Vorbereitete Umgebung vs. Zeit an der frischen Luft

Die Natur ist die beste Apotheke.Gerade sind wir wieder von unserem Ausflug an der frischen Luft zurück gekommen. Nepo schläft jetzt und ich versuche einfach mal zu entspannen. Die letzten Wochen waren sehr anstrengend für mich. Nepo war für mich schwer zu greifen und zu verstehen, dieses hin und her beim Wetter, dann meine Ernährung und ständig das wetterbedingte zuhause oder im Café hocken, haben mir ganz schön zugesetzt.

Als wir am vergangenen Wochenende tabula rasa in unserem Schlafzimmer gemacht haben und dort nun eine ziemlich klare Struktur herrscht, war mich klar, dass es mit der reduzierten und manchmal vorbereiteten Umgebung nicht getan ist. Gerade die letzten Tage hatten mir gezeigt, wie wohl sich Nepo an der frischen Luft fühlt. Allerdings nicht im Kinderwagen, sondern wirklich mit beiden Beinen auf dem Boden laufend.

Zeit im Kinderwagen sollte die Ausnahme sein

Ich nahm mir vor, dass ab Montag ein Ausflug an die frische Luft und ein damit verbundener Spaziergang wieder Pflicht für uns beide wird. Und zwar nicht nur, dass er im Kinderwagen sitzt, sondern das er auch läuft. Bisher war das zwar auch ab und zu der Fall, aber ich muss leider gestehen, dass ich ihn viel öfters einfach in den Kinderwagen gepackt habe. Ich glaube er saß einfach zu häufig im Wagen, sodass er auf meine Frage, ob wir denn nach draußen gehen wollen, er immer den Kopf schüttelte. Wahrscheinlich hatte er einfach keinen Bock wieder nur im Kinderwagen zu sitzen.

Seit Montag kann ich ihn immer fragen: Wollen wir wieder nach draußen gehen und möchtest du wieder alleine laufen? Und er lacht, nickt mit dem Kopf und setzt sich auf seinen Schemel, damit ich ihm die Schuhe anziehen kann.

Die Treppen runterzulaufen macht ihm noch keinen Spaß, sodass ich ihn runter und hoch trage. Sind wir aber erstmal unten im Hausflur, setze ich ihn ab, hole den Kinderwagen und dann geht es los. Habe ich ihn vor einigen Wochen noch an die Hand genommen, läuft er jetzt allein und immer mit dem Blick auf die grünen Beete neben mir her. Selbst an der Ampel nehme ich ihn nicht mehr an die Hand. Er bleibt stehen und geht dann mit mir über die Straße. Bei größeren Straßen habe ich ihn zwar immer noch an der Hand oder seine Kapuze in der Hand, aber ich will ihm zeigen, dass ich ihm vertraue und weiß, wenn ich STOP sage, dann heißt das auch Stop für uns beide.

Die Strecken zu Fuß werden immer länger

Waren es bis vor einigen Tagen nur wenige 100 Meter, die er gelaufen ist, so ist es jetzt schon ein gutes Stück, dass er in einem ordentlichen Tempo zurücklegen kann. Er läuft von unserer Wohnung bis zu unserem Stammspielplatz, dabei überqueren wir mehrere Straßen, eine Endhaltestelle für die Tram und einen gemütlichen Platz mit Maibaum. Es geht vorbei an mehreren kleinen Läden, Marktständen und Restaurants, bis wir die Grünfläche erreichen und dann unseren Spielplatz.

Sicher bin ich jetzt doppelt so lang unterwegs, aber dafür geniesse ich es, wie Nepo Kellerfenster entdeckt, an der Schule halt macht und die Kinder bei der Pause beobachtet. Wie er hektisch auf jeden Hund zeigt und die bunten Schaufensterdekorationen betrachtet. Bei der Haltestelle für die Tram bleiben wir immer am längsten. Es ist so aufregend für Nepo die Tram zu beobachten, den Leuten zuzuwinken, die drin sitzen und zu beobachten wie sie losfahren oder anhalten.

Gestern haben wir mal wieder ein Müllauto und die uns schon sehr bekannte Crew verfolgt. Von Hauseingang zu Hauseingang sind wir hinterher gelaufen und haben zugeschaut, wie die Tonnen geleert wurden. Die Männer der Abfallwirtschaft haben immer mit Nepo gescherzt, ihm gewunken und ihre Witze gemacht. Als sie dann fertig waren und der besonders liebe Mann sich in den Feierabend verabschiedet hat, sind wir zufällig hinter ihm her gelaufen. Plötzlich drehte er sich um, gab Nepo einen Euro und meinte: “Kauf die leckere Schokolade, weil du so ein lieber Engel bist.” Ich muss zugeben, mir standen die Tränen in den Augen, weil ich so überwältigt war, von dieser Geste.

