Von Rabenmüttern, Hausmütterchen und Supermoms

Von Rabenmüttern, Hausmütterchen und Supermoms

Welche der drei bist du?

Kind und Karriere. Nach der Elternzeit (oder bereits früher) wieder mit 40 Stunden zurück in den Job, um die Karriereleiter weiter heraufzuklettern, keine Gelegenheit zu verpassen. Überstunden machen, um im Team nicht negativ aufzufallen. Das Kind ist in der KiTa. Dort ist es gut versorgt. Wozu gibt es schließlich KiTas? Morgens hetzen. Aufstehen, fertigmachen, Kind anziehen, Frühstücken, Zähneputzen, aus dem Haus. Zu spät dran sein, wenn nicht jede Situation perfekt sitzt. Stress. Nachmittags das gleiche Spiel, nur umgekehrt. Team-Meetings, Calls, Projektplanung. Die Uhr immer im Nacken. Die KiTa schließt. Das Kind muss pünktlich abgeholt werden. Wieder hetzen, wieder Stress. Völlig fertig zuhause. Mit dem Kind spielen, ihm Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Außerdem: Einkaufen, Putzen, Kochen, Waschen. Perfekt aussehen.

Oder: Elternzeit ausweiten. Zuhause bleiben. Für das Kind da sein. Den Haushalt schmeißen. Heimchen am Herd. Auf die Karriere pfeifen und sich ganz auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist: Die Familie, die Kinder. Morgens Brote für alle schmieren, beim Frühstück rumalbern. Fenster putzen, Gardinen waschen, Hemden bügeln. Mit den Kindern rausgehen. Frische Luft ist wichtig. Kastanien sammeln. Zuhause: warmer Kakao, Kleber, Schere, Pappe. Mit den Kindern basteln. Kreativität ist wichtig. Am Nachmittag zum Musik- und Spielkreis / Kinderturnen. Kaffee mit den Muttis. Gespräche über das Zahnen, Windpocken und Tonie-Figuren. Wozu hat man eigentlich studiert? Die Kinder spielen. Perfekte Kindheit.

Oder: Alles können. Alles machen. Alles schaffen. Immer. Zu jeder Zeit. Zur gleichen Zeit! Supermom sein. Karriere machen. Sich selbst verwirklichen, sich selbstständig machen. Erfolgreich bloggen. Ein Modelabel gründen. Ein Café eröffnen. Klar geht das! Man muss es nur wollen. Jeder kann Supermom sein. Man muss nicht am Herd verdummen. Man muss auch nicht Kind gegen Karriere tauschen. Man kann beides haben! Zu 100 Prozent! Ist das nicht toll? Man kann sich beruflich entfalten, 1000 Prozent geben, sich hineinhängen, sich etwas aufbauen, erfolgreich sein. Und trotzdem: Man kann sich komplett seinem Kind widmen. Mit ihm Kastanientiere basteln, einen Kuchen für die KiTa-Weihnachtsfeier backen und immer saubere Fenster haben. Man kann alles haben! Man ist schließlich Supermom. Man ist perfekt.

Wieso gibt es für Mütter so viele Labels? Wieso haben wir immer das Gefühl, das eine sein zu müssen, aber eigentlich das andere zu sein? Wieso gibt es nur schwarz, schwarz und weiß? Und wieso verdammt gibt es das alles nicht auch für Männer?

Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch mit Freundinnen, alles intelligente, emanzipierte Frauen. Es ging um eine Bekannte, die drei Monate nach der Geburt wieder arbeiten geht. Sie möchte Karriere machen, das Kind war nicht geplant. Rabenmutter. Die Schublade ging ganz schnell auf. Wie kann man so sein? Hat sie keine Mutterliebe? Verständnislosigkeit. Und direkt im zweiten Moment: Moment mal. Wieso eigentlich? Der Vater bleibt zuhause. Das macht er gern. Wieso ist das jetzt eigentlich so schlimm, dass sie lieber in Meetings sitzen anstatt Windeln zu wechseln? Ist sie deshalb ein schlechter Mensch, eine schlechte Mutter? Wir haben 2019, verdammt! Stimmt auch wieder. Wir gestehen uns alle ein, zu schnell geurteilt zu haben. Wir sind doch eigentlich Feministinnen (zumindest haben wir das Gefühl als gebildete, selbstbestimmte Frauen welche sein zu müssen). Mist. Der erste Impuls war: Verurteilen! Der zweite: Scham. Sollten wir Frauen nicht alle zusammenhalten, anstatt uns gegenseitig (wenn auch nur in Gedanken) Stempel aufzudrücken? Und wieso denken wir nicht genauso über Vollzeit arbeitende Väter? Diese verflixte Doppelmoral...

Gleichzeitig befinde ich mich selbst auch im ständigen Zwiespalt. Ich gehe wieder arbeiten, seit mein Sohn 1,5 Jahre alt ist. Zwar nur 20 Stunden in der Woche, aber trotzdem ist er jeden Tag von 9 bis 15 Uhr in der Krippe. Wir haben schöne, entspannte Morgen zusammen. Wir lassen uns Zeit beim Frühstück und scherzen beim Anziehen. Und am Nachmittag ist sogar der ein oder andere Mutter-Kind-Kurs oder Kaffeeklatsch drin. Trotzdem ist es nicht perfekt. Ich bin oft ganz schön fertig von diesem Doppelleben. Habe am Nachmittag keine Lust oder Zeit mehr zum putzen. Die Bügelwäsche türmt sich und die Fenster sind dreckig. Manchmal läuft bei uns Paw Patrol, damit ich meinen Kaffee in Ruhe trinken oder etwas am PC erledigen kann. Manchmal gibt es Nudeln mit Pesto, weil ich keine Zeit mehr hatte einzukaufen oder tatsächlich einfach keine Lust hatte zu kochen. Und wenn ich für jede jede Minute meines Lebens, die ich in öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen Arbeit, Krippe und Terminen verbracht habe, einen Euro bekommen würde, wäre ich schon jetzt Multimillionärin.

