War früher wirklich alles besser? Einiges schon.

Von Rkoppwichmann

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Mein Beitrag zur Blogparade von Daniel Rettig auf Karrierebibel


"Früher war mehr Lametta!"

  beklagte sich schon Opa Hoppenstedt in Loriots zeitlosem Weihnachtsvideo.

Dass das nicht nur bei alten Leuten so geschieht, hängt mit dem fading affect bias zusammen: Unangenehme Erinnerungen verblassen schneller als schöne. Und das ist auch gut so. Denn davon profitiert unser Immunsystem, jedenfalls das psychologische. Lesen Sie dazu den Beitrag in der Blogparade von Daniel Rettig.

Ich gehöre spätestens seit letztem Monat auch zur Gruppe der alten Leute (65 geworden) und habe mir mal überlegt, was ich finde, was früher besser war. Das ist meine Liste.

1. Früher hatten Jugendliche mehr Allgemeinbildung

Vielleicht bin ich da altmodisch. Aber wenn Sie heute mit einem Teenager spazieren gehen und fragen, was das für ein Baum ist - meistens Fehlanzeige. Oder jetzt im Winter was das für Vögel am Futterkasten sind. Den Spatz kennt man noch, auch vielleicht die Amsel - aber dann?

Mit Weltgeschehen und Politik ist es ähnlich. Unterschied zwischen Bundestag und Bundesrat? Wie viel Einwohner hat Deutschland? Okay, vielleicht könnten das auch etliche Erwachsene nicht beantworten. Aber was wir von Ausländern im Einbürgerungstest verlangen, sollten wir doch wenigstens selbst wissen. Oder?

Aber vielleicht hat sich auch die Allgemeinbildung bei Jugendlichen verlagert. Sie wissen vielleicht nicht, wofür die Abkürzungen  EU oder KSZE stehen, wissen aber was OMG oder LOL bedeutet.

Solche Sachen stehen ja auch meistens in der Tageszeitung und welcher Jugendliche liest noch sowas. Dafür gibt's ja Apps.

2. Früher wurde mehr repariert statt weggeworfen

Letztes Jahr ging mein Toaster kaputt. War nur zwei Jahre alt und die Taste, mit der man die Brotscheiben nach unten drückte, ließ sich nicht mehr feststellen. Mehr aus Neugier ging ich zu dem Fachmarkt, in dem ich ihn gekauft hatte.

"Sie wollen was?", fragte mich der zwanzigjährige Angestellte der Serviceabteilung. "Reparieren lassen", antwortete ich. Die Mimik des jungen Mannes wechselte zwischen Unglauben, spöttischem Grinsen und Fassungslosigkeit. "Das lohnt sich nicht", erklärte er mir, "für 39 Euro kriegen Sie ja schon das neue Modell." "Mag sein, aber ich will kein neues Gerät, sondern diesen reparieren lassen", wurde ich langsam stur.

Langer Rede kurzer Sinn. Als der Abteilungsleiter mich zur Seite nahm mit den Worten "Guter Mann, was Sie da wollen ..." bekam ich es mit der Angst. Bestimmt hielt er mich für geistesgestört, wollte mich ablenken, während der junge Mitarbeiter schon eine psychiatrische Einweisung in die Wege leitete.

So erkläre ich mir auch den Erfolg des Unternehmens "manufaktum", das für teures Geld Artikel des täglichen Lebens vertreibt, die es zu einem Bruchteil des Kaufpreises überall zu kaufen gibt und von denen man froh war, sie ausrangiert zu haben. Der Unterschied: die Sachen sind solide hergestellt, halten fast ewig - und lassen sich oft auch reparieren.

Das mit der modernen Ex-und-Hopp-Mentalität ist natürlich nicht auf Toaster beschränkt. Nach 65 Jahren Ehe wurde ein Paar befragt, wie sie es geschafft haben, so lange zusammen zu bleiben. Die Antwort: "Wir wurden in einer Zeit geboren, in der man kaputte Dinge reparierte, anstatt sie wegzuwerfen."

3. Früher war Studieren lustiger.

In der Universitätsstadt Heidelberg kommen immer mal wieder Studenten mit "Arbeitsstörungen" zu mir. Wenn ich mir dann anhöre, welches Pensum die meisten Studenten heute zu absolvieren haben, bin ich froh, schon vor dreißig Jahren studiert zu haben.

Die enorm gestiegenen Anforderungen merkt man schon daran, dass der Lesesaal der Universitätsbibliothek von 9 bis 22 Uhr geöffnet ist. Samstags und sonntags auch!

Zu meiner Zeit wäre der leer gewesen und nach einigen Monaten hätte man ihn geschlossen. Studieren verstand man damals auch als Zeit des Erwachsenwerdens. Und dazu gehörte auch freie Zeit, die man ungeplant verbringen kann. So hörte ich in den ersten drei Semestern regelmäßig Vorlesungen im philosophischen und soziologischen Institut. Einfach so, nicht um da Scheine zu machen, sondern weil es mich interessierte. Heute undenkbar. Fast das ganze Studium bis zum Bachelor ist genau durchgetaktet.

Das Studium war auch deshalb lustiger, weil die Anforderungen viel niedriger waren als heute. Wenn ich an meine Diplomprüfung im Jahr 1983 denke, mit dem wenigen Wissen würde ich heute nicht durchkommen. Heutige Jura-Studenten stöhnen besonders unter der Stofffülle. Und vor allem darunter, dass die Professoren, die heute oft abnorm hohe Anforderungen in den Klausuren stellen, selbst damals viel leichter durchkamen.

