von Trottelburg galore – das Intubationsunglück

Es dauerte nicht lange, bis der Gashahn zurückkam. Im Schlepptau – nein, nicht Willi. Der kann ja nicht überall sein, außerdem ist er meines Wissens nicht mit dem Ungut verwandt. Über die Beziehung der beiden will ich auch lieber nicht spekulieren. Gashahn hatte im Schlepptau einen Kerl, den ich ausnahmsweise mal nicht kannte. Groß und hager, ein bisschen blass mit aristokratischer Nase, die er ein wenig zu hoch trug für meine Begriffe. In den grünen OP-Klamotten sah er etwas unglücklich aus. Ich stellte ihn mir privat eher so in Kaschmir-Pullis und Cordhosen vor. Die Verwandtschaft zu Dr. Ungut war leider unübersehbar. Ich bemühte mich, ihm unvoreingenommen gegenüberzutreten.
“Anna, das ist Elard von Teutelsburg. Der Neffe von Herrn Ungut.”
Elard. Wie kann man nur Elard heißen? Seine Eltern müssen ihn hassen. Ich schätzte ihn ein wenig älter als den Durchschnitts-PJler, wahrscheinlich war er sogar älter als ich, wie ich mit einem unterdrückten Grinsen feststellte. Ich ging mit großen Schritten auf ihn zu und hielt ihm meine Hand hin. “Freut mich, Elard. Ich bin Anna.” sagte ich enthusiastisch. Elard nahm meine Hand mit der Begeisterung, mit der man ein totes Tier anfasst und ließ sie dann schnell wieder fallen. Ich taufte ihn “Elard von Trottelburg”.
Der Gashahn jedoch nickte erfreut: “Ich sehe, Ihr versteht Euch gut. Ich muss dann mal. Lassen Sie ihn ruhig alles machen.” Er sah mich flehentlich an. Hat der Ungut ihm wohl Stress gemacht. Aber normalerweise sagt der Ungut dann immer noch so was wie: “Und bloß nicht zu Anna, der blöden Schlampe.” Vielleicht mag er ja seinen Neffen auch nicht sonderlich. Mir jedenfalls war er von Grund auf unsympathisch. Was ist das nur in letzter Zeit mit unseren Studenten? Erst Willi, jetzt Elard. Allerdings bemerkte ich schnell einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden: Willi war zwar dämlich aber im Großen und Ganzen harmlos. Elard hatte mehr so einen psychopathischen Charme – nicht dämlich, aber gefährlich. Ich beschloss, ihn gut im Auge zu behalten.
Die ganze Szene spielte sich auf dem Gang vor der Einleitung ab. Ich hatte soeben den letzten Patientin in den Aufwachraum gebracht. In der Einleitung lag schon die nächste Patientin und wurde von Sr. Lisa versorgt.
“Na dann! Bitte…” sagte ich mit gespielter Freude, wobei ich mir mein Lächeln gedanklich mit einem Vorschlaghammer ins Gesicht meißelte.  Er ging steifen Schrittes voran in die Einleitung. Lisa sah uns irritiert an.
“Lisa, das ist Elard. unser neuer PJler. Er wird uns heute begleiten.” Lisa hielt ihm die Hand hin, er schüttelte sie mit dem gleichen Enthusiasmus wie zuvor meine. Sie sah mich irritiert an, ich blickte vielsagend zurück, noch immer lächelnd, aber mit hochgezogenen Augenbrauen.
“Äh… das ist Frau Schmidt. Lap Galle.” sagte sie mit einer Handbewegung in Richtung Patientin. Ich begrüßte Frau Schmidt kurz und sah dann ihre Unterlagen durch. Frau Schmidt war 64 Jahre alt, ohne wesentliche Vorerkrankungen und relativ schlank. Ich erwartete keine Schwierigkeiten bei der laparoskopischen Entfernung der Galle. Wir wechselten noch ein paar freundliche Worte, Frau Schmidt war mir ausgesprochen sympathisch, ein Grund mehr, Elard von ihr fernzuhalten. Elard stand währenddessen desinteressiert in der Gegend herum. Da steckte der Gashahn den Kopf zur Tür rein. Er blickte mich noch einmal flehentlich an und verschwand dann wieder. Ich seufzte. Wer weiß, womit der Ungut den Gashahn erpresst.
“Ok, Elard, dann komm mal her. Hast Du denn schon Erfahrung in der Anästhesie? Famulatur oder so?”
“Das ist nicht nötig. Ich habe einen IQ von 140 und habe ein photographisches Gedächtnis. Ich habe ein Buch gelesen. Außerdem hat mich mein Onkel in den theoretischen Dingen unterrichtet. So schwer ist das ja nicht.” fügte er noch verächtlich hinzu. Ich seufzte erneut. Freu Schmidt guckte komisch. Lisas V. jugularis externa trat deutlich hervor und hatte die Farbe auf puterrot gewechselt.
“Na, dann sag Lisa doch mal, was sie spritzen soll.” Elard blickte kurz auf die Medikamente, die Lisa vor sich hingelegt hatte.
