Gedanklich bin ich immer sofort auf Entdecker-Tour und verliere mich in Träumereien, wenn ich durch die Kalender-Abteilung einer großen Buchhandlung gehe. Ich mag großformatige Kalender mit hochqualitativen Fotografien von fernen Ländern, alten Baumalleen oder Meeresstränden. Ich mag ganz besonders den Mare-Kalender. Ich mag auch spirituelle Kalender mit Buddha-Motiven.
Doch nichts mag ich so sehr wie Literaturkalender. Und hätte ich einen einzigen Wunsch frei, ich würde mir immer wieder einen Literaturkalender wünschen. Keinen Tageskalender, denn der würde mich nervös machen. Jeden Tag ein Buch oder einen Autor zu entdecken – das wäre mir einfach zu viel an Information.
Wie schön ist es da, wenn man – wie beim Arche Literaturkalender – nur Woche für Woche umblättern muss und sich sieben Tage lang an ein und demselben Bild erfreuen kann. 2017 widmet er sich dem Thema Nähe und Ferne. 53 Autorenporträts mit dazugehörigen kleinen Texten erzählen wöchentlich vom Wunsch nach Nähe einer geliebten Person oder vom Schmerz des Verlustes und des Loslassens.
Könnte denn 2017 besser beginnen, als mit einem charmant lächelnden Jerome David Salinger?! Und mit seinen Gedanken über zu viel Bier und Wein und über Gäste, die endlich gegangen sind? Ich liebe seinen Roman Fänger im Roggen in der Übersetzung von Heinrich Böll aus dem Jahr 1956. Ich überlege gerade, ob ich den Roman bald ein drittes Mal lesen sollte. Wie würde die Story diesmal auf mich wirken? Denn während mich die großartige Botschaft des Romans einfach nicht erreicht hat, als ich sechzehn war, fühlte sich die Lektüre mit 32 Jahren an wie eine Offenbarung. Heute ist Fänger im Roggen in den Buchläden nur in der Neu-Übersetzung von Eike Schönfeld zu bekommen.
Im August 2017 erwartet mich ein freundlich lächelnder Wolfgang Herrndorf. Schon jetzt weiß ich, wie sehr ich bedauern werde, eine neue Woche beginnen und mich von ihm verabschieden zu müssen.
Oder Franz Kafka im Juli 2017! Er wird mich Morgen für Morgen zugleich an meine Pragreise im November 2015, die Spaziergänge durch die Altstadt und die anschließende Lektüre von Brief an den Vater erinnern. Wie gern trinke ich meinen Kaffee aus der Kafka-Tasse, ein Andenken aus dem Kafka-Museum. Auch denke ich gern an die Liebesgeschichte zwischen Kafka und Dora Diamant, welche Michael Kumpfmüller in Die Herrlichkeit des Lebens erzählt. Links auf dem Foto der Strand vom Ostseeheilbad Müritz, hier haben das jüdische Mädchen Dora Diamant und Franz Kafka sich kennen gelernt.
Weihnachten 2017 schließlich feiere ich mit Rebecca West, der in London 1892 geborenen Journalistin und Autorin. Sie war berühmt für ihre kritischen und klugen Beiträge in so großen Zeitungen wie Daily Telegraph oder New York Herald Tribune. Über viele Jahre hatten sie und H.G. Wells eine Liebesbeziehung. In diesem Jahr ist ihr schmaler Roman Die Rückkehr in einer Übersetzung von Britta Mümmler bei dtv erschienen. Gleich hole ich ihn aus dem Regal und denke, es wäre Zeit, auch ihn bald zu lesen.
Desweiteren erwarten Euch übers Jahr u.a. Tomas Tranströmer, Pablo Neruda, Sylvia Plath, Robert Gernhard und mit einem zauberhaften Kinderporträt John Updike. Zu jedem Autorenfoto gibt es Informationen, Zitate aus Büchern oder Briefen. Das Kalendarium ist täglich versehen mit Geburts- und Sterbedaten berühmter DichterInnen und AutorInnen. Doch so ein Literaturkalender informiert eben nicht nur, er inspiriert, regt zum Träumen und Erinnern an, motiviert zum Lesen und … macht einfach glücklich. All die Gedanken, die jedes einzelne der 53 Kalenderblätter auslöst – ich möchte sie nicht missen. Warum zu Weihnachten also statt einem Buch nicht einfach mal einen Literaturkalender verschenken. Sich selbst oder einem lieben Menschen in der Nähe oder in der Ferne. Und wann, wenn nicht jetzt.
Einen schönen Überblick über weitere Literaturkalender findet Ihr auf dem Blog der Klappentexterin.
Arche Literaturkalender 2017. Von Nähe und Ferne. Arche Kalenderverlag. 60 Blätter. 58 Fotos. farbig. 22,- €