Von Krebsen und Sandkästen

Der Perfekte Tag – Teil 3

Vielleicht erinnert ihr euch daran (Teil 1Teil 2), dass in unserem Körper genialerweise ein inneres Uhrensystem eingebaut ist, dass von der Masteruhr SCN (Suprachiasmatic Nucleus) im Hypothalamus gesteuert wird. Ich sage bewusst Uhrensystem, weil es noch weitere kleinere Uhren in allen Hauptorganen (wie Herz oder Lunge) und verschiedenen peripheren Organen (wie Geschmacksorgane) gibt, die vom SCN geschalten werden. Oder anders ausgedrückt, so wird der SCN gerne als Dirigent dargestellt, und die peripheren Uhren als die individuellen Musikinstrumente beschrieben – nur zusammen sind sie ein Orchester, das mit wunderschönen Synphonien die Ohren umschmeichelt, bzw. unser Leben ermöglicht (Asher & Sassone-Corsi, 2015). Soviel nur vorneweg, weil ich heute mehr über die Peripheren Uhren eingehen möchte, und wie sie harmonisch mit dem SCN interagieren.

Ebenso eine kurze Anfangsnotiz, dass zwar ist das heutige Thema etwas “Untypischer” erscheint, aber wenn man aber aktuellen Statistiken Glauben schenkt so wird die Wichtigkeit schlagartig klar: in den Vereinigten Königreichen wird etwa jeder Zweite irgendwann einmal im Laufe seines Lebens Krebs in irgendeiner Form bekommen (Quelle 1) und Zahlen für Deutschland sind laut dkfz ähnlich (Quelle 2).

daycycle

Innominato et al 2010: Tageszyklen von Cortisol, Melatonin, Puls, und Körpertemperatur

Nachmittag

14-16 Uhr

Wie schon die Schönheitsindustrie seit Jahren weiß: unsere Haut “atmet” nachts anders als tagsüber – freudigerweise gibt es für eben jenes Defiziet die genau passenden Tagescrémes und Nachtcrémes (Quelle 3).

Aber ernsthaft: verschiedene Organe sind zu verschiedenen Zeitpunkten aktiv. Das macht sich auf einer offensichtlichen Ebene radikal bemerkbar: So verlangsamt sich unser Herzschlag zunehmend mit den späteren Stunden um uns auf die Nacht vorzubereiten. Ebenso ruht (glücklicherweise) unser Harnsystem wenn wir Schlafen. Aber auch die Zellregeneration und das Arbeitsmaximum (peak time) der einzelnen Organe beruht auf zyklischen Mechanismen. So haben wir schon letzte Woche festgestellt, dass das Stresshormon Cortisol (das in der Hirnanhangdrüse produziert wird) seine peak time gegen 10 Uhr früh, absoluter Tagestiefpunkt gegen 1 Uhr, gefolgt von einem zweit-Tages-Hoch gegen 7 Uhr (siehe Graphik 1 für einen Überblick von Cortisolverlauf, wie auch vom Schlafhormon Melatonin, Puls und Körpertemperatur). Und das lässt sich in der Krebstherapie radikal ausnutzen.

In der konventionellen Behandlungsmethode werden Patienten giftiges Zytostatika* mit dem Ziel injiziert, den Wachstum des Tumors zu hemmen, Ausbreitung zu verhindern und sodurch den Tumor abzutöten. Das die Zytostatika dabei nicht zwischen befallenen Krebszellen und gesunden Zellen unterscheiden können führt zu hohen Nebenwirkungen (die sowohl physisch spürbar sind, wie z.B. Übelkeit, als auch psychologisch, wie etwa Apathie) (Quelle 4, Quelle 5).Von Krebsen und Sandkästen Abb 2: Krebszelle