“Fentanyl, Tracrium und Propofol.”
“In der Reihenfolge?” fragte Lisa spitz. (für die Nicht-Mediziner: Tracrium ist ein Muskelrelaxanz, spritzt man keinem wachen Patienten, denn der kann sich dann nicht mehr bewegen und auch nicht mehr selbst atmen. Ist nämlich nicht so angenehm, daher Tracrium immer als allerletztes, wenn der Patient schon schläft und sicher zu beatmen ist).
“Vielleicht guckst du erst mal zu, und wenn wir mit der Einleitung fertig sind, dann reden wir darüber.” schlug ich zwischen zusammengebissenen Zähnen vor.
Elard zuckte mit den Achseln. Lisa spritze die Medikamente – in der richtigen Reihenfolge und passender Dosierung. Ich fing an mit der Maske zu beatmen, das ging problemlos. Ich erinnerte mich an Gashahns Blick.
“Ok.” seufzte ich. “Du darfst mal mit der Maske beatmen, aber intubieren werde ich.” Die Zähne der Patientin sahen mir sorgsam rekonstruiert aus und hielten sicher keine grobe Behandlung aus. Elard sollte die Intubation lieber an jemandem ohne Zähne üben, das ist einfacher. Erstmals huschte eine andere Gefühlsregung als Verachtung über Elards Gesicht. Wir wechselten den Platz und er umgriff ungelenk die Maske. Luft zischte an den Seiten heraus. Ich korrigierte seine Handhaltung und zeigte ihm, was man unter einem C-Griff verstand. Natürlich drückte er der Patientin erstmal 900 ml rein, indem er den Beutel leerpresste.
“Elard, guck mal auf das Beatmungsgerät, das ist zu viel. Weniger Druck.”
“Soll ja Luft kriegen, oder?” fragte er ausdruckslos.
“ABER NICHT SO VIEL! Du überblähst sie doch, Mann.” Er reagierte nicht weiter auf meinen Einwand. Ich regelte schließlich einfach das APL-Ventil hinunter, so dass er nicht mehr genügend Druck aufbauen konnte. Damit pendelte er sich bei etwa 400 ml ein. “Ok, jetzt weg da. Ich intubiere.”
Elard machte keine Anstalten zu gehen. “Ich kann das machen.” sagte er.
“Sie eignet sich nicht zum üben. Du haust ihr nur die Zähne kaputt.”
“Ich pass auf.” Ich seufzte. Und dachte wieder an den Gashahn. “Na gut.” Lisa reichte ihm das Laryngoskop. Ich gab ihm Hilfestellung. “Nicht hebeln, hörst du, bleib bloß von den Vorderzähnen weg!” Ich griff ihm noch in die Hand, als ich ein lautes Klack hörte – und die Hälfte von Frau Schmidts Krone über dem rechten Schneidezahn wegbrach. Ich schlug die Hände vor meinem Gesicht zusammen und  sah mich schon beim Chef im Büro sitzen und das Unglück beichten.
“Hmm…” sagte Elard. “Ich hatte mir das einfacher vorgestellt.”
“Ach was.” sagte ich. “Jetzt gib das her.” damit schob ich ihn rabiat zur Seite. Die Sauerstoffsättigung der Patientin befand sich schon im freien Fall nach dem langen Herumgefuhrwerke. Nach erfolgreicher Intubation brachten wir die Patientin schnell in den OP und kabelten sie dort an, ohne Elard noch eines Blickes zu würdigen. Ich stellte wortlos das Narkosegerät ein, innerlich kochte ich. Die Chirurgen hatten schon ungeduldig gewartet und machten sich schnell an das Abwaschen der Patientin. Ich bereitete die Patientin noch immer kommentarlos medikamentös auf den Hautschnitt vor, als der Gashahn in den Saal kam.
“Anna, kommen sie mal kurz mit raus.” Er deutete in Richtung Einleitung.
Ich sah mich um. Lisa war gerade draußen beim Auffüllen, nur Elard stand noch da.
“Wir haben gleich Schnitt. ich kann jetzt nicht rausgehen.” sagte ich zum Gashahn.
“Doch, doch, das geht schon. Herr von Teutelsburg wird das sicher gut machen.” Ich sah ihn entsetzt an. Was sollte Elard denn machen können? Er gestikulierte wild, ich solle jetzt SOFORT kommen. Resignierend drehte ich mich zu Elard. Der grinste breit.
“Wenn die Herzfrequenz beim Hautschnitt deutlich sinkt, schrei bitte ganz laut. Ich stehe nur kurz in der Einleitung. Ich beobachte das hier zwar über den Monitor, aber so schnell kann ich vielleicht nicht reagieren.” Ich schüttelte den Kopf und lief hinter dem Gashahn her.

Was wollte der Gashahn so dringlich? Und was macht Elard währenddessen mit meiner Patientin? Nichts Gutes, das kann ich schon mal vorwegnehmen…


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