Von grüner Milch und glücklichen Bergen: Muster der Naturalisierung in den Werbelandschaften der Milchwirtschaft

von Steffen Hirth

Von grüner Milch und glücklichen Bergen: Muster der Naturalisierung in den Werbelandschaften der Milchwirtschaft Während in der Werbung für Milchprodukte stets Räume der Natürlichkeit und Nachhaltigkeit kommuniziert werden, zeichnen sich vorherrschende Produktionsweisen durch industrielle Methoden aus. In meiner Diplomarbeit unterziehe ich Werbeanzeigen und Internet-Auftritte einer symbolischen Bildinterpretation, um zu prüfen, inwiefern die Molkereien mittels Naturalisierungen konventionelle Produktionsweisen legitimieren und so ihren Anteil an Klimawandel, Hungerkrise und gesundheitlichen Folgen für die Konsument_innen tragen. Aber auch letztere stehen auf dem Prüfstand - darf Ernährung angesichts der ökologischen, human- und tierethischen Folgen eigentlich ausschließlich Privatsache sein?
Wenn es um Nachhaltigkeit in der Ernährung geht, steht der Fleischkonsum meist im Fokus der Kritik: Konventionelle Rinder werden z.B. mit gentechnisch verändertem Soja aus ehemaligen Regenwaldgebieten Brasiliens gefüttert (Walker et al. 2009) und Darstellungen von glücklichen Tieren (vgl. Klose & Schmelz 1987) haben in den letzten Jahrzehnten an Glaubwürdigkeit verloren (NGO's zum Thema:  WWF, Greenpeace, Oxfam oder die Zusammenfassung des Weltagrarberichts Wege aus der Hungerkrise). Der Konsum von Milchprodukten hingegen, wird trotz vergleichbaren Auswirkungen seltener problematisiert, weshalb Molkereien bei der Vermarktung nach wie vor sehr auf Agrarromantik setzen.
Das Konzept der Naturalisierung

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Abb. 1: LZ Nr. 45, 2010.

