Posted by Antonia on November 12, 2014 · 1 Kommentar
Gestern war St. Martinstag. Ein Fest der Nächstenliebe, Barmherzigkeit und des Mitgefühls.Der Abend der Laternenumzüge.
Wie es in den meisten Kindergärten üblich ist, wurden auch in unserer Waldorfkrippe dem Anlass entsprechend Laternen mit den Kindern zusammen gebastelt. Die Laternen sind mit Draht an Holzstöcken befestigt, welche die Gruppe zuvor gemeinsam im Wald gesammelt hat. Ich finde unsere Laterne wunderschön.
Als wir aber gestern Abend zum Laternenumzug der Kirchgemeinde hier im Ort kamen, musste ich lernen, dass es in der Dimension „Selbst gebastelt“ anscheinend große Differenzen gibt, dass Schönheit hier wichtig ist und bereits Laternen gesellschaftskonform sein müssen.
Mein 2 Jähriger, der sich den ganzen Tag auf seinen ersten Laternenumzug gefreut hatte und seine Laterne stolz wie Oskar vor sich her trug, wurde hier ausgelacht für seine Laterne, die anscheinend nicht der Norm entsprach. Immer wieder zeigten andere Kinder auf ihn, riefen „Was hast Du denn da für ein hässliches Ding?“ oder „Die brennt doch nie im Leben!“ (in unsere Laterne ist unten ein kleines Windlicht geklebt). Betroffen musste ich erleben, wie mein Sohn traurig auf seine Laterne schaute, die Welt nicht verstand und seine Laterne auf einmal nicht mehr halten wollte. Am liebsten hätte ich ihn und seine Laterne geschnappt und auf dem Absatz kehrt gemacht – zurück in unsere heile Waldorf-Welt, in der es kein Anders-Sein gibt, weil niemand je definiert hat, was „normal“ ist.
Meine 3-jährige Nichte zum Beispiel malt zu Hause wunderschöne Prinzessinnen und Prinzen, im Kindergarten aber nur „Krikel-Krakel“, weil die anderen Kinder das auch so machen und sie nicht auffallen will.
Letztens auf dem Spielplatz wurde mein Sohn wegen seiner roten Mütze verspottet. Die größeren Jungen nannten ihn „Tussi“ und wollten nicht mit ihm spielen.
Mein 2-jähriger versteht das noch nicht. Er liebt seine rote Mütze und überhaupt alle Farben. Aber die Verwandlung wird kommen und zwar schon bald, wie ich gestern beim Laternenumzug sehen musste. Bald wird er realisieren, dass es einen Unterschied zwischen miteinander lachen und auslachen gibt. Er wird sich vergleichen und anpassen – wenn ihn der Spott zu hart trifft.
Dazugehörigkeit gibt Kindern Sicherheit. Kinder strapazieren Rollenbilder oft bis zum äußersten, weil sie so wissen, was von ihnen erwartet wird. Aber Rollenbilder werden von der Gesellschaft, von uns geschaffen. Und vielleicht sollten wir wieder mehr Wert auf Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Mitgefühl legen, als auf Schönheit, Einheitlichkeit und Angepasstheit.