Und ich habe ein schlechtes Gewissen. Nicht immer, aber immer wieder überkommt er mich. Der Gedanke, ob das alles so richtig ist. Wieso und für wen mache ich das eigentlich? Mein kleiner Sohn verbringt mehr Zeit am Tag mit fremden Frauen als mit mir. Ich verbringe unter der Woche fast genauso viel Zeit mit Kolleginnen wie mit meinem Kind. Und wofür? Für diesen Bürojob. Ich bin keine Ärztin oder Politikerin. Ich rette oder verändere keine Leben. Ich schaffe nichts Weltverbesserndes mit meiner Arbeit. Und doch gehe ich täglich hin und verpasse deshalb vielleicht wertvolle Stunden in der so kurzen Kindheit meines Sohnes. Denn wie viele Jahre will er wohl überhaupt noch mit mir spielen? Zeit mit mir verbringen? Vielleicht 10 Jahre, wenn ich Glück habe. Das geht so schnell vorbei. Verpasse ich gerade etwas Wichtiges? Tue ich das Richtige?

Aber ich wollte es so. Spätestens seit dem ersten Geburtstag meines Sohnes hatte ich das Gefühl, von meiner Umgebung immer wieder dieselbe Frage gestellt zu bekommen: "Und, wann gehst du wieder arbeiten?" Weil es heutzutage selbstverständlich erscheint, nach einem Jahr Elternzeit wieder in den Job zurückzukehren. Alle Mütter in meiner Umgebung fingen wieder an zu arbeiten. Waren Personalerin, Lehrerin, Managerin, Fotografin und Supermom. Da konnte ich doch nicht einfach "nur" Hausfrau sein. Ich habe schließlich studiert! Ich habe einen Master! Ich muss mich doch noch mit anderen, anspruchsvolleren Themen beschäftigen (wollen), als mit Baby und Haushalt.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Gesellschaft verlangt von mir, beides zu können und zu wollen. Wir haben schließlich 2019. Wenn ich zugebe, dass "nur" Hausfrau zu sein mir genügt, bin ich dann nicht irgendwie langweilig? Spießig? Ist das nicht zu sehr 1956? Ich bin doch nicht Betty Draper (und ich sehe leider sowieso definitiv nicht so aus 😉 )! Betty Draper hatte es einfach. Sie hatte gar nicht erst die Wahl. Unfrei, aber einfach. Ich habe die Wahl und ich weiß nicht, was ich wählen soll.

Und nun habe ich gewählt, aber auch irgendwie unfreiwillig. Aber wäre ich mit der Alternative besser dran? Ich hätte definitiv weniger Stress. Mein Alltag wäre zwar nicht unbedingt ruhiger, aber von weniger strikten Zeitplänen und weniger Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln bestimmt. Vermutlich würde aber auch das sich nicht perfekt anfühlen. Ich hätte vermutlich das Gefühl, mein intellektuelles Potential nicht auszuschöpfen. Ich hätte das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, mein Kind nicht in die KiTa zu geben, obwohl das doch so wichtig für das Erlernen sozialer Kompetenzen sein soll.

Gleichzeitig sehe ich, wie gerade dieser Trend entsteht: Mutter sein, das ist wieder cool! Man sieht es bei Instagram, Pinterest. Die Geburtenraten in Deutschland steigen wieder. Babys werden geboren und mit ihnen Supermoms. Denn die neuen Mütter sind nicht wie die alten! Sie sind Supermoms! Sie tragen sogar T-Shirts und trinken aus Tassen, die das bezeugen. Sie können alles und das gleichzeitig. Frauen wird wieder dieses perfekte Image vom Muttersein suggeriert. Ähnlich wie in den 50ern. Nur sind sie heute zudem auch noch perfekt im Beruflichen. Mutter, Powerfrau, Business-Woman, Model. Jackpot!

Ich habe das Gefühl, dass das ein unerreichbares Ideal ist, dem wir da hinterherjagen. Wir können nicht 100 Prozent unserer Energie unseren Kindern, dem Haushalt und unserem Job widmen. 50/50 vielleicht. Aber selbst dann: Wo bleibt da Energie für uns selbst? Für unsere Hobbies, unseren Partner, unsere Freundschaften und die Zeit, einfach mal einen Tee zu trinken und ein paar Seiten in einem Buch zu lesen?

Eine Lösung für das Problem habe ich allerdings nicht. Und so mache ich erstmal einfach weiter, so wie bisher. Denn schlecht geht es mir ja auch nicht. Im Gegenteil: Ich bin glücklich. Ich liebe mein Leben und ich kann mir kein Besseres vorstellen. Es ist natürlich nicht perfekt, aber das muss es auch gar nicht sein. Nichts ist das. Auch Supermoms nicht. Und vielleicht reicht es auch schon, sein Bestes zu geben und zuzugeben, dass nicht alles geht. Und die richtiges Prioritäten zu setzen. Dann gibt es eben keine Supermoms. Das ist ok. Es gibt ja auch keinen Superman. Aber es gibt gute Mütter und Alltagshelden und -heldinnen und das zu sein ist doch vielleicht ein besseres, gesünderes Ziel für uns alle.

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