Von Erdgas, Zaubertricks und Medienlügen – Was Putin wirklich sagte

Fracking statt Putin - Neuer Europawahl-Slogen der CDU?  - Foto: ©

“Fracking statt Putin?” – Foto: © Christine / plattlandberwacht – Hemslingen

„Hör dir das an, Schatz! Die Russen drehen uns den Gashahn zu!“

Dieser Satz dürfte am zehnten April diesen Jahres an etlichen Frühstückstischen nicht nur in Deutschland zu hören gewesen sein. Dies war nämlich der Tag, an dem solche Schlagzeilen wie „Putin droht mit Erdgas-Drosselung“ (Die Welt), „Putin droht Europa mit Stopp der Gaslieferungen“ (DWN), „Putin droht mit Gas-Drosselung“ (BZ) oder „Putin droht Europa mit Gas-Drosselung“ (Stern) die deutschen Gazetten schmückten.
Klingt alles irgendwie gleich, nicht wahr? Alles nur wenig voneinander abweichende Formulierungen zum gleichen Thema.

Putin droht. Dieser schreckliche Russe droht uns!

Und diese Drohung trifft uns alle bis ins Mark, denn mal ganz ehrlich, wer will im nächsten Winter schon in einer unbeheizten Wohnung sitzen? Oder elektrisch heizen? Und überhaupt, wird dann nicht auch das Öl teurer? Und der Strom? Und auch alles andere, einschließlich des Benzins? Schließlich leben wir in einer Marktwirschaft; der Preis einer Ware wird bestimmt durch Angebot und Nachfrage. Und ohne die Erdgasimporte aus der Russischen Föderation steigt die Nachfrage nach Alternativen und damit deren Preise. Ganz klar.

Um eines mal vorweg zu nehmen; es besteht nach meiner Meinung kein Grund zur Panik, dass es zukünftig kein russisches Erdgas für uns mehr geben wird … Naja, jedenfalls nicht von Seiten des Exporteurs. Dass wir zukünftig alle dennoch ordentlich draufzahlen werden, kann ich jedoch jetzt schon prophezeien. Aber das liegt dann mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an den Russen.
Das liegt eher an uns selbst.

Aber zunächt einmal die Vorgeschichte:

Auch ich las einen dieser Artikel beim Frühstück. Und auch mein Toast blieb unbeachtet auf dem Teller liegen, weil mir spontan der Appetit vergangen war. Stattdessen griff ich zum Laptop und suchte im Internet nach weiteren Informationen, denn mir war aufgefallen, dass in keinem der Artikel wenigstens ein Auszug des Briefes abgedruckt worden war, in dem Herr Putin Europa so unverschämt bedroht. Nicht einmal ein winzig kleines Zitat. Merkwürdig.
Also machte ich mich im Netz auf die Suche. Aber keine einzige Nachrichtenagentur und auch kein anderes Medium schien in der Lage zu sein, mir diesen vermaledeiten Brief zur Verfügung zu stellen. Schließlich, als ich mit meinem Latein schon ziemlich am Ende war, bat ich über Facebook um Hilfe. Und ich bekam sie in Form eine Links.

Der Brief von Vladimir Putin in voller Länge. Und noch dazu auf Englisch, einer Sprache, die ich zumindest ansatzweise beherrsche. (In Europas Regierungen und bei den internationalen Medien  sollte die Sprache jedenfalls einigermaßen beherrscht werden.) Nach beinahe vier lustigen Stunden mit Papier, Bleistift, Wörterbuch (und Aspirin) hatte ich eine halbwegs annehmbare Übersetzung fertig. Und mit dieser glaube ich, eine Erklärung dafür gerfunden zu haben, warum dieser Brief nirgendwo zitiert oder abgedruckt wurde. Doch ich greife vor, hier die sinngemäße Übersetzung:

Diese Nachricht schickte Präsident Putin an zahlreiche Regierungen in Europa und Veröffentlichte diese gleichzeitig unter seinem offiziellen Siegel

“Die Wirtschaft der Ukraine befindet sich seit Monaten auf Talfahrt. Der Industrie- und Baubereich sind stark rückläufig. Das Haushaltsdefizit steigt. Der Zustand des Währungssystems wird immer beklagenswerter. Die negative Handelsbilanz wird von einer Kapitalflucht aus dem Land begleitet. Die Produktion stockt, die Arbeitslosigkeit wächst.

