Von Günter Verdin (Anmerkung: dieser Artikel erschien 2003 in einer damals noch angesehenen Salzburger Tageszeitung)
Das von Johann Kresnik rigoros veränderte Drama von Henrik Ibsen erscheint auf der Perner-Insel in Hallein als Weltenvernichtungstheater.
Am Ende steht Pier Paolo Pasolini: "Erwachsen? Nie - nie, wie das Dasein,/ das nicht reift und immer bitter bleibt/ von einem glänzenden Tag zum anderen./ Ich muss treu bleiben der herrlichen/ Monotonie des Mysteriums."
Natürlich kann man den Egomanen Peer Gynt auch als Künstler sehen im beständigen Dilemma zwischen Erträumten und der Realität. In dieser Hinsicht ist Peer Gynt der schrille Verwandte von Regisseur und Choreograf Johann Kresnik, der mit einer wahren Bilderflut die Konsequenzen aus den Lehren der Weltgeschichte einfordert.
Kresnik bringt in dieser Koproduktion der Salzburger Festspiele mit dem "Schauspiel Hannover" kein Stück auf die Guckkasten-Bühne der Perner-Insel in Hallein, sondern den aktuellen Kommentar dazu, in dem ein Slogan den nächsten jagt. Ibsen selbst hat sein jeden Bühnenrahmen sprengendes "Peer-Gynt"-Drama ja mit zahllosen Zitaten und satirischen Zeitbezügen gespickt. Diese Inszenierung sagt über die Psyche des Sinnsuchers Peer Gynt wenig undnd viel über Kresniks gesellschaftliche Perspektive einer sozialistischen Demokratie aus.
Peer flüchtet vor Bindung und Verantwortung
Der norwegische Klassiker Ibsen hat mit "Peer Gynt" ein Stationen- und Ideendrama geschrieben, in dem der Mann ohne Eigenschaften, der Bauernbub Peer , an der Schwelle zum industriellen Zeitalter sich als "Kaiser der Interpreten" alle Möglichkeiten offenhalten. Brücken, wie sie Peer baut, führen nicht in die Zukunft, sondern halten den Weg ins Zurück offen. Die Maxime "Sei du selbst!" hält Peer auf seiner Weltreise, die eine Flucht vor Bindung und Verantwortung ist, lange genug bei Laune, bis er schließlich im Zwiebel-Gleichnis vor lauter Schalen seinen Kern nicht entdecken kann.
Erlösung gibt es für den Ibsen-Peer schließlich, sobald er sich auf das Wesentliche einlässt: "Grad mittendurch!" Und nicht mehr "Außen herum!" Sich selbst findet er im "Glauben, Hoffen und Lieben" der treuen Solvejg, in deren (Mutter-) Schoß er zurückdrängt (wobei er sich, nebenbei gesagt, schon wieder auf der Flucht diesmal vor der Welt, befindet). Indes: Erlösung ist für Johann Kresnik ein Fremdwort, "solange es Herren und Sklaven gibt". Unter den grünen Almwiesen lauern abgeschlagene Denkmalköpfe (unter anderen Stalin) als eherne Zeugen der Geschichte (Bühnenbild von Martin Zehetgruber).
Mutter Ase ist eine schreckliche Schlampe, die währen des inzestuösen Verkehrs mit Peer Freiheitsphrasen herausbrüllt. Peer selbst ist bei Kresnik in drei Figuren aufgespalten: der junge Peer (sich bis ins Letzte verausgabend dargestellt von Benjamin Höppner) ist ein heruntergekommenes Bürschchen - Baal und Autonomer. Der erwachsene Peer (Roland Renner: souverän sarkastisch, sich tapfer gegen den von Kresnik verordneten lauten Deklamationsstil stemmend) strotzt vor Lust auf Fun; und der alte Peer ( nicht nur altersschwach: Erhard Marggraf) wirkt nicht weise, sondern nur senil.
Von Ibsens "Peer Gynt" bleibt bei Kresnik ein Handlungs- und Textgerüst erhalten. Die Trolle etwa werden zur Snob-Gesellschaft im Schafsfell umgedeutet. Tanz in konventionellen Sinne spielt in Kresniks "choreographischem Theater" außer als Persiflage keine Rolle, ein "Schuhplattler" mit überdimensionalen Schuhen (Peers Siebenmeilenstiefel) oder ein Tanz von Haremsdamen bleiben Episoden zum Schmunzeln.
Untergeordnete Rolle der Tänzer
Im übrigen veranstaltet Kresnik für sein Lehr- und Thesenstück, das er für die Salzburger Festspiele aus "Peer Gynt" gemacht hat, gegen den - amerikanischen - Weltherrschaftsanspruch eine maßlose Materialschlacht: Tausende von Gipsknochen werden auf die Bühne gekarrt, Tausende von Red-Bull-Dosen ergießen sich aus der Höhe herab und müllen die Bühne zu. Keine Erlösung gibt es für Johann Kresniks Peer Gynt: Solvejgs unsterbliche Liebe ist bei Kresnik nur hündische Ergebenheit, an den Mensch gewordenen Erlöser will Peer gerne glauben , aber: "Welcher Gott wäre so verrückt?" Bleibt Peers Auftrag "in dieser Gegen jenseits der Zivilisation" (Heiner Müller): was genau die Mission von Peer in der Interpretation von Kresnik ist, bleibt, da Revolution und Materalismus ( laut Zitaten) abgedankt haben, im Ungefähren eines humanistischen Appells.
Johann Kresnik hat Ibsens "Peer Gynt" radikal zu Ende gedacht und ihn so um die Ecke gebracht.
Das Weltvernichtungs-Theater des Kärntner Regisseurs ist auf der Halleiner Perner-Insel auch Schauspieler- und Tänzer-Vernichtungstheater: die Künstler verbeugen sich, nach langem, mit Geduld ertragenen Leiden, mit bandagierten Füßen, blauen Flecken und blutig geschlagenen Knien. Indes-wofür?