Dienstag letzter Woche war es 80 Jahre her, dass die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet wurden. Wir sind heute glücklicherweise weit von einer solchen gesetzlichen Programmatik entfernt. So wie es derzeit aussieht, wird es ähnliche drastische Regelungen zur Diskriminierung nicht geben. Trotz Hasskommentaren auf Facebook, Brandanschlägen und einer allgemeinen Zunahme von Fremdenfeindlichkeit. Doch der Ungeist, wie man sieht, der dann 1935 in diesem Gesetz kulminierte, den gibt es immer noch. Weitaus aktiver als zuvor. Obgleich wir vor solchen Gesetzen heute gefeit scheinen, können wir trotzdem immer noch von diesem traurigen Jubiläum lernen.
Die Melange aus Vorurteilen, Hass, Halbwissen und fehlender Empathie waren die Grundlage jener Gesetze damals. Der alte Antijudaismus des Kontinents hatte eine allgemeine Haltung erzeugt, die Rassengesetze erst ermöglichte und für hinnehmbar auffasste. Sie waren ja nicht einfach so über Deutschland und Europa gekommen. Zuerst waren da Gedanken, dann Worte und später eben Handlungen und die Judikative. Und ehe man sich versah, durften Juden keinen Berufen mehr nachgehen, sich nicht mehr exogam verbinden und keine sexuellen Kontakte außerhalb »ihrer Rasse« pflegen. Das Rassengesetz mag zwar am 15. September 1935 plötzlich einstimmig vom Reichstag angenommen worden sein, aber von heute auf morgen war es deswegen noch lange nicht da. Alles hat Ursprünge, von jetzt auf gleich kriegt man vielleicht Schluckauf, aber nicht derlei gesellschaftliche Einschnitte.
Wer vorher nicht denkt, der handelt also nicht. Manchmal sagt man ja, jemand habe unbedacht gehandelt. Wenn er vorschnell etwas tut zum Beispiel. Dann spricht man auch vom »blinden Aktionismus«. Allerdings stimmt das so nicht. Solche Handlungen basieren ja trotzdem auf Gedanken. Nur vielleicht eben auf gekürzte oder auf falsche Gedanken. So ist es mit Vorurteilen. Sie sind ja nicht Nicht-Gedanken. Sie sind Gedanken, die auf falschen Prämissen fußen. Oder auf gezielt verdrehte Annahmen. Und die Handlungsweisen, die wir dann, beladen mit Ressentiments, an den Tag legen, sind natürlich von denselben beeinflusst. »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Handlungen.« So beginnt ein altes chinesisches Sprichwort, das man heute irrtümlicherweise dem Talmud zuschreibt. Man wusste also schon lange vor den Grundvätern des Rassengesetzes, dass es eine Linie von Gedanken zur Handlung gibt, von Vorurteilen zum Umgang mit denen, denen man dann mit Vorurteilen begegnet.
Vorurteile sind heute wieder chic. Sie waren es ja immer. Vorurteile sind eine menschliche Domäne. Heute finden sie jedoch wieder breiteren Konsens, weil sie einer Art von Volksgemeinschaft schmeicheln. Alter Wein in neuen Schläuchen. Immer noch ungenießbar. Man »weiß« heute, dass Muslime, Araber, Syrer, Wüstensöhne oder wie auch immer man sie nennt - »Ist doch eh alles dasselbe!« -, einen Hang zur Gewalt, zum Terror und zur Verweigerungshaltung gegenüber westlichen Rechtsstandards pflegen. Das ist einvernehmliches Wissen mittlerweile. In den Bussen und Bahnen lauscht man Gesprächen, die diesem Stereotyp vom Orientalen nachhängen. Und diverse Leitmedien schreiben scheinbar völlig unbedarft Plädoyers für eine Kultur, die den Fremden nun eindringlich zeigen müsse, dass hier das Grundgesetz gelte und nicht etwa die Scharia oder das Faustrecht. Ganz so, als ob die Menschen, die ins Land kommen, gleich noch einen Anspruch auf Islamisierung im Gepäck hätten.
Außerdem sind sie natürlich schmutzig, faul und korrupt. Egomanen und Miesepeter. Immer mit einer Hand am Klappmesser. Sie stehlen und marodieren, grillen ungefragt Lämmer in den Gärten braver Bürger und unterwandern unsere Kultur. Sie reißen die Geschicke des Landes an sich. Heimlich, still und leise. Politiker trauten sich nicht dagegen vorzugehen. Sie seien ja nur Marionetten. Und die Presse, wider aller Objektivität, ist natürlich ganz auf der Seite der Fremden. Das alles klingt wohlvertraut. So ging man mit jener gesellschaftlichen Gruppe um, die unter den Rassengesetzen leiden musste. Was Thematik im NS-Film »Jud Süss« war, ist in vielen Köpfen wieder Thema - jetzt bezogen auf die Flüchtlinge muslimischer Herkunft.
