Von Marc Schanz
Wäre der Euro als das Kind europäischer Eliten ein Wesen aus Fleisch und Blut, dann wäre es ein genetischer Müllhaufen – so verstehe ich zumindest die Euro-Kritik des großen Eugenik-Experten mit Bänkerlaufbahn, Thilo Sarrazin. Weiter möchte ich in seine abstruse Erklärungs- und Rechtfertigungswelt nicht eindringen, eine fundierte Kritik an der Währungsunion muss nicht mit frankophoben Verschwörungstheorien begründet werden, einfache Logik und Vernunft reichen vollkommen aus.
Der Euro hat einen Geburtsfehler, diese Offensichtlichkeit ist dank Sarrazins klarer Aussage nun selbst im Mainstream ein Fakt geworden. Schauen wir uns diesen Fehler etwas genauer an, ohne uns durch historisches Geschwurbel oder primitive Populismen blenden zu lassen.
Nur auf den ersten Blick erscheint eine Währungsunion aus der Herausgabe neuer Münzen und Scheine zu bestehen. In Wirklichkeit ist es für einen Staat ein weitaus tiefgreifender Wechsel, der mit einer Besatzung oder einem Putsch vergleichbar ist – nein, das ist nicht zu drastisch formuliert! Ein Staat gibt bei seinem Beitritt zur Währungsunion für ihn existentielle, geldpolitische Befugnisse ab. Der Staat im Zusammenspiel von Politik und Notenbank hat, wenn er seine eigene Fiat-Währung besitzt, die vollständige Kontrolle über die Liquiditäterzeugung, seine Neuverschuldung und seine Altschulden. In einer Währungsunion werden diese Kompetenzen und die Verfügungsgewalt über seine Schulden auf die Institutionen der Währungsunion übertragen. Überlebenswichtige, währungspolitische Anpassungsmechanismen, wie die gezielte Auf- und Abwertungen seiner Währung, werden dem Staat genommen, die Währungsunion wird für ihn daher zu einem Korsett, das mit einem Goldstandard vergleichbar ist.
Eine weitere, tiefgreifende Änderung erfolgt im Zahlungsverkehr. Eine Transaktion zwischen den in einer Währungsunion verbundenen Mitgliedsländern basiert nun auf einem völlig anderem Mechanismus. Die Devisenmärkte, die üblicherweise für den zwischenstaatlichen Kapitalverkehr zuständig sind, fallen einfach weg. Eine Transaktion zwischen den Mitgliedern der Währungsunion wird einer gewöhnlichen Inlandsüberweisung gleich gestellt. Diese Gleichstellung ist zwar gewollt, doch sie ist an die Voraussetzgen gebunden, dass die Forderungen im ganzen Währungsgebiet zumindest annähernd gleichwertig sind. Dies ist nur dann tatsächlich der Fall, wenn sich die finanz- und realwirtschaftlichen Verhältnisse der Mitgliedsländer auf dem selben Niveau bewegen. Ist dies nicht gewährleistet und erfolgen keine Kompensations- bzw. Transferzahlungen, sind bedrohliche Instabilitäten die logische Folge.
Es ist klar, dass ein solch gravierender Wandel noch weitere Gefahren in sich birgt. Einige Länder könnten z.B. Strategien entwickeln, sich Leistungen der Gemeinschaft zu erschleichen. Ein echtes Dilemma ist jedoch, dass die verschiedenen geldpolitischen Zielsetzungen einer Währungsunion in sich widersprüchlich sein können.
Wie sind die Herausvorderungen einer Währungsunion in der Euro-Zone gemeistert bzw. eben nicht gemeistert worden? Das zentrale Dilemma besteht zwischen der Gewährleistung der Preisstabilität der Gemeinschaftswährung und der Liquiditätsversorgung der einzelnen Mitglieder. Unter Umständen kann es sein, dass zur Sicherung der Preisstabilität die Geldmenge schrumpfen müsste, während einige Länder aufgrund von Liquiditätsengpässen frisches Geld benötigen. Wird in der Euro-Zone dieser Widerspruch erfolgreich aufgelöst? Nein, die EZB behandelt die Euro-Zone als wäre sie eine Einheit, die sie offensichtlich nicht ist. In ihren Statuten ist sie allein auf Einhaltung der Preisstabilität beschränkt, die Liquiditätsbeschaffung für die Staaten ist nahezu vollständig auf den Finanzmarkt übertragen worden. Somit ist die für einen Staat existentielle Liquditätsversorgung, über die er normalerweise die vollständige Kontrolle hat, in die Hände von Spekulanten gelegt worden. Diese Lösung kann weder für die notwendige Stabilität sorgen, da die Märkte realwirtschaftliche Unterschiede zwischen den Ländern nicht ausgleichen können, noch ist sie krisenfest, da die Liquiditätsversorgung im Ernstfall einfach zusammen brechen kann. Diese Lösung ist nichts anderes als grober Unfug!
