Der Weg eines irakischen Muslim zum Christentum
von Inge M. Thürkauf
Christen sind Ketzer, sind unreine Parias, sind weniger als nichts, und beten dazu noch drei Götter an. Der 23jährige Mohammed, durchdrungen vom Bewußtsein der Macht seiner schiitischen Adelsfamilie im Irak des Saddam Hussein, Augapfel seines Vaters und designierter Nachfolger als Stammesoberhaupt, krümmt sich vor Ekel bei dem Gedanken, sein Zimmer während des Wehrdienstes mit Massoud, einem Christen, teilen zu müssen – er ein Moussaoui, dessen Familie in direkter Linie vom Propheten abstammt und den die Bewohner Bagdads mit „Sayid Malouana – unser Herr“ begrüßen. Unerträglich die Vorstellung, mit einem Christen sprechen, das Essen gemeinsam mit ihm einnehmen zu müssen oder gar in die Lage zu geraten, von ihm berührt zu werden. Mohammed war noch nie einem leibhaften Christen begegnet und nun soll er auf Befehl des Quartiermeisters mit diesem ihm unbekannten Individuum zusammenwohnen? Bei diesen rebellischen Gedankensplittern tröstet ihn jedoch plötzlich die Idee, diesen Ungläubigen – koste es, was es wolle –zum Islam zu bekehren. Das war im Jahre 1987.
Ein Vierteljahrhundert später wird er mit Überzeugung gestehen: „Man muß den Islam zerstören, um die Muslime zu retten…Ich liebe die Muslime, aber diese Religion ist das Schlimmste, das die Welt hervorgebracht hat. Es ist die einzige Religion, die fordert, den Nächsten zu töten…Christus allein ist die Wahrheit, diese Wahrheit tötet niemand, sie liebt“.
Als er im Gespräch mit einem Journalisten diese Aussage wagte, lebte er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Exil in Frankreich – als illegale Einwanderer, entwurzelt, mittel- und staatenlos. Der Name seiner Familie in Bagdad hätte ihm die Türen zu Macht und Reichtum geöffnet. Doch aus dem Schiiten Mohammed al-Moussaoui ist der Christ Joseph Fadelle geworden.
Dieser Gesinnungswandel, der sein bisheriges Leben sprengte und dessen Folgen er lange Zeit nicht wahrhaben wollte, wurde ausgerechnet durch Massoud, den Stubenkameraden aus dem Militärdienst eingeleitet. Er entsprach nicht den Vorurteilen, die Mohammed ihm unterschob. Im Gegenteil! Der Christ wurde durch seine Bildung und seine freundliche Zurückhaltung für ihn das Tor zu einem neuen Blick auf den Islam, in dem er den ahnenstolzen Muslim bat, den Koran „eingehend und ehrlich zu studieren“, ihn nicht einfach nur zu lesen, sondern ihn mit dem Verstand zu begreifen. Mohammed lässt sich darauf ein und muß mit wachsender Erschütterung erkennen, dass ihm im Laufe der Lektüre des heiligen Buches der Muslime die Fundamente seines Glaubens immer mehr entschwinden, dass selbst das Leben des Propheten, dessen Namen er trug, ihm zu einer „Quelle der Scham“ wird.
Der Schmerz über den Verlust des bisher so stolz hochgehaltenen Glaubens, die für ihn demütigende Erkenntnis, einer falschen Religion angehangen zu haben, bringt ihn an den Rand der Verzweiflung. Ein Traum rettet ihn aus dem „seelischen Siechtum“, das ihn über Wochen niederdrückte: Er steht an einem Bach, ihm gegenüber am anderen Ufer ein Mann, gekleidet nach orientalischer Art, der in ruhigem Ton zu ihm spricht: „Um den Bach zu überqueren, musst du das Brot des Lebens essen.“ Einige Stunden später übergibt ihm Massoud, sein Zimmerkamerad, ein Neues Testament, auf das er mit Ungeduld schon seit Wochen gewartet hat, schlägt es wahllos auf und stößt auf den Satz: „Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern.“ Ohne den Zusammenhang näher deuten zu können, überfällt ihn eine bisher unbekannte Fülle der Freude. Die „Quelle der Scham“ über so viele verstörende Aussagen im Koran wandelt sich in eine Quelle der Freiheit und der Liebe für diesen, im Neuen Testament beschriebenen Jesus, den er mit jeder Faser seiner Seele kennenlernen und dem er folgen will. Mit der Liebe zum „Brot des Lebens“ erhält er auch die Gnade, die für einen Muslim so komplizierten Glaubensinhalte wie das Mysterium des Heiligen Geistes und der Dreifaltigkeit zu begreifen. Ohne den geringsten weiteren Widerstand oder Zweifel nimmt er beide Lehrsätze an.
Sein sehnlichster Wunsch, sich der Kirche anzuschließen und an ihrem Gebetsleben teilzuhaben, um letztlich durch die Taufe gewürdigt zu werden, das Brot des Lebens zu empfangen, wird durch die tödlichen Gefahren, denen sich abtrünnige Muslime aussetzen, zu einer harten Prüfung. Seine jahrelang wiederholten Versuche, in den Kirchen Bagdads Priester zu finden, die bereit gewesen wären, ihn zumindest an den Gottesdiensten teilnehmen zu lassen, sind in allen Fällen zum Scheitern verurteilt und gipfeln letztlich in der Entscheidung des Patriarchen, dass man nicht die ganze Herde opfern könne, um ein einziges Schaf zu retten. Proselytismus bedeutet den Tod – sowohl für den Muslim als auch für den Priester, in nicht wenigen Fällen auch für die Mitglieder der Gemeinde.