Wenn z.B. Arla (Buko Frischkäse, Kærgården Butter) schreibt, dass seine Produkte "100% natürlich - ohne Bindemittel oder andere Zusatz- und Konservierungsstoffe sowie Geschmacksverstärker" (vgl. Abb. 1) sind, dann kann dies als Naturalisierung bezeichnet werden. Dieses Konzept findet vor allem in der Soziologie seine Beachtung, etwa bei Stuart Hall (2004: 130). Er kritisiert die rassistische Gleichsetzung von Menschen dunkler Hautfarbe mit Natur und erklärt die Logik, die hinter dem Naturalisieren steht: 
"Wenn die Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen 'kulturell' sind, können sie modifiziert und verändert werden. Wenn sie jedoch 'natürlich' sind [...], dann befinden sie sich jenseits von Geschichte, sind permanent und festgeschrieben." 
Die Festschreibung von Geschlechterrollen durch Aussagen darüber, was z.B. für eine Frau natürliches Verhalten sei (Ullrich 2004: 113), ist ein ähnliches Prinzip. Frauen werden eben, wie schon Simone de Beauvoir sagte, nicht als Frauen geboren, sie werden zu solchen gemacht - für Männer gilt selbiges wohlgemerkt auch. So stellt Paula-Irene Villa (2001: 176) fest, dass es...
"nicht darauf ankommt, was Natur ist. Vielmehr lautet die ergiebige Frage, was und wie zur Natur sozial gemacht wird" bzw. "wie das Verhältnis von Natur und Kultur in einer Gesellschaft jeweils gedacht und gelebt/erlebt wird."
Auch Geographen, wie Christian Berndt und Marc Boeckler (2005), beschäftigen sich mit Naturalisierung. Am Beispiel des Nürnberger Stadtteils Werderau zeigen sie, wie dort im Zuge von Territorialisierung der Mythos einer quasi-natürlichen Gemeinschaft produziert wurde, mit dem sich alteingesessene Bewohner_innen von "fremden" Eindringlingen - vorwiegend Ausländer_innen - abgrenzen, um ihren "natürlichen" Besitzanspruch geltend zu machen.
Naturalisierung ist folglich ein Mittel gesellschaftlicher Strukturierung, mit dem bestimmte Akteure häufig ihre Interessen und Machtansprüche durchsetzen wollen. Dabei handelt es sich um sozial konstruierte, prinzipiell veränderliche Attribute, die im Kleide der Natürlichkeit, d.h. der Unveränderlichkeit daher kommen. Wenn Arla also in seiner Werbung die ganze Aufmerksamkeit auf den Verzicht auf chemische Zusatzstoffe lenkt und seine Produkte aufgrund dessen als "natürlich" bezeichnet, dann unterbindet es auch andere Interpretationsmöglichkeiten von Natürlichkeit. Dass die beworbenen Produkte aus konventioneller Landwirtschaft sind und somit beim Anbau der Futtermittel synthetische Düngemittel und Pestizide verwendet werden, und dass Biozide und Antibiotika in der konventionellen Tierhaltung verstärkt zum Einsatz kommen, dies scheint der "Natürlichkeit" der Produkte, geht es nach Arla, keinen Abbruch zu tun. Ganz zu schweigen vom Einsatz von gentechnisch verändertem Soja in der Fütterung, für den die Molkerei von Greenpeace Dänemark (2008) kritisiert wird.
Zentrale Muster der Naturalisierung
Aus den Formulierungen und Symbolen, die in der Öffentlichkeitsarbeit der Milchwirtschaft verwendet werden, habe ich in meiner Analyse die gehäuft auftretenden Naturalisierungen extrahiert. Das allumfassende Leitmotiv, das alle untersuchten Molkereien verwenden, ist die Farbe Grün, die symbolisch zum Einen für die Natur als Ganze steht, zum Anderen aber auch für die Fütterung der Kühe mit frischem Gras. Je nach regionalem Schwerpunkt der Molkereien finden sich immer wieder Alpengipfel, grüne Hügel- oder Wiesenlandschaften, meist Wildblumen und stets strahlend blauer Himmel.

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Abb. 2: LZ Nr. 35, 2010. 

Die "rohe" Natur (vgl. Williamson 1978: 103) hat zwar ihren ästhetischen Wert und wird visuell in der Werbung ausgiebig gefeiert, häufig - gerade in der Sprache - wird sie jedoch auch als rückständig kommuniziert und der Kultur und Technik gegenüber gestellt. So betonen die Unternehmen die Anwendung moderner technischer Verfahren zur Verarbeitung der Milch und weisen auf ständige Hygiene- und Schadstoffkontrollen hin. Werbung, die Milchreis mit dem Slogan "schmeckt wie bei Oma" bewirbt (vgl. Abb. 2), verweist vor allem visuell auf die pittoreske, liebenswerte und sorgfältige Handarbeit einer frühindustriellen Epoche, stellt sie aber zugleich als überholt dar, denn der mit Hilfe von Innovation und Technik produzierte Milchreis sei absolut ebenbürtig.
Dieses Werteverhältnis von Natur und Kultur wird aber nach Belieben umgekehrt: Fast alle Unternehmen werben mit dem Verzicht auf chemische Zusatzstoffe, insbesondere Konservierungsstoffe. Landliebe wirbt zudem mit "artgerechter Tierhaltung" und bezeichnet sich als die "einzige deutsche Molkereimarke, die ihre Kühe mit traditionellen Pflanzen füttert" (zit. in Hirth 2011: 51). Die Unternehmen nehmen damit Bezug auf gesellschaftliche Diskurse, in denen bestimmte moderne Produktionspraktiken kritisch gesehen werden (z.B. Massentierhaltung, Schadstoffeintrag, Gentechnik) und suggerieren im gleichen Zug die Naturbelassenheit bzw. eine Renaturalisierung ihrer Produktion. Zu diesem Muster gehören auch die zahlreichen Traditionsbezüge, etwa die Milchkannen aus Metall, die mit dem heutigen Tetra-Pak-Alltag im Supermarkt wenig gemein haben. Fachwerkhäuser, Holzhütten, geflochtene Körbe, wettergegerbte Holztische und -zäune, Menschen in Trachten, aber auch Verweise auf Handarbeit, wie den Transport der Milch per Handkarren oder das Mähen mit der Sense, gehören in diese Kategorie (ebd.: 80).

