Von “Gutmenschen” und anderen Leuten – Das kleine (Kreuzberger) Steuer-Einmaleins

Um es vorwegzunehmen; die Wortschöpfung „Gutmensch“ halte ich für einen verächtlichen Begriff. Gerne wird dieser aus der braunen, rechten oder rechtskonservativen Populismus-Ecke benutzt, um jedwedem Engagement den Stecker aus der Wand zu ziehen und Menschen, samt ihrer gut gemeinten aber der eigenen Ideologie missliebigen Vorstöße von vorneherein als bescheuert und dumm zu stigmatisieren. Er dient also der allgemeinen Diskriminierung. Gleichzeitig sorgt er für die Demotivation sozial engagierter Menschen.

Normalerweise.

Für mich selbst habe ich bereits vor einiger Zeit beschlossen, es als Auszeichnung anzusehen, wenn mich jemand mit diesem Ausdruck belegt. Warum? Weil ich es für wichtig halte, als Mensch so gut wie irgend möglich zu sein und zu handeln. Humanismus zu leben. Und außerdem – machen wir uns diesbezüglich nichts vor – eckt nur jemand nicht an, der gar nichts tut. Allerdings ist der Preis für dieses Nicht-Anecken in meinen Augen viel zu hoch. Wie sagte Brecht doch so treffend: „Die Bürger werden eines Tages nicht nur die Worte und Taten der Politiker zu bereuen haben, sondern auch das furchtbare Schweigen der Mehrheit.“

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Freund und Helfer – Foto: © politropolis.de

Davon einmal abgesehen gibt es weit Schlimmeres für mich, als wenn Kackbraun nicht meiner Meinung ist. Wie zum Beispiel bezüglich der Ereignisse in Kreuzberg. Und ja, da steppte echt der Bär. Polizei und Demonstranten sorgten für Stimmung; und zwar so nachhaltig, dass sie nicht einmal im WM-Fieber unterging. Und während um den Kietz herum stolz die Nationalflaggen geschwenkt werden – he, 7:1 gegen BRASILIEN! – geht es hier noch immer um die menschenwürdige Unterbringung und das dauerhafte Bleiberecht für eine Handvoll Flüchtlinge, die sich (offenbar mangels anderer angemessener Unterkünfte) in einer Kreuzberger Schule eingerichtet haben.

Schon seit zwei Jahren, wohlgemerkt.

Dass man sie dort bisher nicht gewaltsam herausgeholt hat, mag daran liegen, dass erst in diesem Jahr wieder die weltbeste Fußballnation ermittelt wird.
Oder schlicht und einfach daran, dass dazu bisher aus Sicht der Verantwortlichen keine Veranlassung bestand. (Mal im Ernst, wer will sich schon dafür rechtfertigen müssen, die Vereinbarung über 245 Wohnungen, die den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden sollten, nicht eingehalten zu haben? Die Stadt Berlin offensichtlich nicht.) Ich persönlich neige jedenfalls dazu, letzteres anzunehmen. Und zu der Vermutung, dass sich vor kurzem eine andere, profitablere Nutzungsmöglichkeit für das Schulgelände aufgetan hat. Und außerdem vertrete ich die Ansicht, dass die Steuergelder für einen so immensen Polizeieinsatz nicht lockergemacht worden wären, wenn nicht größere Interessen im Hintergrund ständen. Ob die Kosten für das Großaufgebot jene für eine vernünftige Unterbringung nicht bereits übersteigen, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Gedanken mache ich mir diesbezüglich allerdings schon. Und natürlich auch darüber, ob sie nicht auf jeden Fall den möglichen Verkaufserlös des Objektes übersteigen – zumal die knapp vierzig Flüchtlinge nun doch im Objekt verbleiben, sich allerdings lediglich auf einen Trakt beschränken.

An wem ebendiese Kosten letztendlich hängen bleiben, darüber muss ich nicht lange spekulieren. DAS weiß ich genau.

Allerdings werde ich das keinesfalls den Flüchtlingen anlasten.