Russland und die EU-Staaten sind die wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Auf dem EU-Gipfel Ende Januar einigten wir uns mit unseren europäischen Partnern darauf, Gespräche aufzunehmen, um die Wirtschaft der Ukraine unter Berücksichtigung der Interessen der Ukraine und unserer Länder zu entwickeln. Doch alle Versuche von russischer Seite, diese Gespräche zu beginnen, verliefen ergebnislos

Stattdessen sehen wir uns mit der Forderung konfrontiert, die Vertragspreise für russisches Erdgas zu senken, weil diese angeblich „politischer“ Natur seien. Man gewinnt den Eindruck, dass die europäischen Partner Russland die Schuld an der Wirtschaftskrise der Ukraine und ihren Folgen geben.

Vom ersten Tag der Existenz der Ukraine als unabhängiger Staat hat Russland die Stabilität der ukrainischen Wirtschaft durch die Versorgung mit Erdgas zu günstigen Preisen unterstützt.
Im Januar 2009 wurde mit Julia Timoschenko ein Kauf- und Verkaufsvertrag über die Lieferung von Erdgas für den Zeitraum von 2009 bis 2019 unterzeichnet. Dieser Vertrag regelt Fragen zur Lieferung und Bezahlung für das Produkt, und dessen ungehinderten Transit durch das Territorium der Ukraine. Russland hat diesen Vertrag sowohl nach den Buchstaben als auch dem Geist des Dokuments vollständig erfüllt. Übrigens war der ukrainische Minister für Brennstoffe und Energie damals Juri Prodan, der heute eine ähnliche Position in der Kiewer Regierung innehat.

Das Gesamtvolumen an Erdgas, das an die Ukraine geliefert wurde, liegt, wie in diesem Vertrag während der Zeit der 2009-2014 (erstes Quartal) festgelegt wurde, bei 147,2 Milliarden Kubikmeter. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die Preisformel, die im Vertrag festgelegt worden war, seit diesem Moment unverändert blieb. Und die Ukraine leistete bis August 2013 regelmäßige Zahlungen für das Erdgas in Übereinstimmung mit dieser Formel.

Damit haben die beispiellosen Privilegien und Rabatte, die Russland nach der Unterzeichnung dieses Vertrages auf dem Preis des Erdgases gewährte, nichts zu tun. Dies gilt für den Rabatt ab 2010 für das Charkow-Abkommen, der als Vorauszahlung künftiger Pachtzahlungen für die Stationierung der (russischen) Schwarzmeerflotte nach 2017 galt. Dies bezieht sich auf die Rabatte für ukrainische Chemieunternehmen. Dies betrifft auch die Ermäßigung im Dezember 2013, die wir für die Dauer von drei Monaten aufgrund des kritischen Zustandes der ukrainischen Wirtschaft gewährt haben. Beginnend mit 2009 beläuft sich die Gesamtsumme dieser Rabatte auf 17 Milliarden Dollar. Um dies zu gewährleisten, sollten wir weitere 18.400.000.000 $ von der ukrainischen Seite als Minimal Take-or -Pay- Fein hinzufügen.

Auf diese Weise hat Russland in den vergangenen vier Jahren die ukrainische Wirtschaft subventioniert, indem sie auf Erdgasgewinne im Wert von $ 35.400.000.000 verzichtete. Darüber hinaus wurde im Dezember 2013 der Ukraine von Russland ein Kredit von 3 Mrd. US-Dollar gewährt. Diese sehr bedeutenden Summen waren zur Erhaltung der Stabilität und Glaubwürdigkeit der ukrainischen Wirtschaft und die Erhaltung der Arbeitsplätze gedacht. Kein anderes Land gewährte eine derartige Unterstützung außer Russland.

Was ist mit den europäischen Partnern? Statt der Ukraine echte Unterstützung anzubieten, bleibt es bei einer Absichtserklärung. Es sind nur Versprechungen, die nicht durch irgendwelche realen Aktionen gestützt werden. Die Europäische Union sieht die ukrainische Wirtschaft als eine Quelle für naturale Lebensmittel, Metalle und mineralische Ressourcen und gleichzeitig, als einen Markt für den Verkauf ihrer Waren (Maschinentechnik und Chemikalien), wodurch ein Defizit in der ukrainischen Handelsbilanz in Höhe von mehr als 10 Milliarden US-Dollar entsteht. Das entspricht beinahe zwei Dritteln des Gesamtdefizits der Ukraine für das Jahr 2013.

