Wolfgang Mitterer beim Festival Musica in Straßburg
Wolfgang Mitterer führt seine Musik zu Nosferatu auf (©Casa da MuÌ�sica : João Messias14)
Das Festival Musica eröffnete mit einem Konzert in Saverne am 21. September seine Pforten. In Straßburg selbst erlebte das Publikum die erste Aufführung dieser Saison zwei Tage später. Der österreichische Komponist und Organist Wolfgang Mitterer „bespielte“ den Stummfilm Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahre 1921 an einem dafür sehr reizvollen Ort. Die Aula der Universität aus dem 19. Jahrhundert, erbaut unter dem damaligen Herrscher Wilhelm, bot eine adäquate Kulisse. Die Musikuntermalung zu dem ehemaligen Gruselschocker nannte Mitterer „eine Symphonie des Grauens“ . Und das nicht zu Unrecht. Live an einer kleinen Elektroorgel, unterstützt mit digitalem Material, welches den Teppich zum Film legte, zauberte Mitterer vor allem eine Verstärkung jener Emotionen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Auch jene Szenen, in welchen der junge Hutterer, dessen Frau sich schließlich dem blutrünstigen Vampir opfert, um die Stadt zu retten, mit dieser in trauter Zweisamkeit verbringt, unterlegte Mitterer mit dunklen, ahnungsvollen Klängen. So entließ er das Publikum kaum je aus der Spannung, sondern sorgte vielmehr dafür, dass diese sich permanent steigerte. Durch seine atemraubende Interpretation gelang es, Kinomaterial aus der Steinzeit des Filmes so aufzuladen, dass ein durch neueste Technik und mit Effekten verwöhntes Publikum keine Sekunde Langeweile empfand.
Dem Prinzip des sich wiederholenden Spannungsaufbaues blieb Mitterer auch bei seinem zweiten Auftritt in der kleinen Kirche „eglise du bouclier“ treu, die sich nur wenige Schritte vom Touristenzentrum „Petite France“ entfernt befindet. Dort führte er seine neueste Arbeit „stop playing“ aus diesem Jahr auf, die sich nur mit der Wiedergabe von Orgelklängen beschäftigt. Dazu hatte er zuvor in Österreich von drei verschiedenen Orgeln Aufnahmen gemacht, die er in einem Remix seiner eigenen Improvisation am Konzertabend unterlegte. Eingebettet in das Präludium und die Fuge von Johann Sebastian Bach, BWV 552, die quasi als kleine Klammer das Stück umgreifen, ließ er seinen Assoziationen auf der Orgel freien Lauf. Eine Liveübertragung auf eine Leinwand ermöglichte es dem Publikum, Mitterer bei dieser „Orgelarbeit“ zuzusehen, was es auch ermöglichte, das zuvor eingespielte Grundmaterials besser aus der Live-Performance herauszuhören. Ein Grundschema trägt dieses beeindruckende Werk bis an sein Ende. Ein ständiges An- und Abschwellen des Klanges, in der Lautstärke hin bis zum physisch Spürbaren, wechselt mit kleinen, unterschiedlich gestalteten Interludien ab. Hie und da mischen sich Töne dazu, die an das „real life“ draußen vor der Türe erinnern. Das Pfeifen einer Dampflok, Autogehupe oder auch ferne Folgetonhörner ziehen die Gedanken immer wieder kurz auf den Boden der vermeintlichen Tatsachen. Wenn die Orgel anschwillt und zugleich ein pulsierendes Atmen im Hintergrund vernommen werden kann, hat man den Eindruck, dass Mitterer das Instrument im wahrsten Sinne des Wortes zum Leben erweckt. Stellenweise erinnert er in seiner Arbeitspräzision an einen Maschinisten tief im Bauch eines großen Frachtschiffes, der permanent an der Überwachung und Neujustierung seiner Maschinen werkt.
Fließende Übergänge kennzeichnen die verschiedenen Klangzustände, die sowohl ein Abgleiten in einen meditativen Zustand als auch eine Angstperformance hervorrufen können, wenn bedenkliches Rauschen düstere Assoziationen gebiert. Töne, die wie durch eine Wand oder einen Filter zu dringen scheinen, werden abgelöst von einer wieder erwachenden und sich quasi auf ihre ursprünglichen Klangqualitäten besinnenden Orgel. Die kurzen, aus vollen Registern ertönenden Passen gehen aber so schnell wie sie gekommen sind und im Handumdrehen setzt Mitterer das Instrument rein rhythmisch ein. Nach beinahe infernalischen Passagen, während welcher sich einige Zartbesaitete die Ohren zuhalten, folgt – wie eingangs beschrieben – vorhersehbar – ein leichtes, fröhliches Hüpfen und Springen, ein Spiel mit kurzatmigen Tönen. Synthese und Antithese, Sinus und Cosinus wechseln sich im schönen Rhythmus voneinander ab – und doch gestaltet der Komponist jede Sequenz anders. Eine kleine, zarte wie ein kurzer Cluster angelegte Sequenz beginnt sich wie ein trotziger Bergtroll zu gebärden, der schließlich in der von ihm selbst losgetretenen, aufbrausenden Lautwolke untergeht. Zusätzliche elektronische Effekte unterstützen dieses zerstörerische Unterfangen um schließlich wieder von wabernden, durchsichtigen Klangfetzen abgelöst zu werden, die mit einem zarten Basskorsett unterfangen sind.
Mitterers brausende Klangströme füllen den Raum bis in die kleinsten Ritzen, erobern ihn physisch und füllen ihn beinahe zum Bersten aus. Im daraufhin einsetzenden Decrescendo wiederum schält sich abermals ein organisches Klangmuster heraus, das einem raschen, menschlichen Pulsschlag nicht unähnlich ist.
Der erdige, fast holprig gespielte Bach, der Mitterers Stück einleitete, und der so gar nicht vom Fleck weg wollte, erklingt zum Ausklang um Vieles leichter und beschwingter. Beflügelt durch Mitterers dazwischen liegendes Werk, läuft das kleine Bachstückchen beinahe der Orgel selbst davon. Ein gut kalkulierter Schachzug mit einem Augenzwinkern auf die Postmoderne, der voll aufgeht, sieht man in die zufriedenen Gesichter der Kritikerkollegen – chapeau, Monsieur Mitterer!