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Abb. 3: Comic für Kinder auf der Website von Weihenstephan. Text der Sprechblasen (hier nicht im Bild): Junge zu Onkel Alfred: "Sag bloß, die Milch wird aus Gras gemacht?" Onkel Alfred: "Hahaha! Nein, natürlich nicht. Aber unser gutes Futter gehört schon dazu, damit die Kühe die Milch machen können. Denn viele wichtige Nährstoffe, die die Kuh frisst, sind später auch in der Milch." (vgl. Hirth 2011: 169).

Verweise auf Vitalität, Sport und die Darstellung blonder und - auch wenn es Geschmackssache ist - attraktiver Menschen, stehen für ein symbolisches Feld zwischen Unschuld, Lebensfreude und Gesundheit, durch das der Milchkonsum als eine lebensnotwendige und damit natürliche Sache kommuniziert wird (ebd.: 82). Neben dem Konsumenten-Glück ist auch das der Kühe ein häufiges Motiv, sei es durch "gutes Futter", Weidegang oder die Haltung in kleinen familiären Betrieben. Außer Frage steht die symbolische Bedeutung der körperlichen wie seelischen Unversehrtheit der Tiere, für die gesundheitliche und ethische Unbedenklichkeit der Milchprodukte. Nirgends wird dies deutlicher als in Weihenstephans Comic für Kinder (vgl. Abb. 3).
Vom Verhältnis von Natürlichkeit und Nachhaltigkeit
Bleiben wir beim Beispiel Weihenstephan: Der Müller-Konzern wirbt nach der Übernahme der ehemaligen bayrischen Staatsmolkerei noch immer mit dem Slogan 1000-jähriger Tradition (Hirth 2011: 66). Visuell suggeriert die Marke dementsprechend auch eine traditionelle Bewirtschaftung in Grünlandwirtschaft - die Kühe fressen frisches Gras von der Wiese, während der Bauer mit der Sense das Heu für den Winter beschafft (vgl. Abb. 3).
Bei der Erzeugung von Milch in einer solchen extensiven Produktionsweise wäre das Verhältnis von Energieaufwand zu Energieertrag etwa 1:3 - (Nahrungs-)Energie wird gewonnen (vgl. Leitzmann & Keller 2010: 326). Weihenstephan könnte sich, im Bewusstsein eine wahrhaftig nachhaltige Produktionsweise zu betreiben, nun selbst auf die Schulter klopfen. Die Fakten sprechen leider dagegen...

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Abb. 4: PCR-Analyse:  Gen-Soja im Futtertrog