Die Jahre vergehen. In der Zwischenzeit hat sein Vater für ihn eine Frau gefunden. Du musst sie einfach nur annehmen, wie ein Möbelstück für dein Zimmer, beruhigt der Vater, als er den Widerstand seines Sohnes gegen diese Entscheidung bemerkt.
Nach Jahren beharrlichen Suchens traf Mohammed endlich einen Priester, der bereit war, ihn in der Religion der Christen zu unterrichten und – welch unfassbare Freude – ihm erlaubte, an der Heiligen Messe teilzunehmen. Unter seiner Anleitung lernte er die gängigen Gebete der Christen. Welch ein Gegensatz zum islamischen Gebetsleben, wo die rituellen Waschungen im Zentrum stehen. Nun war er auch in der Lage, für seine streng muslimische Frau und den zweijährigen Sohn zu beten, um Rettung vor dem Islam und um die Bekehrung zu Christus. Was er selbst nicht für möglich gehalten hat, geschah: mit seiner Unterstützung ertastete seine Frau langsam den christlichen Glauben, wo sie ein völlig anderes, menschliches Frauenbild entdeckte, das im Koran zu suchen ihr nicht einmal in den Sinn gekommen wäre. Doch nun fragte sie sich: Ist es Liebe, wenn der Islam die Frau zum Eigentum des Mannes bestimmt? Als sie sich nach langer Selbstprüfung für Christus entschied, gab dies der vom Vater arrangierten Vernunftehe eine nie zuvor gekannte Nähe und Vertrautheit, gleichzeitig erhöhte sich aber die Gefahr des Entdecktwerdens durch ihr Familien, mit denen beide tief verbunden waren.
Von dem Augenblick an, da der Clan Mohammeds Glaubensabfall realisiert hatte, brach es wie ein Orkan über ihn. Die unfassbare Reaktion der Mutter im Blick auf ihren von seinen Brüdern gefesselten und gequälten Sohn war: Tötet ihn! Das Gesetz des Islam zwingt zu einer solchen Haltung. In der Meinung, die Gesinnung seines Sohnes ändern zu können, brachte ihn der Vater jedoch in das für seine Grausamkeiten und Massenhinrichtungen bekannte Gefängnis von Bagdad. Als Mohammed eines Tages ohne Begründung entlassen wird, liegen sechzehn Monate Marter hinter ihm. Seine Gebete unter der Folter konzentrierten sich auf die eine flehendliche Bitte an Jesus, die Torturen überleben zu können, um eines Tages die Taufe und damit das „Brot des Lebens“ empfangen zu dürfen.
Der Herr prüfte ihn nicht über seine Kräfte und schickte ihm P. Gabriel, einen Schweizer Ordensmann, der ihm jedoch begreiflich machen musste, dass ein Verbleiben in seiner irakischen Heimat nicht mehr möglich sein würde. Im Namen der Kirche befahl er ihm, das Land zu verlassen. Seine Begründung ist wert, festgehalten zu werden: „Du bist nicht getauft, aber du bist ein wahrer Christ…wenn man Christ ist, muss man Christus gehorchen. Und der Vertreter Christi hier auf Erden ist die Kirche. … Wenn du dich dem Befehl widersetzt, widersetzt du dich der Kirche.“ Mohammeds Kenntnisse über das Wesen der heiligen Kirche waren schon so gefestigt, dass der Gedanke, sich auch nur „einen Moment lang im Widerspruch zur Kirche befinden“ zu können, ihn „mit Entsetzen“ erfüllte. Der Preis, den er für seine Sehnsucht nach der Kirche und ihren Sakramenten in den letzten Jahren bezahlt hat, war zu hoch, als dass er sich „den Luxus leisten“ würde, „auch nur die kleinste ihrer Weisungen zu missachten“.
Die Fremde, die bereit war, die Flüchtlinge als vorläufiges Asyl aufzunehmen, war Jordanien. Dort endlich empfingen er und seine Frau, die mit ihm in freier Entscheidung tapfer diesen schweren Weg gegangen ist und seine beiden noch kleinen Kinder die heilige Taufe und die ersehnte Teilhabe am „Brot des Lebens“. Dreizehn Jahre lang musste er darauf warten. „Ein schweres Leiden“, bekennt er.
Die Furcht vor der Verfolgung durch den Clan trieb ihn weiter – Europa nahm ihn auf. Am 15. August 2001 kam er mit seiner kleinen Familie in Paris an, wo er heute lebt. Das Buch „Das Todesurteil – Als ich Christ wurde im Irak“ schrieb er, um die Gefahr des Islam aufzuzeigen, zum Dank für seinen Weg zu Jesus und als sein persönlicher Beitrag zur Mission an seinen ehemaligen Glaubensbrüdern. „Man muß mit den Muslimen sprechen, das ist unsere Aufgabe“, fordert er. „Ihr Christen…müßt aufwachen und euren Glauben beleben! Zu lange schon schlaft ihr vor euch hin….Da geht es nicht um Barmherzigkeit, sondern um unsere Verantwortung als Kinder Gottes.“
Das Leben Joseph Fadelles wird für immer durch die Fatwa, die gegen ihn ausgesprochen wurde, bedroht sein, denn jeder Muslim mit einer starken Bindung an die islamische Kultur und an den Koran, ist verpflichtet, ihn zu töten – aus dem einen Grund, weil er den Islam verlassen und Christ geworden ist.
Joseph Fadelle: Das Todesurteil – Als ich Christ wurde im Irak, Augsburg 2011, 224 Seiten, Kart., EU 19,95.