Zu einem großen Teil beruht die Krise in der ukrainischen Wirtschaft auf dem unausgeglichenen Handel mit den EU-Mitgliedstaaten, und dies wiederum hat einen stark negativen Einfluss auf die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen der Ukraine bezüglich der Zahlungen für die Erdgas-Lieferungen durch Russland.
Gazprom stellt keine Ansprüche, die über jene hinausgehen, die im Vertrag von 2009 festgelegt wurden, noch besteht die Absicht, zusätzliche Bedingungen aufzunehmen. Dies betrifft auch den Vertragspreis für Erdgas, der in strikter Übereinstimmung mit der vereinbarten Formel berechnet wird. Aber Russland kann und sollte nicht einseitig die Last der Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft durch Gewährung von Preisnachlässen und Schuldenverzicht tragen, und damit das Defizit ausgleichen, das der Ukraine im Handel mit den EU-Mitgliedstaaten entsteht.

Die Schulden der NAK Naftogaz für das gelieferte Gas wachsen mit jedem Monat. Im November – Dezember 2013 standen diese Schulden bei 1.451,5 Milliarden US-Dollar; im Februar 2014 stiegen sie um weitere 260,3 Millionen, und im März um weitere $ 526.100.000. Hier möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass es ab März keinen Grund mehr gab, einen Sonderpreis anzuwenden, d.h. 268,5 $ pro tausend Kubikmeter Gas zu erlassen.
Bisher hat die Ukraine nicht einen Dollar davon bezahlt.

Unter solchen Bedingungen und in Übereinstimmung mit den Artikeln 5.15, 5.8 und 5.3 des Vertrages, ist Gazprom angehalten, die Zahlung für die Gaslieferungen zu fordern, und im Falle weiterer Verstöße gegen die Zahlungsbestimmungen die Gaslieferungen ganz oder teilweise einzustellen. Mit anderen Worten, es wird nur noch das Volumen an Erdgas an die Ukraine geliefert, das einen Monat vor der Lieferung bezahlt wurde.

Zweifellos ist dies eine extreme Maßnahme. Wir sind uns bewusst, dass dies das Risiko des Absaugens von Erdgas erhöht, welches durch das Territorium der Ukraine in Richtung der europäischen Verbraucher geleitet wird. Wir wissen auch, dass es schwierig für die Ukraine wird, ausreichende Gasreserven für den Herbst und den Winter anzulegen. Um eine Unterbrechung der Versorgung zu verhindern, wird es notwendig sein, 11,5 Milliarden Kubikmeter Gas zu liefern und zu speichern, dafür ist eine Zahlung von etwa $ 5.000.000.000 erforderlich.

Die Tatsache, dass sich unsere europäischen Partner einseitig von den gemeinsamen Anstrengungen, die ukrainische Krise zu bewältigen, und von Gesprächen mit der russischen Seite zurückgezogen haben, lässt Russland leider keine Alternative.
Es kann nur einen Ausweg aus der Situation, die sich entwickelt hat, geben. Wir glauben, dass es wichtig ist, auf der Ebene der Minister für Wirtschaft, Finanzen und Energie zusammen zu arbeiten, um die ukrainische Wirtschaft zu stabilisieren und die Lieferung und den Transit von russischem Erdgas in Übereinstimmung mit den Bedingungen des Vertrages gewährleisten zu können. Dazu ist es nötig, ohne Verzögerung Gespräche aufzunehmen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, die ersten Schritte dazu zu koordinieren. In diesem Sinne appellieren wir an unsere europäischen Partner.

Es ist selbstverständlich, dass Russland bereit ist, sich an den Bemühungen zur Stabilisierung und Wiederherstellung der ukrainischen Wirtschaft zu beteiligen. Jedoch nicht in einer einseitigen Weise, sondern zu gleichen Bedingungen mit unseren europäischen Partnern. Es ist auch wichtig, die tatsächlichen Investitionen, Beiträge und Ausgaben, zu berücksichtigen, die Russland für eine so lange Zeit zur Unterstützung der Ukraine auf sich genommen hat. Unserer Meinung nach kann nur ein fairer, ausgewogener Ansatz Erfolg haben.“

Quelle/Originalwortlaut: http://eng.kremlin.ru/news/7002

Wer den Brief aufmerksam gelesen hat, wird bemerkt haben, dass Herr Putin darin mit keinem Wort droht, die Erdgaslieferungen einzustellen. Es wird von der Ukraine nicht einmal verlangt, dass sie ihre Gasschulden bezahlt!

