschaftlichen und sonstigen Austausch mit ihr zu öffnen, mit einer Volksgruppe, die ja noch über das ganze Mittelalter hinweg dennoch als sehr fremd empfunden worden ist in allen europäischen Völkern.

Und man möchte weiterhin vermuten, dass das starke Volksgefühl auch noch der christlichen Deutschen der nächsten Jahrhunderte - repräsentiert etwa von König Heinrich I., der sich weigerte, sich vom Bischof salben zu lassen - dazu geführt haben könnte, dass die Ablehnung gegenüber den jüdischen Gemeinden so stark gewesen ist, dass von aschkenasisch-jüdischer Seite aus unterbewusst - oder sogar bewusst - das Gefühl vorgeherrscht haben mag, dass man nur die intelligentesten Söhne der Gemeinde unter solche Nichtjuden schicken könne, und dass es von diesen intelligenten Söhnen deshalb gar nicht genug geben könne in ihren Gemeinden. Und insofern mag innerhalb des aschkenasisch-jüdischen Volkes schon in den ersten Generationen der Gründerpopulation mehr als bis dahin innerhalb des sephardischen Judentums oder innerhalb anderer jüdischer Volksteile in der Welt Wert gelegt worden sein darauf, dass jene Söhne die meisten Kinder hatten, den reichsten Schwiegervater bekamen, die sich als die begabtesten in der Talmudschule erwiesen. (Wie etwa bei Kevin MacDonald "A People that shall dwell alone" ausgeführt und belegt wird.)

Und aufgrund solcher kulturpsychologischer Mechanismen mag es zu jenen kulturellen Selektionsmechanismen gekommen sein, die dazu führten, dass heute die aschkenasischen Juden allein von ihrer angeborenen Intelligenz her gesehen als das begabteste Volk der Erde angesehen werden müssen.

Wie wir gesehen haben, heirateten unter den Westgoten in Spanien Juden christliche Frauen, wurden Juden zwangschristianisiert, kehrten danach aber auch gerne wiederholt zu ihrer angestammten Religion zurück. Wenn es ähnliche Vorgänge auch in Worms und in den Nachbarstädten am Rhein gegeben hätte, wäre die Bildung des aschkenasischen Judentums als eines jüdisch-germanischen Mischvolkes durchaus erklärbar.

/Zuerst veröffentlicht am 29.7.2015 auf GA-j!, ergänzt um Ausführungen rund um Literaturangaben 2 bis 4: 29.10.15, verschoben auf den Blog "Studium generale" am 27.11.2015/

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  1. Boppert, W.; Wieczorek, A.: Die Gräber des Ludino und der Pauta aus Worms. In: Die Franken - Wegbereiter Europas. Vor 1500 Jahren: König Chlodwig und seine Erben. Reiss-Museum Mannheim und Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1996, S. 870-872
  2. Wernitz, Rene: Verwirrende Familienchronik des Kalonymos. Ließen sich Juden aus Italien im 10. Jahrhundert von einem König Karl nach Norden locken? In: Brawo (Anzeigenblättchen des Landes Brandenburg), 25.10.2015, S. 6
  3. Balter, Michael: Did Modern Jews Originate in Italy? In: Science, 8.10.2013, http://news.sciencemag.org/biology/2013/10/did-modern-jews-originate-italy
  4. Kaltenstadler, Wilhelm: Judentum, Christentum und Kulturtransfer. In: Nicolas Benzin (Hrsg.): Beiträge zur Kulturgeschichte des Judentums und der Geschichte der Medizin. Band 2, 2010 , S. 23-69

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