Wakefield (2016)

Wakefield (2016)

USA 2016
Mit Bryan Cranston, Jennifer Garner, Beverly D’Angelo, u.a.
Drehbuch: Robin Swicord nach einer Kurzgeschichte von E.L. Doctorow
Regie: Robin Swicord
Musik: Aaron Zigman

Wakefield heisst die Hauptfigur der nunmehr dritten Regiearbeit der amerikanischen Drehbuchautorin Robin Swicord (Drehbücher zu Der Jane Austen Club, Der seltsame Fall des Benjamin Button). Der Businessman und Familienvater wird von Brian Cranston verkörpert. Um Wakefield dreht sich alles.

Howard Wakefield: Wir begleiten den müden, verbraucht wirkenden „Jedermann“ während der Anfangstitel auf dem Weg zur Arbeit und nach einem harten Schnitt auf dem Nachhauseweg. Wegen eines Stromausfalls bleibt der Zug auf offener Strecke stehen, der Rest des Heimwegs wird zu Fuss zurückgelegt. Endlich zu Hause, sieht Wakefield im Halbdunkel einen Waschbären im Schuppen verschwinden. Eines ergibt das andere, und schliesslich findet sich der erschöpfte und genervte Spätheimkehrer im Schuppen wieder, vor dessen Fenster, das zum Wohnhaus hinüberschaut  und von wo aus er seine Familie beobachten kann.  Wakefield fasst den spontanen Entschluss, an diesem Abend nicht nach Hause zu gehen. Mit wachsender Faszination beobachtet er die Reaktion seiner Frau auf sein Fernbleiben.

Wer hat sich so etwas nicht schon ausgemalt?, fragt Wakefields Stimme aus dem Off. Sie auch, geben sie’s zu! Einfach mal nicht da zu sein, nicht verfügbar.
Wakefield bleibt auch am folgenden Tag im Schuppen. Seine Frau, die zunächst noch einen Seitensprung vermutete, gerät langsam in Panik.
Wakefield geniesst das. Genauer: Er geniesst die Entdeckung, dass er für sie von Bedeutung ist.
Dass seine Genugtuung darüber auf Kosten seiner Frau geht, scheint ihn nicht zu kümmern – und damit macht sich beim Zuschauer allmählich eine gewisse Irritation über diesen Mann breit. Das anfängliche Mitleid mit dem vermeintlichen Burnout-Fall weicht wachsender Abneigung: Wakefield entpuppt sich immer mehr als ichbezogener A…, der sein Ego am Unglück seiner Frau aufrichtet. Auch die locker eingestreuten Erinnerungs-Rückblenden zeigen ihn in keinem besonders gutem Licht.

Doch dann kippt das Szenario: Howard Wakefield bleibt im Schuppen, er beginnt sogar, sich dort häuslich einzurichten; hatte er sich anfangs noch im Haus drüben rasiert, so verzichtet er später darauf, aus Angst, Spuren zu hinterlassen. Er wird für sein Umfeld unsichtbar. Dafür mutiert er nach und nach zum Penner.

Mit der äusserlichen Wandlung geht auch eine innere einher. Der Erleichterung über die abgelegten Pflichten und Zwänge folgt eine Besinnung aufs Wesentliche. Wakefield entdeckt, wie sehr er seine Frau eigentlich liebt. In der selbst gewählten Einsamkeit und Ruhe findet er den Kontakt zu seinem Innersten und kommt dadurch zu sich selbst. „Es ist nicht so, dass ich meine Familie verlassen habe“, berichtet seine Off-Stimme an einer Stelle. „Ich habe mich selbst verlassen“.
Der zufällige Abstecher in den Schuppen gerät zum Selbstfindungtrip, an dessen Ende ein geläuterter Mensch steht.

Das Interessante und Spannende an Swicords Film ist das, was unausgesprochen bleibt: Wakefield kann als bittere Kritik an der westlichen Lebensweise gelesen werden, die den Menschen sich selbst bis zur Unkenntlichkeit entfremdet. Der Film bringt das zwischen den Zeilen, es wird kein unnötiges Wort darüber verschwendet – der Regisseurin reichen die zwei kurzen, skizzenhaften Sequenzen am Anfang von Wakefields Gang zur Arbeit und seiner Heimkehr. Sie sagen alles aus und ergeben zusammen mit dem Folgenden ein klares Bild der allgemeinen Misere.

Im Schuppen befreit sich Wakefield von jeglichen Zwängen, wie eine Zwiebel streift er sie ab und stöss zu seinem Kern vor, zum Kern des Wesens, zu seinem Mensch-sein. Der wache Zuschauer muss sich das alles in Gedanken selbst zusammenreimen, Frau Swicord spart sich Absichtserklärung oder moralische Fingerzeige. Man kann dies oberflächlich finden – ich fand das Fehlen einer didaktischen Absicht als äusserst wohltuend. Wer’s sehen kann, der sieht es, die anderen sitzen dann halt im falschen Film.

Die Auflösung, das Ende des Films wird in vielen Kommentaren und Kritiken als schwach bemängelt; ich war deshalb positiv über dessen Schlüssigkeit überrascht. Es lässt viles offen – aber nur soviel, wie nötig – und passt damit vollkommen in das Konzept des Films.

Die Regie: 8 / 10 
Das Drehbuch: 9 / 10 
Die Schauspieler: 9 / 10 
Die Filmmusik: 9 / 10 
Gesamtnote: 9 / 10

Verfügbarkeit: Der Film kann leider im deutschsprachigen Raum weder gestreamt noch auf DVD oder Blu-ray käuflich erworben werden. Wenn sich nicht noch ein Anbieter erbarmt, wird Wakefield bald zu den „vergessenen Filmen“ gehören, ein Status, den er mitnichten verdient hat.

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