Der etwas exzentrische französische Offizier Joseph N. Niepce hat 1826 die erste Fotografie gemacht. Er hat aus dem Fenster seines Zimmers während acht Stunden die Aussicht (das gegenüberliegende Dach) auf eine präparierte Zinnplatte belichtet. Auf die ersten Experimente folgte sogleich die Diskussion mit seinem Freund, dem Maler, Akrobat und Tüftler Louis Daguerre: kann man diese Erfindung verwenden? Gibt es einen Bedarf?
Als erstes konkurrierte die neue Technologie mit den vielen Portraitmalern in den Alleen von Bordeaux und Paris: jene Künstler, die für Liebespaare und Touristen kleine Andenken erstellten, Bildchen für Kommode, Brosche oder Liebesbrief.
Heute werden täglich 1,8 Milliarden Fotos über soziale Netzwerke im Internet hochgeladen. Das sind etwa 20’000 Bilder pro Sekunde. Allein Facebook rühmt sich, 10’000 Mal mehr Fotos zu archivieren, als die US Library of Congress. Und was für welche!
Pro Jahr werden also mehr Fotos geschossen, als es Sterne hat in unserer Galaxis (Sterne: 300 Milliarden, Fotos: mindestens 2 Billionen pro Jahr).
Ich erinnere mich, wie ich als Knabe mit grosser Sparsamkeit meine ersten Bilder im Basler Zoo gemacht habe. Es war ein schwarz-weiss Film von Illford. Ich habe ihn selber entwickelt, in einer schwarzen Kunststoffbox und dann die Fotos mit Hilfe meines Vaters vergrössert. Am Samstagabend hat sich die Küche oft verdunkelt, sie wurde in ein archaisches Labor verwandelt, mit Wannen und Flaschen, Giften und einem tickenden Metronom, um die Belichtungszeit abzuzählen.
Später habe ich fast nur noch Dias erstellt. Die Filme waren für mich teuer und sparsam machte ich die Bilder bei den Indianern der Hochanden oder im Urwald Boliviens, bei den Mönchen im Japanischen Zen-Tempel oder den Bauern im Indischen Rajastan. Das Foto-Material war abgezählt und in Beuteln aus Bleifolie verpackt, damit sie beim Röntgen in den archaischen Flughäfen keinen Schaden erlitten.
Fotografieren hilft uns, Sehen zu lernen. Wahrzunehmen. Uns zu fokussieren. Uns zu überlegen: was interessiert mich wirklich? Was möchte ich später als Erinnerung haben? Was gibt es hier zu sehen? Was ist besonderes daran? Wie bringe ich das am Besten zum Ausdruck? Und früher, wenn ich in meiner Kamera für den Tagesausflug nur noch fünf Bilder übrig hatte, war die Beantwortung dieser Frage besonders schwierig. Ergänzende Zeichnungen, Krokis und Notizen ins Tagebuch halfen mir aus der Verlegenheit.
Heute fotografiere ich auch Digital. Ich musste mir die hartnäckige Sparsamkeit abgewöhnen. Ich mache jetzt auch sehr viele Bilder von den Dingen, die mich interessieren. Von Pflanzen und Tieren, von Landschaften, von Menschen und Naturereignissen und insbesondere von merkwürdigen Beobachtungen. Ich trage so meinen kleinen Beitrag bei, zu den Jährlichen 2’000’000’000’000 Bildern.
Aber noch immer habe ich überall mein Tagebuch dabei, mache mir ergänzend allerlei Skizzen und notiere mir die Gedanken zu den Erlebnissen.
Bild ganz oben: „No picture please“ / 64cm x 45cm / Acryl auf Zeichenpapier / 2014, Nr. 14-014