Wird die Milch nämlich intensiv produziert (unter Einsatz von Futterpflanzen, wie Soja, Mais und Getreide, künstl. Düngemitteln, Pestiziden) liegt das Verhältnis bei 10:1 (ebd.) - es wird zehnmal mehr Energie hingesteckt, als dabei gewonnen wird. Letztlich ist es die im Erdöl hochkonzentrierte Energie, die dieses Verhältnis möglich macht. Futtermittelproben von Greenpeace legen nahe, dass Weihenstephan und andere konventionelle Molkereien überwiegend intensiv produzieren (lassen). Der Anteil von gentechnisch verändertem Soja im Futter reichte bei der PCR-Analyse vereinzelt bis zu 100 Prozent (vgl. Abb. 4).
Die Ergebnisse von Maria Ehrlich (2006: 11) legen nahe, dass der Anteil von Mais im Futter bei Weihenstephan und Bärenmarke (ca. 30 bis 40%) gerade im Vergleich mit bio-zertifierten Molkereien relativ hoch ist, während der Gehalt an gesunden Omega-3-Fettsäuren umso niedriger ist (vgl. Abb. 5). Wie Ehrlich (2006: 18) resümiert, kann die "konventionelle 'Alpenmilch' entgegen ihrer Werbung, und wahrscheinlich entgegen der Assoziationen der Verbraucher mit dem Begriff Alpenmilch, nicht allein mit grünlandbasierten Futterrationen in der Bergregion erzeugt worden sein."            

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Abb. 5: Untersuchung von Molkereimilchprodukten aus Deutschland. Gehalt an Omega-3-Fettsäuren in mg/g Fett geordnet nach abnehmenden Gehalt und der berechnete Maisanteil in Prozent; k = konventionell, ö = ökologisch, Allgäuer Alpenmilch = Bärenmarke (Quelle: Ehrlich 2006: 11).

