Von Gera bis Göttingen

Matthias Höhn Matthias Höhn, der neue Bundesgeschäftsführer der LINKEN

Der bisher schwierigste Bundesparteitag in meiner nunmehr 21-jährigen Parteigeschichte fand im Herbst 2002 im thüringischen Gera statt. Geprägt von einer dramatischen Wahlniederlage bei den Bundestagswahlen trafen die Delegierten der PDS aufeinander und suchten nach Schuldigen. Fündig wurden einige bei jenen, die sich vermeintlich bei der SPD anbiedern wollten und besonders der Berliner Landesverband, der seit einigen Monaten mit der SPD eine Koalition gebildet hatte, war ein beliebter Adressat für viel Frust. Als Landes- und Fraktionsvorsitzender unserer Berliner Partei verlebte ich schwere Stunden mit meinen Genossinnen und Genossen, von denen ich viele, die damals auf der anderen Seite standen, heute zu meinen Freunden zähle.
In ähnlich angespannter Stimmung trafen die Delegierten der Partei DIE LINKE am vergangenen Wochenende im niedersächsischen Göttingen aufeinander. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von nicht erfüllten Erwartungen bei den Wahlen in Ost, West, Nord und Süd, von schmerzhaften Parteiaustritten langjähriger PDS-Mitglieder und der Auflösung ganzer Kreisverbände im Westen. Die Gräben zwischen den ehemaligen Parteien WASG und PDS, zwischen West und Ost, zwischen den politischen Strömungen in der Partei waren tiefer gegraben geworden, in der Bundestagsfraktion gab es manchmal sogar Hass untereinander, wie unser Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi in einer bemerkenswert offenen Rede zugeben musste. Zudem standen Wahlen zum neuen Parteivorstand an und die "Lager" von Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine standen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Auf die von Gregor Gysi in den Raum gestellte Trennung haben wir trotzdem verzichtet. Aber es war schon dramatisch. Anders als sonst war vollkommen offen, wie dieser Parteitag ausgehen würde. Und es gab Überraschungen!

vorsitzende-stellv-bgf.jpg Vorsitzende, Stellvertretende und Bundesgeschäftsführer

Die sächsische Bundestagsabgeordnete Katja Kipping wurde nach einem bemerkenswerten taktischen Salto Mortale statt als Teil einer in Aussicht gestellten Frauendoppelspitze zur Kovorsitzenden des Baden-Württembergischen Landesvorsitzenden Bernd Riexinger gewählt, der seinerseits den Mecklenburger Abgeordneten Dietmar Bartsch in einer Kampfabstimmung knapp überrundete, obwohl dieser die Rede seines Lebens hielt. "War es etwa Anbiederei, dass ich 1998 in der saarländischen Landesvertretung mit Harald Ringstorff und Oskar Lafontaine die Grundlagen für die Koalition von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern legte?"
Mein Freund, der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Matthias Höhn wurde mit einem ausgezeichneten Ergebnis zum neuen Bundesgeschäftsführer unserer Partei gewählt, obwohl er eindeutig das Triumphgeheuel einiger weniger Delegierte ohne gute Kinderstube verurteilte, die so ihren "Sieg" bejubelten und auch ansonsten klar Stellung bezog. Aus Berlin erzielten meine Bundestagskollegin Halina Wawzyniak und unser Landesvorsitzender Klaus Lederer ausgezeichnte Wahlergebnisse und wurden ebenso wie Katina Schubert in den Bundesvorstand gewählt. Anders als in Gera vor zehn Jahren gab es keine eindeutigen Sieger und Besiegte.
Ist nun alles gut? Ich halte die weitere Entwicklung für offen. Das von Gregor Gysi gezeichnete düstere Szenario einer Spaltung liegt weiter auf dem Tisch. Vermieden werden kann es nur wenn es dem neuen Vorstand gelingt, mit einem neuen, diskursiven Angebot alle maßgeblichen Teile der Partei zur Debatte über unsere künftige Strategie einzuladen und wenn die Mitglieder und Strömungen unserer Partei dem Vorstand die Chance geben, zusammenzufinden und die Arbeit aufzunehmen. Und auch wenn meine Favoriten für die Parteispitze nicht gewonnen haben, will ich alles dafür tun, dass dies gelingt. Wie sagte mir neulich vor dem Pankower Jobcenter ein wütender Mann: "Kriegt Euch mal wieder ein! Mir ist egal wer bei Euch Vorsitzender ist. Ich will, dass Ihr Euch endlich wieder um die Dinge kümmert, für die ich Euch seit zwanzig Jahren wähle!" Recht hat er.

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