Helfen wenigsten die viel zitierten Stabilitäts- und Wachstumskriterien des Maastricht-Vertrags, welche die Schuldenaufnahme des Staates auf 3 % und seinen Schuldenstand auf 60 % begrenzen, um diesen gravierenden Konstruktionsfehler zu beheben? Nein! Die Kriterien sollen den Staat vor einer Insolvenz bewahren, sie sind quasi eine präventive Insolvenzverordnung. Wenn die Kriterien erfüllt werden, dann gibt es schlicht keine Staatsinsolvenz in der Währungsunion – so einfach, so schlecht. Der Denkfehler ist die implizite Annahme, die Staaten könnten innerhalb des Korsetts der Währungsunion die Schuldenaufnahme eigenverantwortlich steuern. Doch das ist eben nicht mehr der Fall! Die Ursache liegt im Wegfall des Devisenhandels, für die Staaten stellen die abgeschotteten Devisenmärkte eine wichtige Liquiditätsbariere dar, die ihr ausbluten verhindern. Das Kapital kann nicht so leicht herein oder heraus fließen. In einer Währungsunion existiert dieser automatische Schutz nicht mehr.
Es sind jedoch nicht die Staaten, die für die Kapitalabflüsse verantwortlich sind, denn ihre Finanzkreisläufe konzentrieren sich im Wesentlichen auf ihr eigenes Hoheitsgebiet. Zwischenstaatliche Transaktionen werden hauptsächlich über die privaten Finanzmärkten abgewickelt. Die Staaten können die Liquiditäsabflüsse des Privatsektors in der Euro-Zone weder kontrollieren noch beschränken, vielmehr sind sie das Opfer dieser Entwicklung. Staaten, die in diese Liquiditätsfalle geraten, stehen vor der Wahl zwischen Pest, einem Kollaps ihres Finanzsystems, oder Nicht-Pest, die Schöpfung von Liquidität über neue Schulden und die damit einhergehende Verletzung der Maastricht-Kriterien. Die Verletzung der Kriterien ist daher ein Gebot der Vernunft!
Die Maastricht-Kriterien sollten die Urgewalt des Kapitals innerhalb der Währungsunion mit feinen, seidenen Fäden in Zaum halten. Für Ästheten der Juristerei und der Technokratie mag das ein Genuss sein und ihre Verletzung der Untergang des Rechts, wie Jura-Koriphäe Kirchhof meint. Für bodenständige Ökonomen, wie Sarrazin, ist diese Regelung im Rückblick nur ein untaugliches Hirngespinst. Selbst in der krisenfreien Zeit wurden die Maastricht-Kriterien mehr schlecht als recht akzeptiert, doch mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise rissen die hauchdünnen Fäden, das Kapital flüchtete aus den Krisenländern in sichere Häfen und die Euro-Krise wurde unkontrollierbar.
Die privaten Kapitalabflüsse folgen einer rationalen Logik. Solange in Europa keine sozialistische Gleichheit herrscht, gibt es für das Kapital innerhalb der Währungsunion Zonen mit geringen und hohem Risiko. Die logische Konsequenz ist, dass das Kapital an die Orte mit dem geringsten Risiko abwandert. In einer Krise verschärft sich dieser Effekt. Die daraus entstehende Ungleichverteilung ist eine Anomalie der Währungsunion, denn sie besteht im Wesentlichen nur aufgrund des Wegfalls der Devisenmärkte. Gäbe es die Märkte als eine Art Puffer noch, dann könnten sich die Ungleichgewichte niemals derart auftürmen. Aus dieser Anomalie einen gerechtfertigten Anpassungsdruck für die Krisenstaaten zu postulieren, wie es unsere derzeitige Ökonomie-Religion haluziniert, ist einfach nur kranker Unsinn!
Ohne Währungsunion wären die Verbindlichkeiten und Risiken zwischen den Ländern genau definiert, in der Euro-Zone sind sie es nicht. Die Liquiditätsflüsse des Zentralbankgeldes zwischen den einzelnen, dezentralen Notenbanken werden auf den viel diskutierten Target2 Salden verbucht. Wie sie zu bewerten sind, ist unklar. Sicher hingegen ist, dass sie so etwas wie ein Seismograph für den Stress in der Währungsunion darstellen. Die negativen Target2 Salden der Krisenländer besagen, dass Liquidität von ihnen abfließt und die positiven Salden dokumentieren entsprechend einen Liquiditätszufluss aus anderen Ländern. Solange die Salden weiterhin anschwellen, bedeutet das, dass sich die Krise weiterhin verschärft.
