Nach einer kurzen, knackigen Vorbereitung ging es heute morgen los Richtung Hull und von da aus nach Hessle, dem Startpunkt des Yorkshire Wolds Way.
Noch etwas schlummerig mache ich mich tapfer auf den Weg.
Die Zugfahrt hätte mir dabei allerdings
fast die Laune verdorben, denn ich saß eingezwängt neben einer stark nach Alkohol riechenden Frau mit schmuddeligen Plastiktüten, die natürlich bis zur Endstation fuhr. Dazu gab es kostenfreies Babygebrüll und ein paar grimmig dreinblickende Passagiere.
In Hessle angekommen, muss ich mich zudem an einer stark befahrenen Straße entlangkämpfen, ohne zu wissen, ob ich in die richtige Richtung laufe. Der Bahnof in Hessle brüstet sich zwar damit, dass hier der Wolds Way beginnt, aber einen Hinweis darauf zu geben, wo genau der denn nun anfängt, das hat man vermutlich als nebensächlich empfunden. Auch meine Karte ist mal wieder völlig unleserlich und so irre ich eine geschlagene Stunde in brütender Mittagshitze umher, um dann schließlich doch noch auf dem richtigen Pfad zu landen.
Hat ’ne Weile gedauert bis ich den Startklotz entdeckt habe.
Jetzt ist endlich alles gut. Jetzt kann es losgehen. Aber eigentlich muss ich jetzt auch ganz dringend mal ins Gebüsch und Hunger hab ich auch. Irgendwie komme ich heute einfach nicht so richtig in die Gänge. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass im Osten Yorkshires das Gemüt etwas unterkühlter ist als ich es bisher gewohnt war. Wenn ich die argwöhnischen Blicke richtig deute, ist eine Solo-Wanderin vermutlich kein alltäglicher Anblick in dieser Gegend. Irgendwie komme ich mir vor wie ein Eindringling in eine verschworene Gemeinschaft. Ich fühle mich plötzlich fremd und etwas fehl am Platz, als ich zwischen einheimischen Sommerfrischlern, gehobenen Country Clubanlagen und mehreren Eiswagen in meiner auffälligen Wanderkluft am Fluss Humber entlanglaufe.
Doch dann werden die Spaziergänger seltener, der Flusspfad einsamer und ich falle wieder zurück in den altbekannten Rythmus, bei dem Landschaft und Seele im Einklang sind und die Gedanken sich nirgends mehr festhaken, sondern frei mal hierhin und mal dahin schweifen. Hach ja, endlich wieder draußen umherstromern. Wie hat mir das gefehlt! Es ist unglaublich heiß und die Sonne flimmert hoch über mir.
Die Humber Bridge ist nach wie vor eine der längsten Brücken der Welt.
Der Weg am Humber entlang ist von duftenden Sommerblumen gesäumt und einfach zu laufen. Doch die Last auf meinem Rücken ist ungewohnt und meine Hüftknochen sind bereits jetzt wundgescheuert. Morgen liegt das Dreifache der heutigen Strecke vor mir und innerlich wimmere ich bereits vor Verzweiflung. Das wird kein Zuckerschlecken.
Egal, heute ist heute und ich genieße den Augenblick. Ich streife durch wilde Wiesen, dichtes Buschwerk und entdecke erneut verblüffende Hinterlassenschaften, das reiche Erbe einer mir bisher unbekannten Region. Auf einer Wiese bei North Ferriby ist das Skelett eines bronzezeitlichen Bootes in den Boden eingelassen. Ein Denkmal an eine verblichene Kultur und eine Entdeckung, die beweist, dass nicht erst die Wikinger das Bootsbauhandwerk nach Yorkshire brachten. Die Ferriby-Boote sind die ältesten bekannten Boote Europas.
Bald darauf gelange ich an einen Scheideweg, an dem es mir selbst überlassen bleibt, dem Pfad dicht am Fluss entlang zu folgen oder durch North Ferriby zu laufen. Je nachdem, ob Ebbe oder Flut herrscht ist der Weg mehr oder weniger heikel.
Ich entscheide mich aus dem Bauch heraus mal für die sichere Variante und stapfe Richtung Binnenland durch das Dörfchen North Ferriby, eine sehr wohlhabend anmutenden Siedlung mit beeindruckenden Villen und prächtigen Anwesen.
Immer noch stecke ich knöcheltief in viel zu viel Zivilisation. Erst als ich einen riesigen Straßenknotenpunkt überquert habe, verschwinde ich für ein paar Meilen in einem langgestreckten Waldstück.
Durch das dichte Buschwerk blicke ich links auf weitläufige, senfgelbe Getreidefelder, deren Ähren sanft im Wind schaukeln. Die Yorkshire Wolds sind nicht ohne Grund die fruchtbarste Region Englands.
Am frühen Nachmittag erreiche ich das Dörfchen Welton. Hier übernachte ich heute im Green Dragon Inn, dem einzigen Pub in dem ansonsten mit Gastronomie oder Shops recht karg bestückten Wohnort, in dem sich bessergestellte Pendler aus Hull ein paar recht hübsche Landsitze geleistet haben.
Von meinem Hotelfenster aus kann ich das rege Nachtleben verfolgen. Ich selber gönne mir heute nur noch eine heiße Dusche, einen Steak und Ale Pie und werde mich gleich in meine schneeweißen Laken kuscheln, denn morgen beginnt der Ernst des Wolds Ways …
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