Natürlich habe ich Nepo dann einen Osterhasen aus Schokolade gekauft. Den Euro habe ich aufbewahrt. Als wir heute zum Spielplatz gelaufen sind, kamen wir wieder an einem Obdachlosen vorbei, der bei Wind und Wetter auf dem Bürgersteig sitzt. Nepo hat ihn beobachtet und ich konnte nicht anders, als ihm genau diesen Euro in den Becher zu werfen. Ich denke, dass war die beste Würdigung dieses Euros.

Es sind die kleinen Momente, die so voller Glück sind. Hätte ich Nepo gestern und heute im Kinderwagen durch die Gegend kutschiert, wären wir nie in den Genuss dieser Augenblicke gekommen.

Keine Lust mehr auf die vorbereitete Umgebung

Seit Montag habe ich für Nepo nun in der früh auch nichts mehr vorbereitet, da wir zwischen 09:00 und 10:00 Uhr das Haus verlassen, um auf den Spielplatz zu gehen oder in unsere Kurse. Auch ohne die vorbereitete Umgebung macht Nepo nicht den Eindruck, dass er gelangweilt ist. Da wir sein Regal ausgemistet haben und er nur wenige Dinge zur Verfügung hat, nutzt er eben diese viel intensiver. Auch mit seinen Stofftieren, die er bis dato überhaupt nicht beachtet hat, beschäftigt er sich jetzt sehr stark.

Zwar sind immer noch die paar Autos, die wir nicht weggeräumt haben, das Highlight für ihn, aber es ist nicht mehr so extrem wie vor dem Wochenende.

Heute morgen hat er seit langem mal wieder in Ruhe gefrühstückt und Banane und das weiße von zwei gekochten Eiern gegessen. Oh, Gott, ich weiß gar nicht, ob das gut für ihn ist, aber wenn es ihm doch schmeckt. Danach haben wir an seinem Waschtisch die Zähne geputzt und ich konnte ihn das erste Mal seit mehreren Monaten auch mal wieder mit einem Waschlappen abwaschen. Er wollte das irgendwann nicht mehr und ich habe es akzeptiert. Jetzt mit der Waschschüssel, der kleinen Seife, dem Spiegel und dem Mini Waschlappen ist das alles für ihn viel aufregender. Heute habe ich dann auch Zahnbürste und Zahnpasta auf den Waschtisch geräumt, da ich glaube, dass es dort einfach ansprechender für ihn ist.

Nach dem also die Pflege vorüber war, ist er wieder abgedüst, hat mit was weiß ich gespielt und irgendwann war er dann bereit für den Ausflug auf den Spielplatz.

Mir fällt auf, dass er draußen so viel entspannter und ruhiger ist, als drinnen. Ich selbst kann das gut nachvollziehen, denn ich bin auch ein “Frischluftjunkie”. Das Wochenende komplett in der Wohnung zu verbringen, macht mich fertig. Vielleicht habe ich die Sucht nach frischer Luft und freier Bewegung an Nepo weitergegeben – das wäre toll.

Wachsende Abneigung gegenüber Spielplätzen

Der Weg heute zum Spielplatz war wieder sehr entspannt und entschleunigend. Nepo ist gefühlt 5000 stehen geblieben, hat Blumen, Hunde, Kellerfenster, Autos und die Trambahn beäugt, seine Nase am Schaufenster plattgedrückt und fasziniert den pinkelnden Dackel angeschaut. Bevor wir den Spielplatz erreichten, habe ich mir in einem kleinen Café noch einen Kaffee und für Nepo eine Brezel gekauft. Danach ging es auf den Spielplatz, wo wir die einzigen waren.

Wie schon letztes Jahr ist die erste Aktion auf dem Spielplatz die Babyschaukel. Nachmittags und bei schönem Wetter muss man da schon mal anstehen, aber ansonsten ist sie eigentlich sehr bequem. Nach der Schaukel ging es dann zur Rutsche und dann nirgendwo hin. Nepo wurde müde und hatte auf nichts so richtig Lust.

Mir fiel heute zum ersten Mal so richtig auf, dass die Kinder ohne die Eltern fast nichts machen können. Nepo hatte heute kurz das Bedürfnis überall hochzuklettern. Aber nirgendswo ging es, weil die Geräte für ihn noch zu groß sind, dazu kommt die eingeschränkte Beweglichkeit durch die Schuhe, den Baumwolloverall und die Matschhose. Er war so genervt, denn er liebt es Dinge zu erklimmen. Das funktioniert super bei den Hengstenberg Geräten im Spielraum oder auf der Wiese in freier Natur. Aber diese Geräte auf dem Spielplatz waren so demotivierend für ihn, dass er anfing mit weinen.