Das klingt alles besorgniserregend. Stimmt ja auch. Aber von Gesetzen nach Art der Apartheid sind wir weit entfernt. Jedenfalls im Augenblick. Die demokratische Kultur in Europa, obgleich sie in Schieflage gerät und einen enormen Verlust an Partizipation und damit an Vertrauen erfahren hat, ist stabiler als es das Weimarer System jemals war und sein konnte. Die damalige Demokratie wurde von Beamten betrieben, die ihr Handwerk noch unter Kaisers erlernt haben. Untertanengeist und die Kriminalisierung demokratischer Umtriebe waren ihnen in Bein und Mark übergegangen. So kann man zwar verwalten und Bescheide verschicken lassen, nicht aber eine gewissen demokratischen Geist beseelen. Und die jüngeren, die aus den Schützengräben zurück ins Leben kamen, fühlten sich von den Demokraten rücklings erdolcht. Auch sie waren kein Pool für nachhaltige Demokratisierung. Das ist heute zum Glück anders. Wir haben nicht unbedingt aus der Geschichte gelernt; wir haben nur anderes Personal zur Verfügung als damals.
Nein, wir müssen uns vor solchen Gesetzesinitiativen nicht fürchten. Heute will man Fremden nicht die Arbeit verbieten, man will ja sogar, dass sie arbeiten. Viel und für wenig Geld. Das ist auch diskriminierend, keine Frage. Aber eben eine andere Form von Diskriminierung. Man nimmt den Menschen nicht mehr ihre Existenzberechtigung in dem Sinne wie ab 1935. Das ist wahrlich kein Rückschritt. Mancher Fortschritt lässt aber noch immer auf sich warten. Und der Fortschritt in Sachen Vorurteilen blieb wahrscheinlich ganz auf der Strecke. Wenn man also heute an die Nürnberger Gesetze erinnern möchte, muss man nicht pathetisch schreien »Nie wieder Rassengesetze!« oder so was in dem Stil. Darüber sind wir hinweg. Für den Augenblick. Man sollte auf den Ungeist zu sprechen kommen, der damals in ein solches Gesetzeswerk mündeten. Lange, über Generationen genährte Vorurteile haben es verschuldet. Und an denen leiden wir heute wieder massiv. Lassen wir es nicht über Generationen gären. Gehen wir es langsam mal an, dieses Gift zu verwässern, bis es aus dem Kreislauf gewaschen ist. Damit wir 2035 keine Renaissance etwaiger Gesetzesinitiativen feiern müssen.
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Die Melange aus Vorurteilen, Hass, Halbwissen und fehlender Empathie waren die Grundlage jener Gesetze damals. Der alte Antijudaismus des Kontinents hatte eine allgemeine Haltung erzeugt, die Rassengesetze erst ermöglichte und für hinnehmbar auffasste. Sie waren ja nicht einfach so über Deutschland und Europa gekommen. Zuerst waren da Gedanken, dann Worte und später eben Handlungen und die Judikative. Und ehe man sich versah, durften Juden keinen Berufen mehr nachgehen, sich nicht mehr exogam verbinden und keine sexuellen Kontakte außerhalb »ihrer Rasse« pflegen. Das Rassengesetz mag zwar am 15. September 1935 plötzlich einstimmig vom Reichstag angenommen worden sein, aber von heute auf morgen war es deswegen noch lange nicht da. Alles hat Ursprünge, von jetzt auf gleich kriegt man vielleicht Schluckauf, aber nicht derlei gesellschaftliche Einschnitte.
Wer vorher nicht denkt, der handelt also nicht. Manchmal sagt man ja, jemand habe unbedacht gehandelt. Wenn er vorschnell etwas tut zum Beispiel. Dann spricht man auch vom »blinden Aktionismus«. Allerdings stimmt das so nicht. Solche Handlungen basieren ja trotzdem auf Gedanken. Nur vielleicht eben auf gekürzte oder auf falsche Gedanken. So ist es mit Vorurteilen. Sie sind ja nicht Nicht-Gedanken. Sie sind Gedanken, die auf falschen Prämissen fußen. Oder auf gezielt verdrehte Annahmen. Und die Handlungsweisen, die wir dann, beladen mit Ressentiments, an den Tag legen, sind natürlich von denselben beeinflusst. »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Handlungen.« So beginnt ein altes chinesisches Sprichwort, das man heute irrtümlicherweise dem Talmud zuschreibt. Man wusste also schon lange vor den Grundvätern des Rassengesetzes, dass es eine Linie von Gedanken zur Handlung gibt, von Vorurteilen zum Umgang mit denen, denen man dann mit Vorurteilen begegnet.