4. Früher war Essen unkomplizierter.

Letztes Jahr lud ich für ein Fest ca. zwanzig Menschen ein. Im Restaurant musste ich mich auf ein zwei Menüs im Vorhinein festlegen, damit die Küche vorbereitet ist. Zur Abstimmung schickte ich eine Mail an den geladenen Personenkreis und war überrascht, wie kompliziert das zu werden drohte:

  • "Nichts Vegetarisches dabei?"
  • "Ich habe eine Laktoseunverträglichkeit. Müsste also sicher gehen, dass in dem Essen kein Joghurt, Sahne, Kaffeesahne, Kondensmilch, Magerquark, Frischkäse, Schmelzkäse etnhalten ist."
  • "Auf Pilze reagiere ich allergisch."
  • "Aufgrund einer Glutensensivität müsste ich wissen, ob die Saucen ohne Mehl zubereitet werden."
  • "Von Schwefel im Wein kriege ich immer Kopfweh. Könntest Du für einen Biowein ohne Schwefel sorgen?"

Habe ich jetzt einen besonders empfindlichen Freundeskreis oder was und wie haben die Leute früher gegessen?

5. Früher war Einkaufen leichter.

Ich kaufe gern bei Aldi ein. Einfach weil das Angebot dort schön übersichtlich ist. Ich will einen Vollmilchjoghurt - und da steht er. Im REWE-Supermarkt muss ich mich zwischen mindestens sieben Vollmilchjoghurts entscheiden. Und dann auch noch in drei verschiedenen Packungsgrößen! Da ist mir meine Lebenszeit zu kostbar dafür.

Genauso beim Tiefkühlspinat. Bei ALDI gibt's Blattspinat und Rahmspinat. Woanders Rahmspinat mit Zwiebeln, mit Gorgonzolasauce, mit Blubb. Von iglo, Frosta, Dr. Oetker und zwei no-name-Anbietern.

Wenn man vor so einem Supermarktregal mit ganz viel Auswahl steht, denkt man meistens: "Toll, alles da!" Aber wenn man dann auswählen muss, kommt die Qual der Wahl. Etliche Studien zeigen ja auch, dass mehr Auswahl nicht unbedingt zufriedener macht. Vor allem wenn das Produkt komplex ist oder viele verschiedene Eigenschaften hat.

Ich erinnere mich noch an die Kataloge der Versandhäuser QUELLE und WITT, die meine Eltern bezogen. Da war nur jede zweite Seite aus Kostengründen farbig gedruckt. Eine unvorstellbare Menge an Angeboten, vergleichen mit dem örtlichen Kaufhaus erschlug einen. Okay, das war dann auch ein abendfüllendes Programm, dort etwas auszusuchen und zu bestellen. Es gab aber sowieso nur ein Fernsehprogramm, da war einem nicht schade um die Zeit.

Heute locken nicht nur die Geschäfte in der Stadt mit ihren Angeboten. Auch Jeff Bezos und Kollegen versprechen, mir fast alles ins Haus zu schicken und der arme DHL-Zusteller muss es mir dann im Laufschritt an die Wohnungstür bringen. Zumindest der fand Einkaufen früher bestimmt leichter.

 6. Früher gab's weniger Touristen

1975 verbrachte ich in Israel, weil ich auf meinen Studienplatz wartete und Geld verdienen musste. Ich lebte in zwei Kibbuz, erntete Orangen, schlachtete Hühner, baute Holzhäuser - eine tolle Zeit.

Weil Israel ein kleines Land ist und die Sicherheitslage damals sehr entspannt war, bereiste ich in der arbeitsfreien Zeit alle wesentlichen Stätten. See Genezareth, Nazareth, Jericho, Bethlehem, Masada, Katharinenkloster. In Jerusalem allein lebte ich einen Monat zur Osterzeit.

Im war einige Stunden in der Al-Aksa-Mosche und einen ganzen Tag lang an der Klagemauer. Als mir ein Bekannter vor einigen Monaten Bilder von einer ähnlichen Reise zeigte und erzählte, wie schwer zuweilen der Zugang zu einzelnen Stätten war, fiel es mir auf: früher gab's weniger Touristen.

Okay, das hat eine gute Seite. Reisen ist heute viel einfacher und vor allem billiger als früher und mehr Menschen haben viele Tage Urlaub und mehr Geld und können sich die Welt anschauen. Aber kaum steht ein Geheimtipp über einen noch nicht so überlaufenen Landstrich in der Toskana in einer Zeitschrift, nimmt die Sache ihren Lauf.

Mein Fazit:

Natürlich trauere ich nicht wirklich der alten Zeit nach. Es ist eben die Macht der Verklärung, die uns vormacht, dass früher alles besser war.

Vermutlich feiern wir deshalb auch Weihnachten. Packen den alten Weihnachtsschmuck aus und stellen  die alte Krippe unter den Baum. Es macht uns ein gutes Gefühl. Jedenfalls in der erinnerten Vorstellung.

Da nehmen wir dann auch die Enttäuschung über falsche Geschenke, das zu üppige Essen und die erzwungene Nähe über mehrere Tage gerne in Kauf. Meist mit dem inneren Stoßseufzer: "Es ist ja schließlich Weihnachten."

Was finden Sie, was früher besser war?

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