Wahlnachlese V

Von Krenkel

Es ist zwar schon ein wenig spät für Nachbetrachtungen zur Präsidentenwahl in Rußland, doch zwei interessante Statistiken und zwei weitere Meldungen müssen noch kurz behandelt werden, um das Bild abzurunden.
Am 27. März haben die Soziologen des Lewada-Zentrums eine Analyse veröffentlicht, in der u.a. die soziale Zusammensetzung der Wähler der fünf Präsidentschaftskandidaten untersucht wird. Diese Darstellung ist aufschlußreich und verweist die Selbstdarstellung von Teilen der "nichtsystemischen", d.h. außerparlamentarischen Opposition, wonach die jüngeren und besser gebildeten Bürger größtenteils gegen Wladimir Putin eingestellt wären, in das Reich der Legenden. Kurz gesagt: Auch die Wähler aus der sogenannten "kreativen Klasse" haben mehrheitlich Putin gewählt.
a) Altersgruppen: Unter den 18- bis 24-jährigen kam Putin auf 53 %, Michail Prochorow hingegen auf 12 %. Unter den 25- bis 39-jährigen votierten 55 % für Putin und 11 % für Prochorow. Bei den 40- bis 55-jährigen brechen beide dann ein (49 bzw. 7 %), während Putin bei den über 54-jährigen noch einmal deutlich zulegen kann (58 %).
b) Bildungsniveau: Unter den Wählern mit Hochschulausbildung (das waren 31 % der Befragten) kam Putin auf 53 %, Prochorow auf 13. Von denen mit mittlerer Bildung votierten 54 % für Putin, für Prochrow waren es (wie auch in der nächsten Gruppe) nur noch 6 %. Wähler mit einfacher Berufsausbildung neigten zwar eher dem KPRF-Chef Sjuganow zu (21 %), doch auch in dieser Gruppe kam Putin noch auf 51 % Zustimmung.
c) Beschäftigung: Unter allen Berufsgruppen kam Putin bei den selbständigen Unternehmern mit 31 % auf sein mit Abstand schlechtestes Ergebnis. Doch auch hier blieb er auf Platz 1 der Beliebtheitsskala, Prochorow errang allerdings beachtenswerte 30 %. Diese soziale Gruppe machte allerdings bloß 3 % der Befragten aus. Bei allen anderen Berufsgruppen (mit Ausnahme der Arbeitslosen [40 %]) kam Putin hingegen auf Werte von 50 % und mehr. Selbst unter den Studenten votierte die Hälfte für ihn. Von den Rentnern waren es 59 % und bei den Hausfrauen/-männern gar 69 %. Prochorow kam nur noch in drei Gruppen auf niedrige zweistellige Werte: leitende Angestellte (16 %), Angestellte ohne Spezialisierung (14 %) und Studenten (13 %).
Fazit: Der neue Präsident Wladimir Putin erfreut sich der deutlichen Unterstützung der Mehrheit der Wähler aus allen sozialen Gruppen, allen Alterskohorten und, ganz wichtig, allen Regionen Rußlands. Denn selbst in den Großstädten hat die Mehrheit für ihn votiert. Es waren eben mitnichten nur die Rentner und Staatsangestellten, wie in den Wählerbeschimpfungen behauptet.
Der Blogger Alexander Kirejew hat die Wahlergebnisse von Staatsbürgern der Rußländischen Föderation, die im Ausland leben und Anfang März dort gewählt haben, zusammengestellt. Manche dieser Resultate sind schon erstaunlich. So haben in den elf Wahllokalen auf deutschem Boden 21.829 Auslandsrussen ihre Stimme abgegeben. Würde die These, wonach hierzulande alles besser ist als in Rußland, tatsächlich stimmen, so hätten diese Menschen doch dem "Autokraten" Putin eine deutliche Abfuhr erteilen müssen - schließlich erleben sie die "Vorzüge" Deutschlands gegenüber dem "am Boden liegenden Rußland" doch jeden Tag am eigenen Leib!
Doch dem war nicht so. Wladimir Putin kam unter den in Deutschland lebenden Wählern auf eine Zustimmung von 49,86 %, der "Liberale" Prochorow hingegen nur auf 33,23 %. Die drei anderen Kandidaten spielten praktisch keine Rolle, lediglich Sjuganow erreichte 9,39 %. Offenkundig wissen auch die Auslandsrussen, was ihr Vaterland an Putin hat und an dieser Einstellung konnte selbst die einseitige Berichterstattung der deutschen Medien nicht rütteln. Zudem sehen sie jeden Tag, was in Deutschland und der EU alles nicht funktioniert, so daß das Bild des "goldenen Westens" relativiert wird.
Am Dienstag hat nun Präsident Medwedew das neue Parteiengesetz der RF unterzeichnet, nachdem das parlamentarische Verfahren abgeschlossen war. Es senkt die Hürden für die Registrierung von politischen Parteien deutlich. Das alte Parteiengesetz war von der außerparlamentarischen Opposition wegen seiner hohen formalen Anforderungen scharf kritisiert worden. Nun hat die Regierung dieser Kritik nachgegeben, doch die Opposition ist wieder nicht zufrieden:
"[...]
Kreml-Kritiker sind der Meinung, dass die russische Führung mit der Reform eine Zersplitterung der Opposition erreichen möchte, um den ihr treu ergebenen Kräften weiterhin eine dominante Rolle zu sichern."
Einen besseren Beweis, daß ein Gutteil der APO schlichtweg spinnt, kann es nicht geben. Das alte Gesetz war angeblich eine schlimme Sache und das neue, auf Wunsch der Opposition inhaltlich wesentlich geänderte, soll ebenfalls eine finstere Verschwörung des Kremls sein? Hier liegt ein Zirkelschluß der APO-Aktivisten vor, die Regierungskritik als Selbstzweck betreiben und nicht auf die Schlüssigkeit ihrer Argumente achten. So werden sie jedenfalls noch lange politisch erfolg- und somit machtlos bleiben.
Unterdessen hat Alexej Nawalnyj, einer der Vorkämpfer der "nichtsystemischen Opposition", eingesehen, daß er unter normalen Bedingungen keinen politischen Erfolg in Rußland haben kann. Deshalb entschied er sich für den Weg des illegalen Kampfes. Die nächste Demonstration, die für den 5. Mai in Moskau geplant ist, will er nicht mehr bei der Stadtverwaltung anmelden, obwohl die Kundgebung damit illegal wäre. Offenkundig brauchen Nawalnyj und Konsorten die Bilder eines Polizeieinsatzes für ihre Strategie.
Weiterführende Links:
Rußland nach den Wahlen: Aufstand der Mittelklasse?
Seven Myths About The Russian Elections
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Das deutsche Bild der Wahlen in Rußland
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