Vor der Präsidentschaftswahl: Warum kann man Romney wählen?

Von Bertrams

Der folgende Beitrag war mein heutiger Kommentar für den Ohrfunk. Er ist etwas persönlich und meinungsmäßig eingefärbt ausgefallen.

Heute wird der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Wie vor 4 Jahren werden hunderttausende in der Nacht vor dem Fernseher sitzen, um den sicher spannenden Ausgang der Wahl mitzuerleben. Einer von ihnen werde ich sein. Und diese Wahl ist für mich praktisch genauso wichtig wie eine Bundestagswahl.

Es lässt sich leider nicht leugnen: Der Wahlausgang in den USA hat eine Menge Einfluss auf Deutschland. Friedenspolitik, Sicherheits- und Außenpolitik, Terrorbekämpfung und nicht zuletzt Wirtschaftspolitik Europas hängen stark von der amerikanischen Führung ab, von ihrem Kurs, ihren Stärken und Schwächen. Für mich wie für viele Andere ist wichtig, zu erfahren, wie extrem die amerikanische Regierung ist, die ab Januar die Geschicke der Welt maßgeblich mitbestimmt.

Über 80 % der Deutschen würden Barack Obama wählen, sagt eine Umfrage. Nehmen wir mal an, das stimmt. Für mich beweist dies nur, dass der jetzige Präsident das kleinere Übel ist. In Israel, so sagt eine andere Umfrage, würde die Mehrheit Mitt Romney wählen. Dies ist meiner Ansicht nach ein Beleg dafür, wie paranoid dieses Land ist. Israel wünscht sich eine starke, zupackende Hand. Dort glaubt man wohl immer noch, die Probleme der Welt sind durch einen heftigen Krieg zu lösen, der alle Anderen niederhält.

Und in den USA selbst gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Kandidaten. Ich frage mich immer wieder, wie das möglich ist. Barack Obama hat den Amerikanern mehr oder minder die Wahrheit gesagt, er hat für sie eine Krankenversicherung geschaffen, er hat einige Wirtschaftszweige gerettet, die sonst der weltweiten Krise zum Opfer gefallen wären. Welche Mentalität muss eine Bevölkerung haben, die sich vorstellen kann, einen Kriegsrethoriker wie Mitt Romney zu wählen? Einen Mann, der sofort die Krankenversicherung wieder abschafft? Einen Mann, der gegen den Iran in den Krieg ziehen könnte? Einen Mann, dessen Wahlkampfaussagen Verachtung und schlimmeres für die immer größer werdende Unterschicht in den USA befürchten lassen?

Der Hauptgrund, warum ich mit Bangen auf die USA schaue ist meine Überzeugung, dass es dort nur extreme Regierungen geben kann, weil die gesamte Bevölkerung irgendwie extrem ist. Man kann sich dort nur zwischen einer rechten und einer extrem rechten Regierung entscheiden, wenn wir mal die europäischen Begriffe nutzen, die auf die USA jedoch nur schwer anzuwenden sind. Das liegt vermutlich daran, dass sich die Amerikaner für das auserwählte Volk halten, das moderne Israel, von Gott dazu bestimmt, kraft ihrer republikanischen Verfassung und ihres unangreifbaren Kontinentalstatus gepaart mit militärischer Stärke die Welt zu führen und zu befrieden. Alles im Vertrauen auf Gott den Herrn, der die USA zum neuen Jerusalem gemacht und ihnen unerschütterliches Selbstvertrauen eingepflanzt hat. Dieses unerschütterliche Selbstvertrauen, dieser Glaube an die Mission des amerikanischen Volkes, sitzt offenbar tief in jedem Bürger der USA, selbst in den Armen und Benachteiligten. Sie würden lieber auf die Krankenversicherung verzichten, wenn sie durch irgendwelche Großtaten auf ihr Land stolz sein könnten, wenn sie Teil einer göttlichen Mission sein dürfen. Denn sie glauben fest daran: Jeder hat eine Chance, ganz nach oben zu kommen, reich zu werden, im Wohlstand zu leben. Und wenn es nicht klappt, ist man selbst schuld, man hat sich eben nicht genug angestrengt. In diesen Vertrag mit Gott selbst hat sich kein Staat einzumischen, er hat lediglich für Polizei und Militär zu sorgen, Kriminelle hinzurichten und der Welt seinen Willen aufzuzwingen. Die Amerikaner selbst soll er bitte in Ruhe lassen. Mit unerträglicher Arroganz schaut man im Bewusstsein absoluter persönlicher Freiheit und gestärkt durch die auserwählte Stellung auf den Rest der Welt herab. Niemand kann den Bürgern des neuen Jerusalem das Wasser reichen. Ihr Blut, ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit vom Völkerrecht sowie ihr Waffenbesitz sind unantastbar und heilig. Für diese Apostel der Freiheit und der Chancengleichheit gelten keine sie bindenden internationalen Gesetze, sie wandeln in Gottes Auftrag über diesen Erdboden. Deshalb bange ich wegen der Präsidentschaftswahl. Wenn genug Amerikaner glauben, Mitt Romney vertrete diese Ideale besser als Barack Obama, der noch dazu seine Wahlversprechen nie erfüllte, dann gnade uns Gott, oder wer auch immer. Dann werden Stolz, Verblendung und Hochmut die Welt vor ein großes Problem stellen, dem wir gerade mal seit 4 Jahren entronnen zu sein schienen. Wenn Hochmut, Verblendung und Stolz nämlich auch noch mit Macht, mangelnder Einsicht und fehlender internationaler Gesetzestreue einhergehen, hat die Welt allen Grund, sich zu fürchten.