Eine neue Behandlungsmethode hat dabei das Wissen der Körperuhren mit einbezogen und die Behandlung revolutioniert. Das Ganze steckt zwar noch in den Kinderschuhen, verbucht aber bisher ungemeinen Erfolg. Denn nun wird die Chemotherapie gezielt nur dann auf Organe gerichtet, wenn dessen Zellen am wenigsten aktiv sind (Lévi und Kollegen, 2007). Je geringer die Aktivität des betroffenen Organes, desto weniger werden diese beschädigt und desto geringer die Nebenwirkungen. Im Gegensatz zur traditionellen (und stationären) Behandlungsmethode, tragen Patienten eine kleine tragbare Pumpe bei sich, die die chemischen Drogen je nach Tageszeit dosiert. Bei der Patientin CT (aus dem Film von BBC Horizon, 2009), die an Darmkrebs erkrankt war, wurde Chemo jeweils um 16 Uhr und um 4 Uhr durchgeführt.

Und vom Krebs ein gewaltiger Sprung in den Sandkasten … äh, Tennisplatz!

15.30 Uhr

Um den Dreh ist die Reaktionsfähigkeit am höchsten, was sich besonders beim Sport bemerkbar macht. Also zum Beispiel Tennis- und Badmintonspieler schneiden in Studien nachmittags besser ab als am Vormittag, auch (man höre und staune) jonglieren Fußballer nachmittags besser als am Vormittag (Thun et al, 2015).

17 Uhr

Wohingegen in den frühen Morgenstunden Sportarten, die technisch anspruchsvoller sind (also Körperkoordination oder Balance wie z.B. Gymnastik), am besten fahren, sind es am späten Nachmittag die Kraftsportarten. Das, so Prof. Greg Atkinson (1996, auch interviewed auf BBC), auf Grund von erhöhter Körperthemperatur, wodurch dein Körper einfach schon “aufgewärmt” ist. Das heißt, deine Sehnen und Muskeln sind rascher einsatzbereit (was besonders an kälteren Tagen einen enormen Unterschied macht). In seinen Studien hatten daher Radsportler eine 10% höhere Leistung am Spätnachmittag als vergleichsweise am Morgen. Ähnliches haben auch Thun und Kollegen (2015) gefunden: Höchstleistungen von 80-Meter-Sprintern war um diese Zeit unangefochten. Aber natürlich nur, wenn sie zu Mittag gegessen haben. Aßen sie dagegen erst nach der typischen Mittagszeit (12-13 Uhr), war auch hier Höchstleistung auf 21 Uhr verschoben, was mich zu meinem letzten Thema bringt: Ernährung.

*NB: Wie auch eine Reihe anderer schmerzlindernde Medikamente (z.B. gegen Übelkeit) oder auch ergänzende Medikamente um den Tumor von allen Seiten anzugreifen

Referenzen:

Atkinson, G., & Reilly, T. (1996). Circadian variation in sports performance.Sports medicine, 21(4), 292-312.

Thaiss, C.A., Zeevi, D., Levy, M., Zilberman-Schapira, G., Suez, J., Tengeler, A.C., Abramson, L., Katz, M.N., Korem, T., Zmora, N., et al. (2014). Transkingdom control of microbiota diurnal oscillations promotes metabolic homeostasis. Cell 159, 514–529.

Thun, E., Bjorvatn, B., Flo, E., Harris, A., & Pallesen, S. (2015). Sleep, circadian rhythms, and athletic performance. Sleep medicine reviews, 23, 1-9.

Lévi, F., Focan, C., Karaboué, A., de la Valette, V., Focan-Henrard, D., Baron, B., … & Giacchetti, S. (2007). Implications of circadian clocks for the rhythmic delivery of cancer therapeutics. Advanced drug delivery reviews, 59(9), 1015-1035.

Innominato, P. F., Lévi, F. A., & Bjarnason, G. A. (2010). Chronotherapy and the molecular clock: Clinical implications in oncology. Advanced drug delivery reviews, 62(9), 979-1001.

Verga, S., & Tramuto, M. (2014). CIRCADIAN RHYTHMS AND NUTRITION.Acta Medica, 30, 441.

https://www.krebsinformationsdienst.de/behandlung/chemotherapie-durchfuehrung.php


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