ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 646 • 29. März 2014
von Walter G. Goes (ARTus) • Bergen auf Rügen
Wohl kaum ein Buch in den Jahren 1989/90 hat politisch wache Menschen in Deutschland so erschüttert wie Jankas Essay Schwierigkeiten mit der Wahrheit.
Die brisanten drei Kapitel (von dreißig!) seiner Erinnerungen erschienen als Zeitdokument zunächst im Oktober 1989 bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg und fanden reißenden Absatz. Ein Jahr später auch im Osten, übrigens im Aufbau-Verlag, den Janka von 1953 bis zu seiner Verhaftung im Dezember 1956 selbst geleitet hatte. Das mir bis heute kostbare Exemplar erstand ich auf meiner ersten stressfreien West-Reise zu Verwandten. Ich notierte das Datum und den Ort des Erwerbs: »21.XII.1989 in Bremen«.
Der Band enthielt auch eine »Erklärung zu Walter Janka« von Christa Wolf, die sie am 28.Oktober zu Papier gebracht hatte, nur Stunden vor dem legendären Janka-Auftritt im Ostberliner »Deutschen Theater«, den der Dramatiker Heiner Müller und der Intendant des Theaters, Dieter Mann, mutig initiiert hatten. Der Schauspieler Ulrich Mühe las, was ich in Bremen nur wenige Wochen später, so gesehen wortwörtlich, nachlesen konnte. Wolfgang Windhausen, ein Zeitzeuge: »Diese Lesung… zählte zu jenen Tropfen, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben in der vom Verfall ergriffenen Deutschen Demokratischen Republik.«
Die Betroffenheit über das längst überfällig zu nennende, endlich zur Sprache gebrachte »Grundübel des Staates DDR: der Stalinismus« (Christa Wolf) wurde im Janka-Essay exemplarisch vorgeführt. Die Wahrheit raste wie ein das Krebsgeschwür der Diktatur radikal erhellender Lichtstrahl über die Lande, auch auf Rügen!
Die Worte Jankas machten Mut für eigenes Engagement und dürften »die gewaltige Massenkundgebung« des 4. November auf dem Berliner Alex erheblich stimuliert haben. Janka nannte die Kundgebung »revolutionär«. Den »stärkste(n) Beitrag zur Stabilisierung unseres Landes« konnte sie nicht leisten.
Der nachfolgende Fall der Mauer eröffnete neue Horizonte. Der von den Stalinisten entehrte Sozialismusbegriff geriet ins Abseits und Dunkel der Geschichte. ARTus
Vor zwanzig Jahren, am17.3.1994, starb der Verleger und Dramaturg Walter Janka (*29.4.1914).
Zeichnung: ARTus