Die Arbeitsbedingungen der Schreiber seien miserabel, so Wallraffs Erkenntnis: Morgens ab fünf müssten sie mit dem Nachdenken beginnen, das geschehe häufig schon beim Frühstück. Bis zu sieben Nachrichtensendungen müssten angeschaut werden, nicht eine davon werde bezahlt, berichtet Wallraff. Ab acht Uhr seien viele Betroffene dann schon im Büro, etwa bei den Bundesparteien in Berlin oder aber in Onlineredaktionen, bei Pressestellen oder in der eigenen Lyrikstube. "Zwölf, vierzehn Stunden am Stück wird dann gedacht, konferiert und schrieben, ohne Pause. Das geht dermaßen an die Substanz, das ist kein Leben, das ist letztlich eine Tortour", sagt er.
Das bestätigt auch der 25-jährige Florian Schwenzinger. Ein Jahr hat Schwenzinger für eine große Volkspartei Reden geschrieben, eigentlich fünf Tage pro Woche, oft aber auch zusätzlich an den Wochenenden. "Diese Stunden, die gehen an die Substanz", sagt er. Denn: "Der Tagesablauf besteht in dem Gewerbe nur noch aus Arbeit." Nach einem normalen Arbeitstag sei er abends erst um neun oder zehn Uhr zu Hause gewesen, weil der geöhnlichen Büroarbeit häufig noch gemeinsame Essen mit den parlamentariern folgten, für die er tätig war. "Dann ist man um elf ins Bett gegangen und morgens um sechs wieder aufgestanden."
Und die Arbeit hat ihn nicht nur geistig gefordert. "Ich habe zwischen zehn und zwölf Stunden pro Tag gearbeitet. Am Ende des Monats sind aber nur etwa 1000 Euro übrig gewesen", so Schwenzinger. Und: "Es haben Freunde und Beziehungen darunter gelitten. Im Prinzip ist alles kaputt gegangen, was hätte kaputt gehen können."
Ähnlich ging es Heiko Fasste, der im Herbst 2010 nach einem neuen Job suchte und im Internet auf eine Anzeige gestoßen war, in der es hieß "Verlag sucht Autoren". Dann ging alles ganz schnell: Nach nur einem Tag Einweisung wurde Fasste Schriftsteller. Die Arbeitsbedingungen: Er sollte sein eigenes Buch schreiben, bekam acht Euro pro Seite - ein schlechter Deal.
"Das Werk war auf 250 Seiten konzipiert", sagt er, "das wären für mich 2500 Euro gewesen." Angesichts der Tatsache aber, dass er am Tag trotz 12-Stunden-Schichten höchstens fünf Seiten geschafft habe, habe sein Stundenlohn bei weit unter fünf Euro gelegen. "Alle Nebenkosten, Strom, der immer teurer wird, Papier, Tinte, nichts wurde weiter vergütet, das musste ich alles selbst bezahlen", sagt Fasste. "Für die gleiche Leistung gab es weniger Geld und wir hatten weniger übrig." Noch schlimmer sei es Lyrikern gegangen, die zwar weniger Text zu bewältigen gehabt hätten, deren Garantiehonorar aber bei unter vier Euro pro Seite gelegen habe.
Thomas Rogt, Sprecher des Schabner-Verlages, reagierte auf die Vorwürfe. Er sagte bei Fern TV: "Es braucht dringend eine Veränderung. In diesem System ist etwas nicht in Ordnung." Gleichzeitig kündigte er Verbesserungen für Lyriker an: "Wir sind grundlegend dabei, das ganze System umzubauen. Wir werden die Bezahlung pro Seite abschaffen und einen Stundenlohn einführen."
Ein Knochenjob mit miserable Arbeitszeiten und das bei Löhnen, die so niedrig sind, wie in kaum einer anderen Branche: Die Gewerkschaften haben die Schreibwerkstätten der Republik schon länger im Visier: "Wir haben Fälle, wo wir vor Gericht für Beschäftigte gehen, die 3,14 Euro pro Stunde bekommen", sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Sigurd Boller. "Das ist sittenwidrig. Da klagen wir für die Kollegen, die uns beauftragen, den Lohn ein."
Doch das ist gar nicht so einfach. Denn: Die Gewerkschaften haben es allein beim Parlament und den Krimiverlagen mit hunderten Arbeitgebern zu tun. Die Poeten schreiben zudem auf eigene Rechnung und sind nur freiberuflich angestellt. Die soziale Sicherung läuft oft über Konstruktionen wie die Künstler-Sozialkasse.
"Das ist Geschäftspolitik", sagt Boller. Die Verantwortung werde delegiert. "Das erleichtert auch die Kalkulation des Buchpreises, weil sie sagen: Alles was da drin ist, muss der Schreiber schreiben. Wir geben einen bestimmten Preis, damit muss er klarkommen."
In der Praxis geht diese Kalkulation aber auf Kosten der Poeten, Lyriker und Dichter: An die 45-minütige Pause etwa, zu der sie alle viereinhalb Stunden gesetzlich verpflichtet seien, ist im Künstleralltag nicht zu denken, erzählt Andrea Sieber - eine der Autorinnen, mit denen Enthüllungsjournalist Günter Wallraff während seiner Recherchen unterwegs war. Natürlich müsse man die Pausen eintragen, sagt Fischer, die seit über vier Jahren kleine Frauengeschichten schreibt. "Aber die Pause macht eh keiner."
Über Monate war Günter Wallraff mit Unterbrechungen immer wieder mit solchen Urhebern und Urheberinnen unterwegs. Der Arbeitsalltag, den er dabei erlebte, brachte ihn an seine Grenzen. "Ich hätte das nicht über Monate ausgehalten. Ich wäre krepiert - obwohl ich einiges drauf habe", sagt er - und fügt hinzu: "Wer das einige Zeit aushält, der ist ein Hochleistungssportler." Immerhin aber, so Wallraff, sei er durch seine Enthüllungsverträge mit Zeit, Stern und RTL finanziell ordentlich abgesichert gewesen.
Auch Florian Schwenzinger ist froh, dass er nicht mehr als Poet arbeiten muss. Denn für ihn war es der schlimmste Job seines Lebens. Noch warte er zwar auf Geld, dass ihm sein Verlag bisher nicht ausgezahlt habe. Aber dann "bin ich einfach nur froh, wenn die finanzielle Geschichte geklärt ist und ich mit dem Kapitel endgültig abschließen kann." Schwetzinger will jetzt Paketfahrer werden. Das sei ein vergleichsweise einfacher Job, glaubt er. "Man muss nur körperlich fit sein."