Es ist als erstes festzustellen: Wachstum ist nicht gleich Wachstum! Es wird heutzutage oft über Wachstum gesprochen. Doch sehr oft verstehen verschiedene Menschen unter diesem Begriff nicht dasselbe. Diese Begriffsverwechslung reicht bis zu den obersten Entscheidungsträgern und beeinflusst uns alle mehr, als wir glauben.
Wachstum bis in den Himmel? – Foto: © Hans-Udo Sattler / politropolis.de
Wachstum (im Sinne von Entwicklung, Fortschritt) ist gut.
Ich denke, wir sollten keine Welt ohne Wachstum anstreben. Ganz im Gegenteil – wir sollten uns um eine Welt bemühen, in der ein ständiges, nachhaltiger Wachstum möglich ist. Denn – Wachstum ist gut. Ich spreche hier nicht über die Ressourcenverschwendung oder den immer mehr steigender Konsum. Aber die Wachstumphilosophie an sich, das „Ich-will-mehr-Gefühl“ ist schon seit Jahrtausenden die treibende Kraft unserer Entwicklung. Deswegen leben wir auch nicht mehr in Höhlen, sondern können über das Internet kommunizieren und zum Mond fliegen. In diesem Sinne brauchen wir wirklich keine Postwachstumsgesellschaft. Es ist gut, dass wir weiterhin immer mehr wollen!
Steigender Konsum (steigender Ressourcenverbrauch) ist dagegen nicht wünschenswert.
Man muss kein großer Denker sein um zu verstehen, dass ein immer weiter steigender Ressourcenverbrauch im geschlossenen System zum Kollaps führen kann. Wenn jeder einzelne Mensch so viel an Ressourcen verbrauchen würde, wie ein durchschnittlicher US-Amerikaner, dann bräche das ganze System ganz schnell zusammen. Klar, der menschliche Erfindergeist und der freie Markt schaffen viel – wie etwa das Finden neuer Wege, um eine knappe Ressource durch eine ganz neue zu ersetzen. Ja, die Ressourcenknappheit zwingt uns neue Wege zu suchen, Mangel führt zum Fortschritt. Daher ist auch Konsum eine wichtige Motivationsquelle, um weiter forschen zu müssen, um nicht geistig stehen zu bleiben. Doch es gibt Probleme, die mit steigendem Konsum eng verbunden sind und die nicht einmal der freie Markt effektiv lösen kann (Umweltbelastung, Klimawandel, globale Vermögensverschiebung usw.).
Daher ist steigender Konsum allein, als ein Ziel an sich, eine gefährliche Idee.
Wachstum und steigender Konsum werden von den wichtigsten Entscheidungsträgern verwechselt.
Unter Politikern und Notenbankern hat sich in den letzten Jahrzehnten folgende Maxime durchgesetzt: Konsum = Wachstum = Fortschritt. Nach dieser Logik muss der Konsum mit allen Mitteln unterstützt, oder – wenn es nicht anders geht – sogar den Menschen aufgedrängt werden. Konsumiert man nicht, bricht die Nachfrage zusammen, was wiederum die ganze Wirtschaft lähmt. Die Menschen dürfen einfach nicht weniger verbrauchen wollen, sozusagen in ihrem eigenen Interesse. Inflation ist also wünschenswert, weil sie die Menschen motiviert, Geld lieber schon heute als morgen auszugeben. Hohe Zinsen sind nicht erwünscht, denn dann wird nicht gekauft, sondern gespart.
>>Deflation ist das absolute Böse, denn dann würden alle mit ihren Käufen und Investitionen warten, niemand würde mehr etwas machen, und die ganze Wirtschaft würde zusammenbrechen. Es ist also alles erlaubt um Deflation abzuwenden – niedrige, neulich sogar negative Zinsen, eine wahnsinnige Staatsverschuldung. Im Hinterkopf der Entscheidungsträger sitzt einfach der Gedanke, dass der Konsum um jeden Preis weiter wachsen muss, da sonst alles zusammenbricht.<<
Diese Logik führt zu schweren Wirtschaftskrisen und gefährdet das “Wachstum” selbst.
Diese Logik hat letztlich die Wirtschaftskrise von 2008 verursacht. Sie hat ja als Hypotheken-Krise in den USA begonnen. Die Banken haben zu viel „Geld aus dem Nichts“ geschaffen um Kredite an Menschen zu geben, die sich eigentlich kein eigenes Haus leisten konnten. Es musste JETZT investiert und gekauft werden, nicht später. Die Krise von 2008 haben wir scheinbar gemeistert, die meisten Staaten haben es aber mit einem rasanten Verschuldungswachstum bezahlt. Die Ursachen der Krise sind nicht weg, sondern wachsen weiter, quasi zusammen mit den wachsenden Schulden. Sollte eine weitere Wirtschaftskrise zuschlagen, werden die Staaten keine Möglichkeit mehr haben, sich wieder Milliarden Dollar zu leihen oder einfach zu drucken. Das interessiert die Notenbanken und die Regierungen aber nicht. Die Verschuldung ist sekundär – vor allem muss die Deflation abgewendet werden! Neue Staatsanleihen her, Zinsen noch weiter absenken. Es sieht leider so aus, als ob wir wirklich zuerst eine schwere Wirtschaftskrise erleben müssten, um den Weg des „immer weiter wachsenden Konsums“ zu verlassen. Leider kann eine auf diese Weise aufgedrängte Erfahrung sehr teuer werden und gesundes Wachstum für eine lange Zeit unmöglich machen.
Fazit – Was kann man also als Einzelner tun?
Vor allem können wir uns bemühen, uns unser Leben ohne wachsenden Konsum vorzustellen. Das bedeutet nicht, weniger Lebensqualität im Interesse der Nachhaltigkeit hinzunehmen. Wir könnten zum Beispiel lernen, im Alltag Konsum und Wachstum (Entwicklung) zu unterscheiden. Ein durch Kredit finanzierter Übersee-Urlaub gehört hier ganz eindeutig der ersten Kategorie an, ein neues Auto mit dem man zur Arbeit fährt, schon weniger, ein aufwändiges medizinisches Forschungsprojekt schon gar nicht. Es gibt täglich viele Entscheidungen auf der persönlichen Ebene, bei welchen wir bestimmen können, ob wir unsere Zeit und unser Geld bloß konsumieren, oder in dauerhafte Werte wandeln wollen.
Man sollte aber nicht erwarten, dass genug Menschen den „Unterschied zwischen Wachstum und Wachstum“ rechtzeitig und freiwillig begreifen – und schon gar nicht “die ganz oben”. Ein paar schwere Wirtschaftskrisen werden wohl noch nötig sein, bis wir als Gesellschaft auf den immer wachsenden Konsum verzichten.
ein Beitrag von Jaromir Ctrnacty
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Quellen – weiterführende Links
zum Autor: Jaromir Ctrnacty ist 31 Jahre alt, hat Ökonomie und Umweltschutz studiert, dann 6 Jahre lang im Energiebereich gearbeitet – in Prag, Leipzig und Nürnberg. Das Finanzsystem und die Krisenvorsorge sind sein Interessensgebiet. (Siehe auch Sicherstadt.de).
Foto: “Berliner Himmel” © Hans-Udo Sattler / politropolis.de – Weiterverwendung des Fotos unter Angabe der Quelle erlaubt. Gestattet ist sowohl die redaktionelle, als auch die kommerzielle Nutzung. Ausgeschlossen ist eine Nutzung in Bilddatenbanken, Bildkatalogen und artverwandten Bildsammlungen!