Vorfreude

Von Nadine

Es fing an vor 17 Jahren… Oh, nein, nein! Eigentlich begann es schon viel früher. Mit einem Brief – in paar Worten in einer Sprache, die ich nicht verstand. Genauso wenig verstand die Schreiberin dieses Briefes meine Sprache…

Vor vielen, vielen Jahren erhielt ich diesen Brief. Ein Brief von einem Mädchen, das ich nicht kannte. Nur von Erzählungen. Ein Mädchen, das im fernen Südamerika lebte. Sie sprach nur Spanisch und ich nur Deutsch. Aber wir hatten ein gemeinsames Bindeglied: Ihre Schwester, die hier in Deutschland lebt. Sie erzählte ihr von mir und mir von ihr. Und sie glaubte, wir würden uns sicher mögen. So hielt ich irgendwann diesen Brief in der Hand, auf Spanisch. Ich hatte ja das Glück, dass ich direkt eine Übersetzerin zur Stelle hatte. So konnte ich mich über die geschriebenen Zeilen freuen und verfasste schon bald ebenfalls einen Brief an meine neue Freundin in der Ferne. Ihre Schwester schrieb meine Worte für sie auf spanisch ab und schickte sie dann auf die weite Reise nach Argentinien. Es vergingen meistens viele Monate, bis eine Antwort kam. Umso größer war die Freude darüber.

Irgendwann kam schließlich der Tag, an dem sie endlich nach Deutschland kommen sollte. Ich kann mich noch sehr gut an unser erstes Treffen erinnern. Es muss im März 2001 gewesen sein, vor ziemlich genau 17 Jahren also. Ich war ziemlich aufgeregt. Ich holte sie bei ihrer Schwester ab und wir fuhren gemeinsam zum Billard spielen. Unsere wichtigsten Utensilien waren an diesem Abend unsere Hände und Füße und ein Wörterbuch. Die meiste Zeit verbrachten wir damit, lachend darin nach den richtigen Wörtern zu suchen. So war das damals, als es noch keine Smartphones gab. Aber das war egal. Wir verstanden uns prima, abgesehen von der sprachlichen Barriere, und ich freute mich sehr darüber, dass wir uns endlich so richtig kennenlernen konnten.

Schon bald fand sie eine Arbeit – der Haken daran war, dass sie dafür wieder recht weit weg ging. Sie arbeitete in einer Eisdiele in Emsdetten. Viele Monate haben wir uns so gut wie gar nicht mehr gesehen. Das sollte sich jedoch irgendwann wieder ändern. Sie hörte auf, dort zu arbeiten und an ihrem letzten Tag setzte ich mich zusammen mit einer anderen Freundin und einem Routenplan in den kleinen Toyota Starlet meines Vaters, um sie dort in Emsdetten abzuholen. Mit Sack und Pack ging es dann wieder zurück. Das Auto war bis unter’s Dach vollgepackt. Natürlich hatten wir uns jede Menge zu erzählen und vor lauter Quatscherei sind wir plötzlich mitten in Münster gelandet. Total verfahren hatten wir uns, aber irgendwann kamen wir schließlich doch nach Hause – auch ohne Navi.

Sie wohnte eine Weile bei ihrer Schwester und deren Mann, doch bald bezog sie schließlich ihre erste eigene Wohnung – ein kleines Ein-Zimmer-Appartement. Die Wände wollte sie rosa streichen. Am Tag der Renovierung bastelte ich Malerhüte aus Zeitungspapier. In pink prangte darauf der jeweilige Anfangsbuchstabe der fleißigen Helfer. Einige Monate später hockten wir eine Ewigkeit bei ihr im Wohnzimmer auf dem Boden und bauten ein großes IKEA-Regal zusammen, dass wir beide zuvor all die Stufen hochgeschleppt haben, um uns dann die Finger wund zu drehen an den Inbusschlüsseln. Aber wir haben es geschafft – ganz ohne männliche Hilfe. Und es war sogar stabil.

Wir beide in ihrer rosafarbenen Wohnung – mein Pullover unbewusst farblich darauf abgestimmt.

Wir gingen gern zusammen ins Kino, weil wir beide Filme lieben. Auch teilen wir die Liebe zu den historischen Romanen von Rebecca Gablé und zur Musik von PUR. Ein Mal hatte ich Karten für eine Generalprobe von PUR & Friends auf Schalke ergattert und sie einfach ins Auto gepackt und damit überrascht. Wir haben viel gemeinsam unternommen oder einfach nur zusammen rumgehangen.

September 2015 bei der Feier der Kaiser’s Tengelmann GmbH (meinem ehemaligen Arbeitgeber) zum 125jährigen Jubiläum

Vor allem in der Zeit nach meiner Scheidung war sie mir eine große Stütze. Dank Freundinnen wie ihr fühlte ich mich weniger allein. Wir hatten viel Spaß miteinander und einfach eine tolle Zeit. Knapp sieben Jahre lang. Dann kehrte sie in ihre Heimat Argentinien zurück und seitdem trennen uns unzählige Kilometer.

Den letzten Abend verbrachten wir mit ihrer Schwester, ihrem Schwager und ein paar lieben Freunden. Es waren schöne Stunden, in denen wir viel gelacht, aber auch geweint haben. Wir wussten nicht, ob und wann wir uns wiedersehen würden.

Ein letztes Foto zum Abschied (November 2007)

Von da an schrieben wir uns wieder in sehr unregelmäßigen Abständen Briefe, die allerdings nun nicht mehr übersetzt werden mussten. Ein paar Mal unterhielten wir uns über Skype, doch zu selten saßen wir zur gleichen Zeit am Computer, liegt doch eine Zeitverschiebung von vier Stunden dazwischen. Als ich mich dann endlich dazu durchringen konnte, mir ein Smartphone zuzulegen – wogegen ich mich lange gewehrt habe – wurde WhatsApp zu unserem Weg uns auszutauschen, wenn auch nicht im Übermaß. Aber von nun an konnten wir uns hier und da mal ein paar Grüße senden, Sprachnachrichten, Videobotschaften. In dieser Zeit hat sich viel verändert. Sie lebte bei ihrer Familie, fand einen neuen, festen Job, baute schließlich ein eigenes Haus. Ich traf meinen Mann, heiratete und wurde Mutter.

So vergingen viele Jahre, immer von der unterschwelligen Hoffnung auf ein Wiedersehen geprägt. Sie vermisste ihre Schwester, ihre Freunde, Deutschland. Sogar den Regen. Ich vermisste meine Freundin. Doch das Warten soll nun endlich ein Ende haben! Nach mehr als zehn Jahren kommt sie nun nach Deutschland zurück – wenn auch nicht für immer, doch immerhin für ein paar Wochen. Und ich freue mich so unglaublich darauf, sie wiederzusehen! Ich bin erfüllt von meiner Vorfreude. Und sie ist umso mehr aufgeregt. Der Mai wird ein besonderer Monat und ich kann es kaum erwarten, sie in die Arme zu schließen!

Ob wir uns in all den Jahren verändert haben? Gewiss. Doch ich bin mir sicher, wir sind trotzdem immer noch irgendwie die Alten geblieben und wir werden dort anknüpfen, wo wir aufgehört haben. Schon jetzt bin ich traurig, wenn es wieder Abschied nehmen heißt. Doch größer ist erst einmal die Freude auf das, was vor uns liegt.

Wahre Freundschaft kennt weder Raum noch Zeit – sie bleibt.

Für A.