Die in der naturnahen alpenländischen Kulisse beworbene Milch von Weihenstephan und Bärenmarke ist folglich nicht nur weniger gesund, sie ist durch den Einsatz von (gentechnisch verändertem) Soja und Mais auch unter weitaus größerem Energieaufwand hergestellt, als bio-zertifizierte Vergleichsprodukte mit höherem Grünland-Anteil. Die visuelle Präsentation der Molkerei-Unternehmen entspricht zwar relativ exakt dem, was als nachhaltige Produktionsweisen bezeichnet werden kann - die faktischen Produktionsweisen stehen jedoch in vieler Hinsicht im Widerspruch dazu.
Industrielle Produktion und Ernährungssicherheit
Beim Verbrauch tierischer Produkte besteht eine signifikante Diskrepanz zwischen reichen und armen Ländern: Je höher das Durchschnittseinkommen, desto höher der Verbrauch tierischer Produkte. Während Deutschland z.B. im Käseverbrauch mit 20kg pro Kopf im Jahr 2007 an der Spitze liegt, waren es im weltweiten Durchschnitt 3kg und in den ärmsten Ländern nur 380 Gramm - ähnliche Tendenzen gelten für Milch, Fleisch und Eier. Gemüse hingegen scheint in den meisten deutschen Haushalten eher Beilage zu sein: Mit 89 kg liegt der Pro-Kopf-Verbrauch unter dem weltweiten Durchschnitt von 120 kg (Hirth 2011: 98 f. nach Daten der FAO und des BMELV).       
Offensichtlich wird der hohe Konsum tierischer Produkte in "westlichen" Ländern durch die intensive industrielle Produktion ermöglicht. Während Werbe-Kühe ihre Nahrung ausschließlich durch Grasen auf der Weide zu sich nehmen, haben 84 Prozent der Kühe in Bayern gar keinen Weidegang (Stat. Bundesamt 2011: 39). In der Regel werden Milchkühe nach vier bis fünf Jahren geschlachtet, weil ihre Milchleistung abnimmt; theoretisch hätten sie eine natürliche Lebenserwartung von etwa 25 Jahren (vgl. tier-im-fokus.ch). In Deutschland nahm die Zahl der gehaltenen Milchkühe zwischen 1995 (5,3 Millionen) und 2009 (4,2 Millionen) deutlich ab, während die Menge der erzeugten Milch sogar leicht zunahm; eine Kuh produzierte demnach 1995 durchschnittlich 14,9 kg Milch am Tag, 2009 schon 19,1 (Stat. Bundesamt 2010: 10). Dieses Plus an Leistung wird durch Kraftfutter (aus eiweißreichem Soja, Mais und Getreide), aber auch durch Einsatz von Bioziden und Antibiotika erbracht, die im Verdacht stehen, beim Menschen Resistenzen hervorzurufen (SCENIHR 2009: 26).
Wie oben erwähnt, ist das Verhältnis von Energie-Input und Output bei intensiver Produktionsweise negativ. Was passiert jedoch, wenn die derzeit wichtigste Energiequelle, Erdöl, immer teurer wird? Auch die Bundeswehr beschäftigt sich in einer Studie mit dieser Frage:
"Der durch den Peak Oil zu erwartende massive Anstieg der Rohölpreise verteuert zusätzlich energieintensive landwirtschaftliche Betriebsmittel wie Dünger und Pflanzenschutzstoffe sowie den Transport der landwirtschaftlichen Zwischen- und Fertigprodukte. […] Unter den steigenden Nahrungsmittelpreisen leiden vor allem einkommensschwache Schichten in den Städten und die Landbevölkerung – soziale Scheren öffnen sich weiter. Angesichts des anhaltenden Bevölkerungswachstums vorwiegend in den Entwicklungsländern verschärft sich möglicherweise die Problematik einer regionalen Nahrungsmittelunterversorgung bis hin zu Hungerkrisen." (Zentrum für Transformation der Bundeswehr 2010: 27) 
Mit über einer Milliarde Hungernder erreichte die Hungerkrise 2009 ihren vorläufigen Höhepunkt (FAO 2010: 8). Verantwortlich dafür waren nach Armin Paasch (2009: 45) der "steigende Einsatz von Agrarrohstoffen wie Soja und Mais für Agrartreibstoffe, steigender Fleischkonsum und Futtermitteleinsatz, witterungsbedingte Ernteausfälle […], steigende Energiepreise, sinkende Lagerbestände sowie die ausufernde Spekulation an den Warenterminbörsen." Dass es noch im Jahr 2008 eine Rekordgetreideernte gegeben hatte, zeigt, dass nicht die Nahrungsmittelknappheit an sich, sondern die ungleiche Verteilung finanzieller und materieller Ressourcen der wichtigste Faktor für Hunger sind (ebd.; vgl. auch FAO 2010: 8, Testart & Apoteker 2010: 69; für eine geogr. Sichtweise ist Nally 2011: 49 sehr empfehlenswert).
Multinationale Lebensmittelkonzerne, wie Nestlé oder Kraft Foods, vor allem aber Saatgut- und Agrochemiekonzerne wie Monsanto, Dupont, Pioneer, Syngenta sowie die deutschen Konzerne BASF und Bayer, setzen auf Gentechnik. Mit Verweis auf die steigende Weltbevölkerung fordern diese Unternehmen höhere Produktivität und legitimieren so die industriellen Produktionsweisen und die Gentechnik (z.B. BASF in diesem Video). Tatsächlich trägt die Gentechnik wenig zur Reduktion des Hungerproblems bei, denn "99,9% der gentechnischen Veränderungen entfallen […] auf Soja, Mais, Baumwolle und Raps und dienen vor allem der Produktion von Futtermitteln, Textilien und Agrartreibstoffen." (Paasch 2009: 51).
Die momentan höhere Produktivität agroindustrieller Produktionsweisen sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie im Prinzip vollständig von der Verfügbarkeit von Erdöl abhängig sind. Zudem tragen sie über die Emissionen von Lachgas beim Abbau von Stickstoffdünger und von Kohlendioxid beim Einsatz von Maschinen sowie der Produktion von Düngemitteln und Pestiziden erheblich zum anthropogenen Klimawandel bei (McIntyre et al. 2009: 46 f.), der die Ernährungssicherheit, vor allem durch die Zunahme von Extremwetterereignissen, zusätzlich gefährdet (vgl. Rahmstorf & Schellnhuber 2007: 70).
Ineffizienz tierischer Nahrungsmittel

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Abb. 6: Treibhauseffekt von Nahrungsmitteln (Foodwatch)