Ich schaute mich um und war genervt von der Babyschaukel, in die kein Kind allein reinkommt, von dem Wippauto, in das man die Kinder reinsetzen muss, von der Rutsche auf die Kinder in Nepos Alter hochgehoben werden müssen. Die Wippe, die einem Kind allein überhaupt nichts bringt und diese Netzschaukel, die so hoch ist, dass selbst ältere Kinder Probleme haben, dort reinzukommen. Es gibt kein Gerät, wo Nepo nicht auf meine Hilfe angewiesen ist und das finde ich scheiße.

Letztes Jahr ist es mir noch nicht so aufgefallen, aber jetzt mit der Spielraum Erfahrung, mit dem Wissen, wie stolz er ist, wenn er Schrägen laufen kann oder das Piklerdreieck erklimmt, jetzt weiß ich, wie deprimierend es für ihn sein muss, dass er fast nirgends hoch kommt.

Ich musste an Remo Largo denken und wie er mal in einem Interview über die fantasielosen Spielplätze wetterte, die nicht ansatzweise an die Erlebnisse im Wald rankommen. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich mit Nepo einen Naturtreff besuchen möchte. Auch ich bin schon völlig abgestumpft, was die Erlebnisse im Wald anbelangen. Und das, obwohl ich auf einem Dorf aufgewachsen bin, ohne schöne Spielplätze, aber mit viel Wiesen, Wäldern und Bächen.

Heute nachmittag werde ich mit Nepo an die Isarauen gehen. Dort gibt es Steine, die man ins Wasser werfen kann, grüne Flächen und viele Bäume. Ich werde die Route so legen, dass wir nicht am Spielplatz vorbeikommen, wohl aber am Naturkindergarten. Ich will, dass wir mehr von der Natur erleben, auch wenn wir in München wohnen. Aber hier ist der englische Garten und der ist zwar ein Park, aber trotzdem ansprechender als ein Spielplatz, dessen Geräte so demotivierend und frustrierend für Nepo sind, dass er nur noch weint.

An Ostern sind wir bei meinen Eltern – aufm Land. Sie haben ein Haus und sie haben einen großen Garten. Dazu gibt es in Laufweite Felder, Wiesen und etwas weiter weg auch Wald.

  • Ich möchte, dass wir mit Nepo einfach nur draußen sind und den Luxus eines Garten oder der nahe gelegenen Wiesen nutzen.
  • Ich möchte mit ihm nicht auf den neu errichteten Mehr-Generationen-Spielplatz oder die ganze Zeit in der Wohnung sitzen.
  • Ich möchte, dass er sich mit der Natur misst und nicht mit von Menschen entworfenen Fantasiegeräten in Blumen- und Pilzform.
  • Ich möchte, dass mein Sohn irgendwann barfuss über Wiesen, Felder oder Waldboden läuft – ohne Ekel, ohne Schmerzen oder dem Gefühl, dass da was fehlt.
  • Ich möchte keine super gedämpften Schuhe für ihn, sondern Schuhe, die so eine dünne Sohle haben, dass er den Kontakt zum Boden nie verliert.
  • Ich möchte, dass er in eine Krippe und einen Kindergarten geht, die es nicht zum Ziel haben, die Kinder auf Spielplätze zu schleifen, sondern mit ihnen in den Park und den Wald gehen oder sie einfach nur im Garten das Gras beobachten lassen.
  • Ich möchte, dass mein Sohn die Nähe zur Natur kennenlernt, die ich kennenlernen durfte. Ich will das er die Natur schätzen lernt, dass er weiß, dass ein Baum mehr Schatten spendet, als jedes Sonnensegel auf der ganzen Welt. Ich will das er merkt, dass wir ohne die Natur, aber die Natur ohne uns alles ist. Ich möchte nicht, dass mein Sohn ein typisches Großstadtkind wird, dass nicht weiß, dass eine Kuh braun-weiß ist und das Berge nicht nur zum Ski fahren da sind.

Ja, das alles ist meine Aufgabe als Mutter und diese zu erfüllen, solange es mir möglich ist, ist meine oberste Pflicht und Verantwortung ihm gegenüber.

So, jetzt werden wir Essen und danach geht es wieder nach draußen – diesmal aber an die Isar.

Alles Liebe

Mareike


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