vor 70 Jahren: der Untergang der Laconia – Wende im U-Boot-Krieg

Erstellt am 15. September 2012 von Julius Hensel

erschienen bei RIA Novosti

von Sergej Warschawtschik

© Photo Leopold Schuhmacher
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Vor 70 Jahren hat sich im Atlantik eine Tragödie ereignet, mit der ein neues Kapitel des Unterwasserkriegs begann.

Das deutsche U-Boot U-156 versenkte am 12. September 1942 das britische Kriegsschiff „Laconia“. Nachdem die Deutschen bei der Rettung der überlebenden Besatzungsmitglieder und Passagiere von den Amerikanern aus der Luft angegriffen wurden, erreichte die Grausamkeit des Kriegs auf hoher See eine neue Dimension. Denn jetzt wurde nicht einmal mehr vor Passagier- und Frachtschiffen Halt gemacht.

„Ich werde niemanden versenken. Hilfe!“

Der Kommandant der U-156, Werner Hartenstein, hätte nach der Attacke in Ruhe weiterfahren können, aber er versuchte, die Besatzung des sinkenden Schiffes zu retten. Dies tat er aber nicht aus reiner Menschenliebe: Von den knapp 3000 Menschen an Bord der „Laconia“ waren etwa 2000 gefangene italienische Soldaten. Italien war bekanntlich Deutschlands Verbündeter im Zweiten Weltkrieg.

Hartenstein war klar, dass er so viele Menschen nicht allein retten konnte, und sendete am 13. September ein Telegramm mit dem Aufruf, bei der Rettung der „Laconia“-Passagiere zu helfen. Er übermittelte die Koordinaten des versunkenen Schiffes und versicherte, niemanden anzugreifen, wenn niemand sein U-Boot attackiert.

Auf den Aufruf reagierten zwei deutsche und ein italienisches U-Boot. Nachdem die vier U-Boote die Geretteten an Bord und mehrere Rettungsboote in Schlepp genommen hatten, begaben sie sich in Richtung Afrika.

Am 16. September tauchten jedoch US-Bomber des Typs B-24 Liberator am Himmel auf. Die Deutschen hissten sofort die Rot-Kreuz-Fahne, doch das brachte die Amerikaner nicht dazu, ihren Luftangriff zu stoppen.

Eine Bombe traf ein Rettungsboot und tötete alle Insassen, eine andere fiel neben der U-156 und zerstörte viele Betriebssysteme des U-Boots. Die Besatzungen der U-Boote mussten ihre Rettungsoperation unterbrechen, die Seile zu den Rettungsbooten abschneiden und abtauchen. Die Rettungsboote wurden von zwei französischen Kriegsschiffen bis zur Küste geleitet. Die meisten Besatzungsmitglieder und Passagiere der „Laconia“ kamen dabei ums Leben.

Am nächsten Tag, dem 17. September, verbot U-Boot-Befehlshaber Admiral Karl Dönitz künftig jegliche Rettungsaktionen für Feinde in Seenot.

Damit wurde auf die letzten Anstandsregeln im brutalen Unterwasserkrieg verzichtet.

Neue gnadenlose Epoche

Die Unterwasserflotte spielte seit dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle in den Streitkräften. Zuvor waren U-Boote nur ein Thema für Enthusiasten, die ihren Traum von Unterwasserschiffen wie Jules Vernes „Nautilus“ verwirklichen wollten.

Die Deutschen waren die ersten, die das Potenzial der neuen Waffe zu schätzen wussten. Sie forderten Großbritannien heraus, mussten sich der Grand Fleet aber geschlagen geben, die damals die beste auf der Welt war. Ein offener Kampf gegen die Briten war unmöglich. Dann kam man in Berlin auf die Idee, U-Boote zu bauen, die bald zur wichtigsten Waffe Deutschlands werden sollten.

Es dauerte nicht lange, und die Briten bekamen die Schlagkraft der U-Boote zu spüren. Am 22. September 1914 gelang es der U-9 unter dem Kommando von Otto Weddigen, innerhalb von eineinhalb Stunden drei britische Kreuzer zu versenken. Damals starben knapp 1500 Matrosen und Marineoffiziere.

Als in Deutschland am 18. Februar 1915 der Befehl hinausging, alle Handelsschiffe des Feindes zu vernichten, begann einer der gnadenlosesten Unterwasserkriege, die die Welt bis dahin gesehen hatte. Jetzt wurden nicht nur Kriegsschiffe versenkt, sondern auch zivile Transport- und auch Passagierschiffe.

Das Völkerrecht hatte bislang alle Angriffe auf Zivilschiffe untersagt. Kriegsschiffe bzw. U-Boote sollten zunächst Signalschüsse abgeben, Zivilschiffe stoppen, und dann die beförderten Güter an Bord kontrollieren. Sie durften das Schiff erst versenken, nachdem alle Besatzungsmitglieder von Bord gegangen waren. All das war nicht mehr nötig.

