Vorsicht: Gefälschte Bahnfenster!

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Es gibt einen geheimnisvollen Eisenbahnwagen mit verzauberten Fenstern. Die Fenster sehen normal aus, aber man kann nicht normal hinaus blicken. Das ist natürlich unangenehm für die Bahngäste, die einfach am Fenster sitzen wollen, um die Gegend kennen zu lernen, durch die sie reisen. Die einen Leute merkten es gleich, dass da was faul ist und setzen sich gar nicht erst in diesen Wagen, aber andere setzen sich hinein und merken es zuerst gar nicht. Aber jetzt konkret:

Wenn man in diesem Eisenbahnwagen sitzt, und nach „draußen“ blickt, so sieht man nicht das, was echt draußen geschieht, sondern einfach irgend etwas Zufälliges. Zum Beispiel schaut man im Bahnhof auf das Geleise, und sieht eine belebte Einkaufsstraße im Stadtzentrum. Oder, wenn der Zug fährt, zieht nicht die richtige Landschaft vorbei, sondern eine ganz andere Gegend, ein Strand oder eine schöne Berglandschaft. Viele Leute verwirrt das sehr, aber ich finde es toll.

Allerdings ist es auch schwierig, sich zu orientieren. Einmal fuhr ich von Basel nach Luzern, aber alle Fenster zeigten eine endlos weite Landschaft in Australien. Ich beobachtete die Kängurus zu und staunte über die großen Feigenkakteen und die roten Berge in der Ferne. Nach drei Stunden war ich plötzlich an der Grenze zu Italien, und habe nichts vom Vierwaldstättersee und nichts vom Gotthardtunnel gemerkt!

Aber dafür kenne ich jetzt ein bisschen Australien.

Ich habe einmal der SBB geschrieben, sie könnten diesen Wagen verbessern, indem sie einen Schalter beim Eingang befestigen, an dem der erste, der einsteigt, einstellen kann, in welcher Gegend man unterwegs sein soll. Dann würde ich immer ganz früh hin, und jedes Mal eine andere Gegend einstellen. Kürzlich bin ich nämlich zweimal hintereinander durch den brasilianischen Amazonas gefahren, und das war mir etwas zu viel (wegen den Krokodilen). Die SBB hat mir zurück geschrieben, sie könnten mir auch nicht helfen, sie würden keinen solchen Wagen kennen.

Die kennen also nicht mal ihre eigenen Wagen. Egal, mir gefälltes.

Ein besonders eigentümliches Erlebnis hatte ich letzthin, als ich von St.Gallen nach Chur fuhr. Von weitem sah ich schon voller Freude, dass mein Wagen dabei war, und ich eilte hin, und suchte mir gleich einen guten Platz, Blick in Fahrtrichtung und ziemlich weit hinten, sodass ich einige Fenster vor mir hatte und damit einen guten Blick in die Szene. Und ich ahnte schon, wo’s diesmal hingehen soll: überall Schnee und Eis, auf beiden Seiten des Wagens. Als der Zug sich in Bewegung setzte, fuhren wir geradewegs in die größte Eiswüste, zum Südpol. Es hatte am Anfang noch Pinguinschwärme, die dahinzottelten, und an der Küste einige Seerobben. Später aber sah man kaum noch Tiere, aber dafür war am Abend der Himmel erleuchtet vom Polarlicht. Allerdings wurde das Wetter immer unfreundlicher und wir kamen sogar in einen Schneesturm. Als ich so gebannt in die wirbelnden Flocken starrte, tippte mich ein Mann an die Schulter. Es war einer vom Wagenreinigungsteam von Chur, ja, ja es ist peinlich, du ahnst es schon, wir waren schon ewig in Chur, der Wagen stand allein auf einem Abstellgleis und sollte eben gereinigt werden. Ich sagte ein paar entschuldigende Worte und stieg eilends aus.

Draußen war es warm, ein ganz lauer Sommerabend in den Bergen.

Falls Du die Möglichkeit hast, einmal in diesem Bahnwagon zu fahren, dann musst Du das unbedingt machen. Wenn Du aber in einem Zug mit ganz gewöhnlichen Wagen bist, dann kannst Du einfach so tun, als wärst Du in jenem geheimnisvollen Wagen mit falschen Fenstern, kannst rausgucken und Dir vorstellen, du seist mitten in Angkor Wat, oder fährst parallel zur Santa Maria von Kolumbus oder aber du schaust den jagenden Tyranosaurier zu.