Guten Morgen,
Es ist Sonntag früh morgens um 7, ja und ich bin schon wach und fahre mit meinem Roller durch die Uni um für euch ein paar Bilder zu schießen. Es ist ekelhaftes Wetter, Sprühregen, 15 Grad und ich befürchte schon nicht zu finden was ich suche. Falsch gedacht, die chinesische Frühsportkultur lässt sich durch ein bisschen schlechtes Wetter nicht beeinflussen. Zwar ist mir bewusst, dass die Chinesen Frühaufsteher sind, aber hier ist mehr los als erwartet. Verschiedene Gruppen laufen mit erhobenen Armen umher, manche tanzen, die öffentlichen Fitnessgeräte sind besetzt, auf den Wegen spielen Leute Badminton. Die ganzen Badminton-, Basketball- und Tennisplätze sind besetzt, und ab und zu kommt einem einer der ominösen Rückwärtsläufer entgegen. Überall an Bäumen stehen alte Damen und Herren und dehnen sich, vereinzelt sieht man auch Schattenboxer. Ich schätze den Altersschnitt auf über 60, die Jungen sind wohl alle noch in ihrem Bettchen. Wohl ein Grund, warum viele von denen noch so relativ fit sind. So tief, wie manche da in die Knie gehen, sich auf ein Bein stellen oder ihren Körper dehnen, schaffen das viele Leute in meinem Alter nicht mehr…
Taiqi, die korrekte chinesische Bezeichnung lautet “Taijiquan“, ist in China ein Volkssport, und auch in Deutschland wird die Methode immer beliebter. Die ursprünglich als Kampfkunst entwickelte Sportart ist etwa 400 Jahre alt. Erst in den letzten Jahrhunderten bildete sich der eigentümliche Stil des Taiqi mit seinen fließenden, harmonischen Bewegungen heraus.
Es gehört zu den chinesischen Kampfkünsten, aber im Unterschied zum Kungfu, zählt es zu den inneren Kampfkünsten, das heißt seine Besonderheit liegt in der Verteidigung. Nach dem zweiten Weltkrieg unterstützte die chinesische Regierung Taiqi sogar als Methode zur Stärkung der Volksgesundheit. Taiqi wurde sogar wissenschaftlich erforscht und öffentlich gefördert. Nach chinesischer Vorstellung kräftigt der Sport die Lebensenergie des Menschen, das Qi.
Dagegen gilt Kungfu für uns als richtiger Kampfsport. Tiefe Konzentration und spektakuläre Kampftechniken lassen dabei sogar Eisen brechen. Aber der Weg dahin ist steinig: Jahrelanges hartes Training mit vielen Entbehrungen gehen der scheinbar mühelosen Darbietung voraus. Ziel ist dabei die perfekte Körperbeherrschung durch den Geist. In der chinesischen Provinz Henan steht das Shaolin-Kloster, in dem alles begann. Heute trainieren in dem Kloster noch ca. 70 Mönche.
Diese Kampfkünste haben auch Auswirkung auf das schulische und berufliche Weiterkommen. An einigen chinesischen Unis haben Kampfsportler deutlich bessere Chancen. Bei Vorlage eines Kungfu Diploms bekommen sie bei der Aufnahmeprüfung Extrapunkte. Diese Diplome gibt es allerdings nicht umsonst: Um die 20.000 Yuan (2500 Euro) kostet so ein Kurs und damit mehr, als viele Chinesen im Jahr verdienen. Für wohlhabende Eltern ist es andererseits eine Möglichkeit, ihrem Kind den entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Der Kampf um die Studienplätze ist in China knallhart. Nicht einmal jeder Dritte besteht die berüchtigten Aufnahmetests, auf drei Millionen Studienplätze kommen zehn Millionen Bewerber. Der Platz an einer Universität ist für viele Chinesen der einzige Weg, einer Zukunft als schlecht bezahlter Arbeiter zu entgehen.
Jetzt geh ich wieder in mein warmes Bett