Frau Jung hatte mich angerufen, aufgeregt klang sie, sie müsse einen Spitalbesuch machen. Jesses, Frau Jung, was ist denn passiert, fragte ich. Frau Jung zupfte das Papier der Rose zurecht, die sie behutsam auf ihren Schoss gelegt hatte. Immer dieses Alleinsein, das sei nicht lustig, sagte sie. Zum Jahresende habe sie sich gedacht, jetzt sei Schluss, end weder noch was machen aus dem Leben, oder sich end gültig verabschieden, aber von wem denn, also doch nicht. Da habe sie sich ein Herz gefasst und das Internet konsultiert, Seniores für Senioritas, die Liebe mache auch vor dem Alter nicht halt. Ich konnte sie verstehen. Seine blauen Augen seien ihr sofort aufgefallen, erzählte Frau Jung, und habe sie an Alain Delon erinnert, an den Geschmack Frankreichs, an Pferde, Parfum und Cognac. Eingeladen habe sie ihn, für Silvester, er sei pünktlich erschienen, mit einer Rose in der Hand, rosé wie der Wein und ihre Wangen. Man habe geplaudert, bis Mitternacht, und Austern geschlürft, schön sei es gewesen, und als die Glocken läuteten, habe sie seine Hand genommen, um ihn ins Schlafzimmer zu führen, die Treppe hoch. Gestolpert sei er, böse, den Wein in den Knochen, aber gleich wieder aufgestanden, ja, es gehe ihm gut, tout est en ordre. Dann hat er sie geküsst, die ganze Nacht lang, oder was davon übrig geblieben war. Im Morgengrauen verschwand er, versprach, sich zu melden. Das Telefon klingelte noch am gleichen Tag. Er sei im Spital, sagte Alain, doppelter Mittelfussbruch, eine komplizierte Angelegenheit, und langwierig. Frau Jung schaute mich an. Er hat mich die ganze Nacht geküsst, mit gebrochenem Fuss, sagte sie. Das muss wahre Liebe sein, sagte ich. Sie lächelte. Wie sehe ich aus? fragte sie. Ich lächelte.