Aber ich bin, wie eingangs schon geschrieben, ja auch ein „Gutmensch“. Hurra! Ich glaube nämlich nicht daran, dass diese Menschen nur hierhergekommen sind, weil wir Deutsche so nett sind, das Wetter bei uns so toll ist und hier sogar Fußball auf hohem Niveau gespielt wird. Und ich glaube auch nicht daran, dass es jemandem leicht fällt, seine Heimat zu verlassen, sich und seine Familie der Gnade völlig Fremder auszuliefern und an einem unbekannten Ort ganz von vorn anzufangen.

Nun werde ich in letzter Zeit sowohl auf Facebook als auch im realen Leben immer wieder in hitzige Debatten darüber verwickelt, ob die Flüchtlinge, um derentwillen sich in Berlin Polizisten von ihrer denkbar unangenehmsten Seite zeigten, denn überhaupt ein Recht darauf haben, hier in der Bundesrepublik Deutschland zu sein und gar auf eine Erlaubnis zum Bleiben zu bestehen. Denn schließlich geht das (genau wie der Polizeieinsatz) ja alles auf Kosten der Steuerzahler. Und wir haben im Land doch nun wirklich genug eigene Probleme…

Okay, dem Argument mit den eigenen Problemen kann ich schwerlich widersprechen. Aber: Wessen Schuld ist das?

Ganz ehrlich, der Umgang mit unseren Steuergeldern erscheint so manches Mal günstigstenfalls sorglos und sehr viel öfter sogar verantwortungslos. Man denke an den Flughafen Berlin, Stuttgart 21, die Elbphilharmonie und ähnliche Milliardengräber. Da kommt es dem gebeutelten Abgabenblecher doch schon beinahe billig vor, wenn die Bundesmutti den 300.000-Euro-Fan-Flieger nach Brasilien nimmt, um dort neunzig Minuten lang auf ihrem Sitz im Stadion wie Rumpelstilzchen auf und ab zu hüpfen und anschließend den Charme der Herrenumkleide zu genießen. Aber mal ganz im Ernst – wozu eigentlich? Auch wenn sie mittlerweile ihren ehemaligen Friseur – jenen aufrechten, heldenhaften Menschen, der ganz offensichtlich der Ansicht war, dass es auch bei Politikern unter Produktbetrug fällt, wenn die Verpackung in Bezug auf den tatsächlichen Inhalt lügt – durch ein weit weniger moralisches Exemplar ersetzt hat, sind die Spieler von zu Hause sicher Besseres gewöhnt.

Aber zurück zum eigentlichen Thema.

Leider ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass wir durch die derzeitig von uns stillschweigend geduldete Verwendung anderer, weit größerer Teile unserer Steuergelder selbst dafür sorgen, dass der Flüchtlingsstrom, über den sich so viele erregen, gar nicht abreißen kann. Oder glaubt vielleicht jemand, dass zum Beispiel die Mitgliedschaft in der NATO, die ja eigentlich bereits mit der Auflösung des Warschauer Vertrages ihre ursprüngliche Existenzberechtigung verlor, für uns kostenfrei ist? Wohl kaum. Und wofür werden diese Gelder verwendet?

Na? Klingelt‘s?

WIR finanzieren die Kriege mit, die in den Heimatländern vieler Flüchtlinge toben. Im Grunde töten also WIR dort Menschen – zwar nur in mittelbarer Täterschaft, aber auch das ist schließlich schlimm genug für ein Land, in dessen Grundgesetz festgehalten ist, dass von seinem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Und wenn die Granaten-Uschi erst ihre Drohnen im Einkaufswagen hat, dann werden wir vermutlich auch bald so richtig in das neueste „Mords Geschäft“, nämlich das Mordgeschäft einsteigen. Immerhin präsidial-gauckelt der Joachim ja schon länger in diese Richtung.