Die bisherigen Rettungsmaßnahmen haben nur den Abfluss der Liquidität aus den Krisenländern stabilisieren können und somit nichts anderes bewirkt, als die Anomalie der Währungsunion aufrecht zu erhalten. Die Krisenursache, den Geburtsfehler der Währungsunion, konnten sie nicht beseitigt. Eine wirksame Krisenbekämpfung wäre gewesen, wenn sich auf den Kapitalmärkten die Geldströme umgekehrt hätten oder zumindest gestoppt würden.
Die Situation für die Krisenländer ist pervers. Sie haben nicht nur das Handicap einer geringen Wettbewerbsfähigkeit und müssen mit stärkeren Staaten um die Liquidität der Gemeinschaftswährung konkurrieren, sie müssen nicht nur den heftigen Schlag der Finanzkrise verdauen, sie müssen zusätzlich mit dem Abfluss der Liquidität auch eine Billionen Euro schwere Anomalie der Währungsunion finanzieren. Die Währungsunion ist dysfunktional, sie verhält sich für schwache, kranke Staaten wie ein mittelalterlicher Aderlass. Zu allem Unheil besteht dann noch die Medizin der zur Rettung herbei eilenden Troika darin, den malträtierten Patienten die Flüssigkeitsaufnahme zu untersagen.
Wieso konnten die Konstruktionsfehler des Euros solange unbemerkt bleiben? Sogar als die weltweite Finanzkrise ausbrach, hat keiner der Verantwortlichen, sei es Technokrat, Politiker oder Ökonom, einen blassen Schimmer von der bevorstehenden Krise gehabt. Das darf nicht sein! Wozu haben wir die ganze Armada an Technokarten und Experten in Brüssel? Um eine Krise zu erkennen, wenn sie nicht mehr zu leugnen ist? Als mit Griechenland die Euro-Krise ausbrach, war für mich die offiziell verkündeten These, die Moral eines kleinen, unbedeutenden Landes solle für die gravierenden Probleme verantwortlich sein, eine grobe Beleidigung meines Intellekts. Je mehr ich über den katastrophalen Zustand der Währungsunion erfuhr, desto größer wurde meine Geringsschätzung der sogenannten Experten mit ihren hinterher hechelnden Hofberichterstattern.
„Scheitert der Euro, dann scheitert Europe“, an diesem Satz unserer Kanzlerin wird die Realitätsferne der Krisenretter erkennbar. Dieses Europa ist bereits gescheitert! Europa war noch nie eine Gemeinschaft, es war nur ein Zusammenschluss konkurrierender Einzelstaaten! Dieses Modell kollabiert mit der Euro-Krise und reißt dabei ganze Länder mit in den Abgrund! Konkurrenz und der Markt garantieren Effizenz und sorgen für den Wohlstand weniger, das ist richtig und auch völlig in Ordnung, aber zur Sicherung eines gesamtgesellschaftlichen Wohlstands taugt dieser Ansatz einfach nicht. Selbst wir als vermeindlich stabiler Anker trauen uns keine sinnvollen Innovationen mehr zu, wie z.B. den notwendigen Energiewandel – wir können uns das auf einmal nicht mehr leisten!
Mit der Banken- und Fiskalunion schreiten wir weiterhin auf dem Pfad in den Abgrund, es wird weiterhin nur versucht, die Anomalie der Währungsunion zu stabilisieren. Solange die Ursachen der Euro-Krise nicht korrigiert werden, ist und bleibt die Euro-Zone eine Währungsunion des Wahnsinns.
Genug der Kassandrarufe, ich kann auch konstruktiv sein. Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe die perfekte Lösung der Euro-Krise gefunden! Sie ist einfach, lässt sich leicht umsetzen und das Beste daran ist, sie wirkt garantiert! Es ist pure Genialität, zweifelsohne, aber für einen Nobelpreis wird es wohl nicht reichen. Ihr glaubt mir nicht? Ihr meint, so eine einfache Lösung kann es nicht geben? Doch, doch, es gibt sie wirklich! Hier ist sie:
Alle Technokraten, alle Politiker, alle Bänker, alle Ökonomen und alle Wirtschaftsjournalisten solange auf Hartz-IV setzen, bis für die anständig Arbeitenden die Euro-Krise vorbei ist!