Welche Produkte konsumiert werden, hat sehr unterschiedliche Folgen für das Klima. Ökologischer Landbau verursacht zwar tendenziell weniger Treibhausgase als konventioneller (mit Ausnahme von Bio-Rindfleisch aus Mast - die Tiere bleiben länger am leben und verursachen daher mehr Emissionen), aber die weitaus größere Hebelwirkung liegt in der Frage, ob pflanzliche oder tierische Nahrungsmittel konsumiert werden und wie stark diese verarbeitet werden (vgl. Abb. 6). Tierische Nahrungsmittel sind generell deutlich klimaschädlicher als pflanzliche. Mit 18 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen trägt die Tierhaltung sogar mehr zum Klimawandel bei, als der Verkehrssektor mit 11 Prozent (FAO 2006: 112).
Dieser Umstand hat auch mit der Ineffizienz tierischer Nahrungsmittel zu tun, die auch mit dem Begriff der sogenannten Veredelungsverluste beschrieben wird. In Nahrungsenergie gerechnet, ist das Verhältnis von Input (Futter) zu Output (tierisches Erzeugnis) bei Milch 8:1 (ähnliche Werte gelten für Fleisch oder Eier; vgl. Leitzmann & Keller 2010: 327). Sieben Einheiten Nahrungsenergie z.B. in Form von Getreide, das verfüttert wird, gehen dabei verloren, weil die Kuh für die Aufrechterhaltung ihres Organismus ja selbst Energie verbraucht. Die acht pflanzlichen Einheiten hätten aber ebensogut dem direkten menschlichen Verzehr zukommen können. Dem großen Geographen Alexander von Humboldt (1769-1859) wird folgendes Zitat nachgesagt:
"Wo ein Jäger lebt, können zehn Hirten leben, hundert Ackerbauern und tausend Gärtner." (zit. n. Skriver 1980: XXII)
Die achtfache Menge Nahrungsenergie auf derselben Fläche zu erzeugen, ist auch im Hinblick auf die Hungerkrise ein wertvoller Gedanke, wenngleich dies noch nicht das oben genannte Verteilungsproblem  löst. Wenn in einigen Gegenden Deutschlands beim Blick in die Landschaft überwiegend Maisfelder zu sehen sind, dann dementsprechend nicht, weil die Deutschen so gerne Mais essen, sondern weil der Großteil der landwirtschaftlichen Fläche - in Deutschland 58 Prozent - für den Anbau von Futtermitteln verwendet wird (BMELV 2010). Pflanzliche an Stelle von tierischen Nahrungsmitteln zu produzieren, bietet ein weitaus größeres Potential zur Herstellung einer größeren Menge an Nahrung, als dies etwa die kurzfristig zu erwartenden Produktivitätszuwächse durch den Einsatz von Gentechnik bieten.
Bogen schlagen, Kurve kriegen
Die Bedrohungen durch die Produktion tierischer Nahrungsmittel für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft wurden oben erläutert, wobei zugunsten der Übersichtlichkeit auf einige problematische Aspekte gar nicht eingegangen werden konnte, z.B. der Anteil tierischer Produkte an sogenannten Zivilisationskrankheiten, wie Diabetes oder anderen Herz-Kreislauferkrankungen (dazu mehr bei Leitzmann & Keller 2010).
Betrachten wir die Warenkette von ihrem Ende ausgehend, liegt das Problem bei denjenigen privilegierten Konsument_innen, die viele tierische Produkte kaufen wollen und dies möglichst billig.  Natürlich sind auch die Politiker_innen gefragt, geeignete gesetzliche Vorgaben zu erlassen, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Eine Lebensmittel-Ampel wäre ein Anfang (vgl. z.B. Foodwatch), die Internalisierung ökologischer Kosten in die Produkte und gerechtere Handelsbeziehungen mit Menschen aus dem sogenannten Globalen Süden wären weitere wichtige Schritte.
In ihrem Aufsatz "Moral economies of food and geographies of responsibility" verwenden Jackson et al. (2009) die Begriffe "remembering and forgetting", "connecting and disconnecting" und "visibility and invisibility", um die diversen relationalen Bezüge von britischen Produzent_innen und Konsument_innen zu ihren Lebensmitteln zu erklären. Beispielsweise zeigen sie, dass die befragten Konsument_innen bei Hühnchenfleisch einerseits auf britische Herkunft achteten, also Verbindungen zur Regionalität und zur vermeintlich besseren Qualität zogen (remembering, connecting, visibility), andererseits wollten sie gar nicht so genau über die Bedingungen der Schlachtung bescheid wissen (forgetting, disconnecting, invisibility). In Anlehnung an Doreen Masseys (2004) "geographical responsibility" und Iris Youngs (2003) "collective responsibility" weisen Jackson et al. (2009: 21) darauf hin, dass alle in die Warenkette Involvierten immer auch an der Produktion von Bedeutung beteiligt und somit Verantwortung tragen. Eine Trennung zwischen moralischen und politischen Aspekten in der Wirtschaft, insbesondere im Umgang mit Lebensmitteln, sei daher unhaltbar.