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Produziert Deutschland mit seinem Waffen-”Außenhandel” die Flüchtlingswellen aktiv mit? Ich sage Ja! – Foto: © Antikrieg – facebook.com

Noch ein Beispiel gefällig? Tja, dann werfe ich doch mal das Stichwort „EU“ in den Raum. Bevorzugt den Bereich „Wirtschaftspolitik“. Wer sich dort mal ein wenig beliest, wird sehr schnell feststellen, dass die europäischen Banken und Konzerne schon lange nicht mehr hinter ihren US-amerikanischen Vorbildern, Partnern oder international operierenden Firmenkonglomeraten zurückstehen, wenn es darum geht, andere Länder auszubeuten, bis deren eigene Wirtschaft völlig am Boden liegt und den Ärmsten der Armen nur noch die Flucht aus der Heimat bleibt, um dem drohenden Hungertod zu entgehen.

Und wie sieht es mit deren Interessenvertretung aus? Ähm … Wohin fließt nochmal ein Großteil unserer Steuern? Wer ist nochmal gerade dabei, gegen den Willen eines großen Teils der europäischen Bevölkerung diverse Freihandelsabkommen auf dem europäischen Markt zu etablieren? Und wer wird letztendlich davon profitieren, wenn die Bestimmungen zum Verbraucherschutz und die Umweltschutzbestimmungen dem Investitionsschutz zum Opfer fallen und wenn die Wasserversorgung, das Bildungssystem und das Gesundheitswesen privatisiert werden?

Nur, um das klarzustellen: Wir, die braven Den-größten-Teil-der Steuern-Zahler, werden es nicht sein – ebenso wenig wie die Flüchtlinge und Migranten – sondern jene, die auch jetzt schon kräftig abkassieren. Nämlich durch die Kriege und/oder die Zerstörung der Wirtschaft in den Heimatländern jener Menschen, die dann gezwungen sind, alles hinter sich zu lassen, um das nackte Leben zu retten.

Was derzeit in Kreuzberg abläuft ist das Gleiche, nur in kleinerem Maßstab. Opfer sind wieder – und wie immer – Menschen, die sich selbst nicht zur Wehr setzen können. Es geht – ebenfalls wie immer – um Macht und um Profit. Und, auch wenn man uns gern etwas anderes einreden möchte, ist dies mittlerweile zur politischen Grundeinstellung auch in unserem Land geworden. Das „sozial“ in unserer Marktwirtschaft wird schon seit der Wiedervereinigung und dem Wegfall des Ostblocks als Gegengewicht zur Banken- und Konzernpolitik, spätestens jedoch seit der Einführung des Billiglohnsektors immer kleiner geschrieben – so lange, bis es schließlich irgendwann ganz verschwindet und wir amerikanische Verhältnisse haben.

Und deshalb hier mein Hinweis an all jene, welche die Demonstrationen in Kreuzberg mit der gleichen Begeisterung verfolgen, die sie auch für eine überlaufende Toilette aufbringen würden, und die Demonstranten und deren Sympathisanten als eben jene „Gutmenschen“ beschimpfen: Wir, die deutschen Steuerzahler, der Mittelstand, die (noch) Besserverdienenden, die Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich, die Aufstocker und auch die Hartz4-Empfänger sitzen längst mit den Flüchtlingen und Migranten, auf die man aus unseren Kreisen so gern herabsieht und die man sogar anfeindet, in derselben löchrigen Nussschale. Und wir treiben darin auf einem weiten, stürmischen Ozean, den die Banken, Konzerne, Spekulanten und deren Pressesprecher – unsere Politiker – dank unserer eigenen Gleichgültigkeit und Untätigkeit inzwischen zu ihrem alleinigen Eigentum erklärt haben.

Es ist höchste Zeit, sich das Salzwasser aus den Augen zu wischen und endlich genau hinzusehen, denn WIR sind die Nächsten auf der Liste der Auszublutenden.

Ein Kommentar von Heidi Langer

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Quellen – weiterführende Links


“Deutsche Waffen, deutsches Geld…” – Foto: © antikrieg – facebook.com
Link zu: “Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“


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