In ähnlich angespannter Stimmung trafen die Delegierten der Partei DIE LINKE am vergangenen Wochenende im niedersächsischen Göttingen aufeinander. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von nicht erfüllten Erwartungen bei den Wahlen in Ost, West, Nord und Süd, von schmerzhaften Parteiaustritten langjähriger PDS-Mitglieder und der Auflösung ganzer Kreisverbände im Westen. Die Gräben zwischen den ehemaligen Parteien WASG und PDS, zwischen West und Ost, zwischen den politischen Strömungen in der Partei waren tiefer gegraben geworden, in der Bundestagsfraktion gab es manchmal sogar Hass untereinander, wie unser Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi in einer bemerkenswert offenen Rede zugeben musste. Zudem standen Wahlen zum neuen Parteivorstand an und die "Lager" von Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine standen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Auf die von Gregor Gysi in den Raum gestellte Trennung haben wir trotzdem verzichtet. Aber es war schon dramatisch. Anders als sonst war vollkommen offen, wie dieser Parteitag ausgehen würde. Und es gab Überraschungen!
Mein Freund, der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Matthias Höhn wurde mit einem ausgezeichneten Ergebnis zum neuen Bundesgeschäftsführer unserer Partei gewählt, obwohl er eindeutig das Triumphgeheuel einiger weniger Delegierte ohne gute Kinderstube verurteilte, die so ihren "Sieg" bejubelten und auch ansonsten klar Stellung bezog. Aus Berlin erzielten meine Bundestagskollegin Halina Wawzyniak und unser Landesvorsitzender Klaus Lederer ausgezeichnte Wahlergebnisse und wurden ebenso wie Katina Schubert in den Bundesvorstand gewählt. Anders als in Gera vor zehn Jahren gab es keine eindeutigen Sieger und Besiegte.
Ist nun alles gut? Ich halte die weitere Entwicklung für offen. Das von Gregor Gysi gezeichnete düstere Szenario einer Spaltung liegt weiter auf dem Tisch. Vermieden werden kann es nur wenn es dem neuen Vorstand gelingt, mit einem neuen, diskursiven Angebot alle maßgeblichen Teile der Partei zur Debatte über unsere künftige Strategie einzuladen und wenn die Mitglieder und Strömungen unserer Partei dem Vorstand die Chance geben, zusammenzufinden und die Arbeit aufzunehmen. Und auch wenn meine Favoriten für die Parteispitze nicht gewonnen haben, will ich alles dafür tun, dass dies gelingt. Wie sagte mir neulich vor dem Pankower Jobcenter ein wütender Mann: "Kriegt Euch mal wieder ein! Mir ist egal wer bei Euch Vorsitzender ist. Ich will, dass Ihr Euch endlich wieder um die Dinge kümmert, für die ich Euch seit zwanzig Jahren wähle!" Recht hat er.