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Abb. 7: Werbeparodie,  Greenpeace-Mag. 2.10

 Mit Bezug auf dieses Konzept könnte letztlich auch die Milchwirtschaft in die moralische Pflicht genommen werden, denn auch sie produziert Bedeutung, wenn sie ihrer Produktion ein grünes Mäntelchen umwirft (vgl. Abb. 7). Es besteht die Gefahr, dass durch gängige Muster und bewusste Strategien der Naturalisierung, nicht nachhaltige Produktions- und Konsumtionsweisen aufrecht erhalten bleiben. Diskurse um Überernährung/Unterernährung, Klimawandel und Knappheit des Erdöls werden hingegen marginalisiert.
Sowohl Produzent_innen, als auch Konsument_innen, die sich in einer Demokratie nur allzu gerne als mündige, aufgeklärte Bürger_innen sehen, sollten in die Lage versetzt werden, an der Arbeit, beim Einkauf und am Esstisch entsprechende Verbindungen zu den "big problems" zu ziehen, anstatt sich ihnen zu entziehen, sie zu vergessen und schließlich ganz unsichtbar werden zu lassen. Auch wenn vieles dafür sprechen mag, Ernährung als Privatsache zu sehen (ich will meinem Körper nur das zuführen, was ich für gut halte), sollte Ernährung niemals jenseits von politischen und moralischen Aspekten sein.
"Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt." (GG, Art. 2)              

Fazit: 
Während die Milchwirtschaft in ihrer Werbung idyllische Landschaften produziert, in denen glückliche Kühe auf saftigen Wiesen grasen und traditionsbewusste Bauern und Bäuerinnen im Einklang mit der Natur die reine, unschuldsweiße Milch schöpfen, gehören rationalistische, industrielle Verfahren zu den vorherrschenden Produktionsweisen. Durch die erdölintensive Produktions- und Konsumtionskette und die nahrungsenergetische Ineffizienz tragen konventionelle tierische Produkte erheblich zum Klimawandel und zur Hungerkrise bei. Den Konsum von tierischen Nahrungsmitteln auf ein nachhaltiges Maß zu reduzieren ist aus ökologischer, human- und tierethischer Sicht unerlässlich. Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, darf damit auch keine reine Privatsache sein, sondern ist immer auch ein Politikum.
Zum Autor: Steffen Hirth, einer der Mitbegründer der Geozentrale, hat 2012 sein Diplom in Sozial- und Wirtschaftsgeographie bei Prof. Marc Boeckler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gemacht. Seit Januar ist er freier Mitarbeiter am Institut für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE.org) unter Leitung von Dr. Markus Keller.   
Literatur:
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