wände sprechen bände und plaudern aus dem nähkästchen.

nach einer versifften partynacht wacht man am mittag zwischen leeren bierdosen und zigarettenstümmeln auf. neben einem liegen alkoholleichen, dicker rauch vernebelt das zimmer. der kopf pocht, jeder gedanke schmerzt.
bildfetzen blitzen innert sekundenbruchteilen kurz auf und verschwinden dann wieder.

nachdem man die letzten überbleibsel weggeräumt, beweise vernichtet und die hartnäckigsten gäste vertrieben hat, denkt man sich:
“wenn diese vier wände hier doch nur sprechen könnten.”

was würden sie sagen? wahrscheinlich würden sie davon erzählen, wie X mit Y geknutscht und Z ein brandloch ins sofa gebrannt hat. sie würde verraten, wer für den rotweinfleck und wer für die verk*tzte badewanne verantwortlich ist.

folgende geschichten erzählen, was verschiedene wände so alles erlebt und gedacht haben könnten.

paula, die hauswand.

ich bin eigentlich nichts besonderes. eine ganz normale hauswand eben. ich stehe seit mehr als vierzig jahren an einer gut befahrenen strasse und durfte so einiges miterleben. man beachtet mich eigentlich kaum. viele menschen gehen, rennen oder joggen an mir vorbei. ab und zu hält sich mal ein renter an mir fest. ich habe schon beobachtet, wie paare sich vor mir stritten, versöhnten, küssten.
ich wurde zeuge von prügeleien, pöbeleien und drogen-deals. ach, kinder. lernt endlich, dass man mit drogen nicht auf offener strasse dealt!

ich wurde unzählige male angepinkelt. und das nicht nur von hunden, sondern auch von betrunkenen menschen. und besprüht wurde ich auch. mehrmals sogar. graffitis wie “X, ich liebe dich. Y.” finde ich ja ganz süss.
ich mag es eigentlich, wenn ich bemalt werde. aber bitte etwas sinnvolles und schönes. sprüche wie “f*ck cops” oder “FC barcelona” sind wirklich langsam ausgelutscht.

ich durfte vor kurzer zeit mal dabei zusehen, wie jemand des betruges seiner partnerin beschuldigt wurde. knappe zwei stunden dauerte die diskussion.
tränen, wutausbrüche und hysterie inbegriffen. immer wieder wurde ich während des streites mal von der scheinbar betrogenen getreten.
herrgottchen, kind! ich kann doch nichts dafür, wenn du deinen mann nicht unter kontrolle hast!
ich hätte der verzweifelten frau gerne gesagt, dass ihr kerl keine andere, sondern einen anderen hat, mit dem er sich ab und zu heimlich hier trifft. aber mich fragt ja keiner. ich bin ja nur eine ganz normale hauswand mit bröckelnder fassade.

agatha, die wand in der uni.

ich befinde mich im amphitheater. hier werden tagtäglich unzählige prüfungen geschrieben und ständig beobachte ich, dass hier abgeschrieben, geflüstert und betrogen wird, was das zeug hält. lernt ihr eigentlich nie für eure prüfungen?!
ich wundere mich immer wieder darüber, wie erfinderisch die heutige jugend ist. ältere generationen benutzen zu ihrer zeit noch kleine, von hand geschriebene spickzettel. heute sehe ich das nur noch selten. die meisten studenten benutzen ihr smartphone, senden fotos von den fragen an ihre freunde und warten dann auf die richtigen antworten.

ich mag es nicht, wenn hier der französischunterricht stattfindet. ICH HASSE FRANZÖSISCH! wenn ich diese sprache nur schon höre, stehen mir die wandporen zu berge! aufhören!

während den vorlesungen sehe ich übrigens den anwesenden am liebsten beim schlafen, sms schreiben, rückenkratzen oder nasenbohren zu. eklig wird es dann aber, wenn sie den inhalt ihres riechorganes an mir abstreichen. pfui. in solchen momenten würde ich am liebsten in mir zusammenbrechen und den übeltäter unter mir begraben.

priska, die wand in einer öffentlichen toilette, nahe eines beliebten partyviertels.

ich habe, wie man so schön sagt, regelrecht die arschkarte gezogen. im gegensatz zu meinen kollegen, erlebe ich durchaus schlimmeres als ein paar popel an mir. ich wünschte, ich müsste nur mit popeln leben! popel forever.
ich bin mir da ganz andere körperflüssigkeiten gewohnt. ich will jetzt hier nicht ins detail gehen, es fällt mir schwer darüber zu reden und ausserdem wisst ihr ja, was ich meine.

ja, ich muss mir so einiges gefallen lassen. an wochenenden ist es besonders schlimm. dann treffen sich hier in der umgebung all die partywütigen und ich muss dann die ganze nacht dieses BOOMBOOM und TSCHTSCH und PIIIIII-JUUUU dieser fürchterlichen, fürchterlichen technomusik ertragen. wenn ich ohren hätte, würden sie mit sicherheit tagelang bluten. mal ehrlich, das nennt ihr musik?!

freitags bin ich oft das ziel von entleerten mageninhalten, samstags diene ich als lagerhalle für alkoholleichen und sonntags dann als ausnüchterungszelle. der wahnsinn.

am aller schlimmsten sind für mich paare. sie kommen hierher um liebe zu machen. kann man das eigentlich überhaupt liebe machen nennen, was die da so treiben? für mich sieht das viel mehr nach wrestling oder nahkampf aus. aber was weiss ich denn schon.

ich werde natürlich jeden tag aufs neue bekritzelt und bemalt. ich glaube, dieses schicksal teile ich mit vielen wänden dieser welt. was ist das eigentlich für ein bescheuerter trend? denkt ihr wirklich, dass das irgendjemand liest? denkt ihr wirklich, dass es die grosse weite welt oder jemanden, der einfach nur schnell in ruhe seine blase entleeren will, interessiert, wie lange ihr schon mit eurem partner zusammen seid? genau, es interessiert niemanden. nicht mal wenn ich all euren scheiss den ihr da auf mich schreibt lesen könnte, würde es mich interessieren.

fast so schlimm wie die paare, sind die selbstverliebten hobby-fotografen. sie sind meistens weiblich, in zweier- oder dreiergruppen, leicht bis schwer angetrunken und bereit für die lange partynacht. sie torkeln hier rein, stellen sich vor den spiegel und posieren. sie posieren, als würden sie für den playboy vor der kamera stehen und vergessen dabei vielfach die tatsache, dass sie sich in einer öffentlichen, nach urin stinkenden toilette befinden.
wenn der perfekte schnappschuss dann endlich mal im kasten ist und sich bisher noch keine von ihnen übergeben hat, geht es dann wieder weiter.

ich freue mich immer sehnlichst auf die feiertage im winter, denn dann wird es meistens ganz ruhig hier und ich kann mich für ein paar tage von all den gehörten und gesehenen dingen erholen. es fühlt sich dann immer ein bisschen wie urlaub an.
ich will nicht länger jammern. im vergleich zu puff-wänden ist mein leben eigentlich ganz okay. aber das, meine lieben, ist eine ganz andere geschichte.

(beitragsbild: google.com)


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