Von Mäusen und Menschen

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Maeusen_Menschen
Natur ist doch etwas Schönes, denke ich in der Abenddämmerung im Garten sitzend, der an allen Ecken so natürlich wuchert, dass das Grün die Kanten und Grenzen überspringt (glücklicherweise auch von Nachbars her, so dass es hier zu keinen floralen Grenzkonflikten kommt). Während der Mond hinter einer bauschigen Wolke an einem ansonsten wolkenlosen Himmel hervorlugt, versuche ich mit meinen Augen dem Flug der Fledermaus zu folgen. Enge Kreise, weite Kreise, dann zick zack und zack in den nächsten Kreis, zick in die andere Richtung. Da, eine zweite Flugmaus. Größer als die Erste. Spreize ich meine Hände, so dürfte ihre Flügelspannweite meine Handspannweite übertreffen. Faszinierend. Und gar nicht so einfach, dem Flug der Mäuse in der Dämmerung zu folgen. Ach Natur. Was wäre der Mensch ohne? Und jetzt kommt auch noch der Igel aus seinem Versteck, raschelt durchs Gebüsch, knurps, knupser…

Durch das geöffnete Küchenfenster ruft meine Liebste zu mir in den Garten: Habe heute wieder eine Maus gefangen, ne Kleine, war ganz schwach, ließ sich mit einem Eimer leicht einfangen! Ja, die Natur. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass wir – seitdem wir eine Katze mit ausgeprägten Jagdverlangen haben – ein ebenso großes Mäuseproblem im Haus haben (vielleicht hätten wir sie doch nicht sterilisieren lassen sollen. Jetzt legt unsere Katze „typisch männliches Verhalten“ an den Tag: Jagen ist toll, kaum ist einem das Erjagte sicher, verliert der Kerl sein Interesse). Jedenfalls: Meine Liebste hat die Maus in der hintersten Ecke unseres Garten freigelassen. Und während die Fledermäuse flattern und der Mond scheint, stelle ich mir vor, dass ich es eigentlich nett finden würde, so putzig natürlich, wenn diese kleine Maus, vielleicht noch mit ein paar Kumpels, über unseren Rasen hüpft. Ach, hat sie sich glücklicherweise doch erholt! Und diese kleinen Öhrchen… Aber so ist das halt mit der Natur. Sie ist kein Zoo. Da sind keine Gitter, Gatter, Schutzzäune. Die Natur lässt sich von uns Menschen nicht einfach aussperren. Die putzigen Mäuse tanzen nicht einfach im Mondlicht auf dem Rasen. Sie rasen, kaum hat man sich umgedreht, durch Fenster, Türen, kleinste Spalte (gerne auch per Katzen-Express. „Einmal stillhalten und schon bist Du drin im Nahrungsparadies”), in den Bereich hinein, in dem man keine Natur haben möchte, sondern nur Kultur. Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein – und sonst nichts an Lebewesen.

Mit putziger Natur ist es vorbei, wenn sie in der Küche kleine, dunkle Spuren hinterlässt. Auch eine Fledermaus, deren Orientierungssystem kurzzeitig so gestört ist, dass sie sich durchs geöffnete Fenster in eines unsere Zimmer verirrt, ist nicht spaßig (Tollwut) – und gar nicht spaßig ist es, wenn die Katze es geschafft hat, eine Fledermaus aus der Luft zu holen, und sich beide im Gebüsch in Todfeindschaft gegenüberstehen, und diese Fledermaus wie eine ausgewachsene Schlange zischt und mit ihren Zähnen (beeindruckend) nach der Katze schnappt (Tollwut). Oder um ein florales Beispiel zu bringen: Ich sag nur Efeu. Efeu, der an der Hauswand empor rankt, drei Stockwerke bis zum Dach, übers Dach, der sich jeden Baumstammes in der Nähe bemächtigt und Tag für Tag höher zum Licht kriecht…

Ja, der Mensch und die Natur. Eine schöne Beziehung, wenn sich die Natur an Menschregeln hält, wenn sich Natur an Menschregeln halten würde. Dass sie dies nicht tut, zeigen gerade all die Falter und Flatterdinge, die in mein Arbeitzimmer hineinkreuchen, während ich diese Zeilen schreibe (habe das Fliegennetz noch nicht ans Fenster gespannt). Dass zeigen weit weniger harmlose Naturerscheinungen wie das Unwetter, dass an Pfingstmontag über weite Teile NRWs gerast ist.

Natur… Es gibt diese berühmte Stelle aus Goethes Werther. „Klopstock“. Werther und Lotte stehen am Fenster und betrachten ein Gewitter – und genießen dies. Diese Stelle, heißt es, würde einen Paradigmenwechsel in der Beziehung zwischen Mensch und Natur andeuten. Natur ist fortan etwas, das sich genießen lässt. Natur ist nicht mehr einfach nur Angstauslöser. Wohl ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum modernen Menschen. „Erhabenheit“, dies war wohl Kants Begriff für das Gefühl, dass den Menschen angesichts einer übermächtigen Natur ergreift. Und ich möchte hinzufügen: Der moderne Mensch möge auch Demut empfinden. Ob nun Mäuse oder Gewitterstürme, die Natur ist kein Zoo. Wir sind mittendrin. Und ich sage es frei heraus: Der Mensch kann die Natur nicht genießen, wenn er nicht das Gefühl hat, sie gleichzeitig auf Abstand zu halten.

Natur ohne Grenzen ist des Menschen Untergang. Denn dann wird die Kultur überwuchtert. Und ohne Kultur kein Mensch. Bio ist schön und gut. Aber nur zertifiziert. Während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich Werther und Lotte am Fenster stehen, ein Blitz schlägt in einen nahen Baum ein, die Krone bricht, fällt herab, erschlägt Werther und Lotte im Moment des genussvollen Anschauens… Es gibt kaum ein eindrucksvolleres Schauspiel als Naturschauspiele – aber genießen kann man sie nur aus einer sicheren Position heraus (oder im Nachhinein, wenn man sich die in furchteinflößender Situation geschossenen Handybilder ansieht und die Furcht-Situation vorbei ist). Hier zeigt sich dann der postmoderne Mensch: Der Griff zum Handy ist schon fast „natürlich”. Mittels Technik stellen wir eine Art „Grenze“ her, der Blick durch das Objektiv suggeriert eine Trennung zwischen Natur hier und Mensch dort. Ist natürlich ein Irrtum (was all die Handybilder bezeugen, die nie gezeigt wurden, weil Handy und Besitzer von der Natur überwältigt wurden). Ist natürlich eine gerne gesehene Illusion (was all die Handybilder bezeugen, die verbreitet wurden, weil Handy und Besitzer der Natur entkommen sind).

Von Menschen und Mäusen. Die Übermacht der Natur zeigt sich manchmal an kleinen, irgendwie auch putzigen Hinweisen. Wir haben sie einfach nicht im Griff. Die Natur. Denn wir sind ein Teil von ihr. Nur im Zoo gibt es Gitter, Gatter, Absperrungen. Also. Demut.

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