Eine der schrecklichsten Tragödien ereignete sich am 7. Mai 1915, als der britische Passagierdampfer „Lusitania“ vom deutschen U-Boot U-20 vor der irischen Küste torpediert wurde und nur 18 Minuten später unterging. Dabei kamen 1198 Menschen, darunter etwa 100 Kinder, ums Leben. Das war die zweitgrößte Opferzahl nach der „Titanic“-Katastrophe (damals waren 1503 Menschen gestorben).

Das deutsche Kommando führte den schnellen Untergang des britischen Schiffes auf eine Explosion der Munition zurück, die die „Lusitania“ angeblich befördert hatte. Die Briten dementierten diese Behauptungen und machten die deutsche  Marine für die Katastrophe verantwortlich.

„Gesetze der Wölfe“

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, stieg die Zahl der Todesopfer des Unterwasserkriegs dramatisch an. Deutschland, das fast gar keine Oberwasserflotte hatte, setzte auf U-Boote und griff zur so genannten Wolfsrudel-Taktik, wenn gleich mehrere U-Boote feindliche Schiffe angreifen.

Zu den „Trophäen“ der deutschen „Wölfe“ gehörten die großen britischen Linienschiffe wie „Royal Oak“ und „Barham“. Bei diesen Attacken kamen mehr als 1500 Menschen ums Leben. Die meisten Attacken waren aber gegen zivile Fracht- und Tankschiffe gerichtet, die kaum bewaffnet waren und Deutschlands Feinde mit Öl und anderen wichtigen Gütern versorgten. Am erfolgreichsten war der deutsche U-Boot-Kommandant Otto Kretschmer, der insgesamt 44 Schiffe versenkt hatte, von denen aber nur vier Kriegsschiffe waren.

Mit nur einem Torpedo konnten mehrere Dutzend Panzer oder Hunderte Tonnen Öl des Feindes vernichtet werden.

Aufsehen erregte der deutsche Angriff auf den Arktis-Konvoi PQ-17 im Sommer 1942, der Militärtechnik und strategische Güter aus Nordamerika nach Großbritannien bzw. in die Sowjetunion bringen sollte. Bei Luft- und Wasserangriffen wurden damals insgesamt 22 Schiffe mit 210 Flugzeugen, 430 Panzern, 3350 Fahrzeugen und nahezu 100 000 Tonnen andere Güter versenkt.

Ein anderes Lieblingsziel waren für die deutschen U-Boote riesige Ozeansschiffe, die während des Kriegs für den Transport von Militärgütern genutzt wurden. Am 24. Dezember 1944 griff die U-486 unter dem Kommando Gerhard Meyers den Dampfer „Leopoldville“ mit etwa 800 US-Marineinfanteristen an, die nicht einmal die Möglichkeit hatten, den Feind ins Auge zu schauen.

Alliierte waren nicht gnädiger

Aber auch die Alliierten waren nicht weniger grausam. Am 18. März 1944 versenkte das britische U-Boot „Tradewind“ den japanischen Frachter „Junyo Maru“ mit mehr als 5000 Menschen an Bord, von denen die meisten Kriegsgefangenen aus Europa und Zwangsarbeiter aus den von Japan okkupierten Ländern waren.

Am 18. September wurde die japanische „Toyama Maru“, ein schwimmendes Gefängnis, vom US-U-Boot „Sturgeon“ versenkt. Damals starben etwa 5600 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.

Nicht, dass die Briten und Amerikaner sehr blutrünstig wären, doch bei Frachtschiffen wurde keine Ausnahme gemacht.

Die meisten Todesopfer forderten die Angriffe der sowjetischen Marine, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in der Ostsee dominierte, auf deutsche Schiffe.

So wurde am 30. Januar 1945 das Passagierschiff „Wilhelm Gustloff“, das als Hospital diente, vom sowjetischen U-Boot S-13 unter dem Kommando von Alexander Marinesko angegriffen. Laut offiziellen Angaben kamen dabei mehr als 5000 Menschen ums Leben. Einige Historiker vermuten, dass die Zahl viel höher war, weil sich viele Flüchtlinge an Bord befanden.

Zu knapp 7000 Todesopfern kam es beim Angriff des sowjetischen U-Boots L-3 (Kommandeur: Wladimir Konowalow) auf das Frachtschiff „Goya“ am 16. April 1945.

Konowalow und Marinesko wurden posthum mit dem Orden „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet.

Dönitz wurde während der Nürnberger Prozesse zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Die Weltgeschichte wird natürlich von den Siegern geschrieben. Man muss aber einräumen, dass die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert hauptsächlich auf dem Festland entschieden wurden, so dass die vielen Opfer auf hoher See hätten vermieden werden können.

Quelle: RIA Novosti