Vorurteile sind heute wieder chic. Sie waren es ja immer. Vorurteile sind eine menschliche Domäne. Heute finden sie jedoch wieder breiteren Konsens, weil sie einer Art von Volksgemeinschaft schmeicheln. Alter Wein in neuen Schläuchen. Immer noch ungenießbar. Man »weiß« heute, dass Muslime, Araber, Syrer, Wüstensöhne oder wie auch immer man sie nennt - »Ist doch eh alles dasselbe!« -, einen Hang zur Gewalt, zum Terror und zur Verweigerungshaltung gegenüber westlichen Rechtsstandards pflegen. Das ist einvernehmliches Wissen mittlerweile. In den Bussen und Bahnen lauscht man Gesprächen, die diesem Stereotyp vom Orientalen nachhängen. Und diverse Leitmedien schreiben scheinbar völlig unbedarft Plädoyers für eine Kultur, die den Fremden nun eindringlich zeigen müsse, dass hier das Grundgesetz gelte und nicht etwa die Scharia oder das Faustrecht. Ganz so, als ob die Menschen, die ins Land kommen, gleich noch einen Anspruch auf Islamisierung im Gepäck hätten.
Außerdem sind sie natürlich schmutzig, faul und korrupt. Egomanen und Miesepeter. Immer mit einer Hand am Klappmesser. Sie stehlen und marodieren, grillen ungefragt Lämmer in den Gärten braver Bürger und unterwandern unsere Kultur. Sie reißen die Geschicke des Landes an sich. Heimlich, still und leise. Politiker trauten sich nicht dagegen vorzugehen. Sie seien ja nur Marionetten. Und die Presse, wider aller Objektivität, ist natürlich ganz auf der Seite der Fremden. Das alles klingt wohlvertraut. So ging man mit jener gesellschaftlichen Gruppe um, die unter den Rassengesetzen leiden musste. Was Thematik im NS-Film »Jud Süss« war, ist in vielen Köpfen wieder Thema - jetzt bezogen auf die Flüchtlinge muslimischer Herkunft.
Das klingt alles besorgniserregend. Stimmt ja auch. Aber von Gesetzen nach Art der Apartheid sind wir weit entfernt. Jedenfalls im Augenblick. Die demokratische Kultur in Europa, obgleich sie in Schieflage gerät und einen enormen Verlust an Partizipation und damit an Vertrauen erfahren hat, ist stabiler als es das Weimarer System jemals war und sein konnte. Die damalige Demokratie wurde von Beamten betrieben, die ihr Handwerk noch unter Kaisers erlernt haben. Untertanengeist und die Kriminalisierung demokratischer Umtriebe waren ihnen in Bein und Mark übergegangen. So kann man zwar verwalten und Bescheide verschicken lassen, nicht aber eine gewissen demokratischen Geist beseelen. Und die jüngeren, die aus den Schützengräben zurück ins Leben kamen, fühlten sich von den Demokraten rücklings erdolcht. Auch sie waren kein Pool für nachhaltige Demokratisierung. Das ist heute zum Glück anders. Wir haben nicht unbedingt aus der Geschichte gelernt; wir haben nur anderes Personal zur Verfügung als damals.
Nein, wir müssen uns vor solchen Gesetzesinitiativen nicht fürchten. Heute will man Fremden nicht die Arbeit verbieten, man will ja sogar, dass sie arbeiten. Viel und für wenig Geld. Das ist auch diskriminierend, keine Frage. Aber eben eine andere Form von Diskriminierung. Man nimmt den Menschen nicht mehr ihre Existenzberechtigung in dem Sinne wie ab 1935. Das ist wahrlich kein Rückschritt. Mancher Fortschritt lässt aber noch immer auf sich warten. Und der Fortschritt in Sachen Vorurteilen blieb wahrscheinlich ganz auf der Strecke. Wenn man also heute an die Nürnberger Gesetze erinnern möchte, muss man nicht pathetisch schreien »Nie wieder Rassengesetze!« oder so was in dem Stil. Darüber sind wir hinweg. Für den Augenblick. Man sollte auf den Ungeist zu sprechen kommen, der damals in ein solches Gesetzeswerk mündeten. Lange, über Generationen genährte Vorurteile haben es verschuldet. Und an denen leiden wir heute wieder massiv. Lassen wir es nicht über Generationen gären. Gehen wir es langsam mal an, dieses Gift zu verwässern, bis es aus dem Kreislauf gewaschen ist. Damit wir 2035 keine Renaissance etwaiger Gesetzesinitiativen feiern müssen.
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