Walter Groos • Ein Gerechter unter den Völkern

Von Renajacob @renajacob

Walter Groos war ein Realist und praktischer Mensch, eher mathematisch begabt und weniger musisch, das überließ er lieber seinem Mitschüler, Banknachbarn und Jugendfreund Bertold Brecht. Er war ein Mann der Tat und der Problemlösung. Der am 19. Mai 1898 in Augsburg geborene Walter Groos, schlug somit auch einen ganz anderen Lebensweg ein, als sein früher Jugendfreund, nach dem Abitur studierte er an der Technischen Hochschule München, schloss das Studium als Diplomingenieur ab und arbeitete danach als Bauingenieur, unter anderem war er Mitbegründer der bekannten Siedlung am Spickel in Augsburg. Er war ein Mann seiner Zeit, gehörte zu den Naturfreunden, den damaligen ‚Wandervögeln’, zeigte Bewunderung für die Bauhausbewegung in der Architektur, doch war er kein Mann der ersten Reihe, eher jemand, dem ein solides angepasstes Leben vorschwebte. Er diente im Ersten Weltkrieg und kam in Kriegsgefangenschaft, als er 1920 wieder festen Boden in seinem Leben erreichte, arbeitete er fleißig als Bauingenieur, heiratete und gründete eine Familie. Er war ein konservativer Mensch, doch politisch nicht sehr interessiert, dazu waren ihm die 20iger und beginnenden 30iger Jahre in seinen Augen zu chaotisch, einer bestimmten Richtung konnte und wollte er sich nicht anschließen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten lebte er weiter sein bisheriges Leben, rief weder ‚Heil’ noch kämpfte er gegen das Regime. Mit eben diesem Regime kollidierte er das erste Mal, als ihm angeraten wurde, sich von seiner Ehefrau, sie war nach den Nürnberger Gesetzen ‚Halbjüdin’, zu trennen, was er weit von sich wies. Doch da die Kinder ‚deutsch’ und ‚christlich’ erzogen wurden, er auch eine stabile Person innerhalb seiner Umgebung war, wurde diese Verbindung geflissentlich ‚übersehen’, jedenfalls wurden keine Repressalien gegen ihn und seine Familie ausgeübt. Da er ein so eher unauffälliges, ‚deutsches’ Leben führte, fiel es den Behörden gar nicht auf, dass er seit 1938 seine jüdische Schwiegermutter in seinem Haus beherbergte, oder besser gesagt versteckte, diese und seine Frau überlebten beide die Zeit des Holocausts. Doch Walter Groos sollte noch auf einer ganz anderen Ebene mit den Leiden der Juden im damaligen NS-System konfrontiert werden.

1944 versetzte die Firma ‚Josef Riepel’ den damals sechsundvierzigjährigen Walter Groos als Bauleiter auf eine ihrer Baustellen in Oberrottmarshausen nahe Landsberg am Lech. Die Baufirma war eines der wichtigsten Privatunternehmen, die mit dem Konzentrationslager Kaufering, einem Außenlager des KZ Dachau und seinem weit verstreuten System von Nebenlagern zu tun hatte. Hier musste Walter Groos der Realität ins Auge schauen, hier gab es keine Beruhigung des Gewissens durch Abschottung oder Nichtbeachtung. Er wäre nicht er gewesen, der sich diesem Problem nicht stellte und Lösungen versuchte, die ihm gemäß waren, nämlich eher still, effektiv und möglichst wirksam. Unter den Gefangenen wurde das Konzentrationslager Kaufering als das ‚Kalte Krematorium’ bezeichnet, denn die Sterberate der Häftlinge war mehr als hoch, unübersehbar. Hier war der ‚Vernichtung durch Arbeit’ im wahrsten Sinn des menschenverabscheuenden Systems der Nationalsozialisten zuzuschauen. Tausende zumeist jüdische Gefangene, vornehmlich aus Ungarn, Polen und Litauen arbeiteten unter mörderischen Bedingungen. Walter Groos tat sein Möglichstes um die Gefangenen über den harten Winter zu bringen, er verteilte warme Handschuhe und Lebensmittel, doch was am Wichtigsten war, auch Medikamente, die Leben retteten. Ein ganzes Netzwerk baute er auf, um an lebensrettende Medikamente zu kommen, um diese in das Lager zu schmuggeln. Unermüdlich arbeitete in seiner Freizeit daran, so viele Gefangene wie möglich über ‚die Runden’ zu bringen. Besonders kümmerte er sich um den damals fünfzehnjährigen Mendel Thomas und den zwei Jahre älteren Alexander Rothschild, die beide in der Endphase des Krieges aus Auschwitz in das Außenlager von Dachau deportiert wurden. Die beiden Jugendlichen waren nur den Jahren nach jung, durch ihre Erlebnisse und ihre Erfahrungen waren sie schon alt und fast verbraucht. Doch Walter Groos schenkte ihnen nicht nur  Essen, warme Kleidung und Medikamente, sondern auch menschliche Aufmerksamkeit und Achtung vor ihrer Person, Dinge, die sie vergessen hatten, dass es diese noch gibt. Die beiden jungen Männer, wie auch andere, denen Walter Groos half, überlebten so den Krieg und wurden von den alliierten Truppen befreit. Im Nachhinein blieb es Walter Groos immer unverständlich, warum die Gestapo nie auf ihn aufmerksam wurde, doch vielleicht lag es daran, dass der ‚verlorene Krieg’ bereits in der ‚Luft’ lag.

Die Verbindung zwischen Walter Groos und den jungen Männern riss auch nach dem Krieg nicht ab, sie kamen nach der Befreiung und ihrer wiederhergestellten Gesundheit zu ihm nach Augsburg und die Familie Groos half ihnen eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. Jeder von ihnen bewältigte sein Leben so gut es ging, jeder ging mit seinen Erinnerungen auf seine Weise um, doch die Verbindungen zwischen den Familien riss nie ab, wo auch immer sie lebten. Walter Groos arbeitete wieder in seinem Beruf, aufzubauen gab es genug in der Nachkriegszeit, so war er von 1945 bis 1952 Leiter des Wasser- und Brückenamtes der Stadt Augsburg und nach seiner Pensionierung widmete er sich der archäologischen Spurensuche im kriegszerstörten Augsburg, hier war er 1975 Begründer der ‚Augsburger Blätter’ und zahlreichen stadtgeschichtlichen Veröffentlichungen.

Als er am 24. Dezember 1979 verstarb, standen auch die Familien von Mendel Thomas und Alexander Rothschild an seinem Grab, denn die Zeit hatte sie zu Freunden werden lassen und das nicht nur in Hinsicht auf ihre persönliche Beziehung, sondern auch im gesamten familiären Umfeld. In den 1990iger Jahren unterstützen die Erben von Walter Groos die Witwe von Alexander Rothschild in Israel noch mit einer kleinen monatlichen Summe, um dieser ein angenehmes Leben zu bereiten, denn auch sie war eine Überlebende der Shoah.

Am 9. Januar 1994 erkannte Yad Vashem postum Walter Groos als ‚Gerechten unter den Völkern’ an. Die Ehrung wurde von seinen Nachkommen entgegengenommen und noch heute in Ehren gehalten, die Verbindung nach Israel zwischen den Familien Thomas und Rothschild wird bis heute noch mit Leben erfüllt … Ganz im Sinne von Walter Groos und seiner Frau.   

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