Es ist, davon abgesehen, dass er der EU den Spiegel vorhält, nur davon die Rede, dass zukünftige Lieferungen im Voraus bezahlt werden müssen.Und jetzt ein Blick zurück zum Anfang dieses Artikels und den Verlautbarungen unserer Presse. Was fällt da auf?

Mein Fazit: Wir werden von den Medien belogen

Man belügt uns bewusst, um Stimmung gegen die russische Föderation zu machen. Man belügt uns bewusst, um mit unseren Steuergeldern die zukünftigen Gaslieferungen an die Ukraine zu finanzieren, obwohl sie gar kein EU-Mitglied ist – und nicht, um deren bestehende Gasschulden zu bezahlen, wie man uns gern einreden würde, weil wir sonst ebenfalls kein Erdgas mehr bekommen.

Man belügt uns auch, um uns solche Fördermethoden wie Fracking als alternativlos verkaufen zu können. (siehe auch hier) Und man verschweigt uns in diesem Zusammenhang, dass man bereits vor dem Brief des Herrn Putin an die achtzehn europäischen Regierungsoberhäupter dem Fracking hier in Deutschland offiziell zugestimmt hat, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung sich ganz klar dagegen ausgesprochen hat. (siehe auch dieser Link)

Wer bei dem Artikel hinter dem Link mal auf das Datum achtet, wird feststellen, dass diese Entscheidung am elften März diesen Jahres fiel, also im Windschatten der Krimkrise, als alle wie gebannt in Richtung Osten schauten. Und wer sich darüber hinaus die Mühe einer Online-Recherche macht, wird feststellen, dass Herr Günter Oettinger, seines Zeichens Energiekommissar der EU, noch am vierundzwanzigsten und fünfundzwanzigsten März diesen Jahres, also ganze zwei Wochen später, in der „Welt“ und der „FAZ“ forderte, dass Fracking in Deutschland „eine Chance erhalten“ müsse.

Wie kann das sein?

Mittlerweile habe ich beim Zeitunglesen immer häfiger den Eindruck, zu Gast in einer Zaubershow zu sein. Während der Magier auf der Bühne mich dazu bringt, in die Richtung seiner einen Hand zu schauen, manipuliert er mit der anderen so geschickt die Umstände, dass mir vor Erstaunen – oder eher Entsetzen – der Mund offen stehen bleibt.

Das ist zu vermuten: Mit diesem Zaubertrick bezüglich des Briefes von Präsident Putin bringt man die Steuerzahler der EU dazu, eine Art Anzahlung auf die Ukraine zu leisten – denn machen wir uns nichts vor, an die Bezahlung der Gaslieferungen sind mit Sicherheit harte Bedingungen geknüpft – und führt gleichzeitig das Fracking als anerkannte Fördermethode ein.

Es ist übrigens auch der gleiche Taschenspielertrick, mit dem die NATO uns
– wieder über unsere Medien – nach meinen Informationen neun Monate alte Satellitenaufnahmen eines russischen Manövers als Beweis dafür verkauft, dass die Russische Föderation gerade an der Grenze zur Ukraine mobil macht.

Und das scheint zu funktionieren. Leider.

Jedenfalls so lange, bis wir endlich wieder lernen, die Informationen, für die wir über ein Zeitungsabonnement oder den Beitragsservice bezahlen, nicht nur zu konsumieren, sondern sie zu hinterfragen und zu überprüfen. Hoffentlich passiert das, bevor man uns mit Hilfe medialer Nebelkerzen und Blendgranaten während der Fußballweltmeisterschaft 2014 womöglich TTIP, CETA und TiSA unterjubelt, ohne dass wir es auch nur zur Kenntnis nehmen.

Der Beweis für meine Behauptungen? Meine Übersetzung des Putin-Briefes kann gern mit dem englischen Original (Link oben) verglichen werden. Und falls ich die Unwahrheit schreibe, existieren achtzehn schriftliche (wenn auch wegen ihres Inhalts für die Empfänger ziemlich peinliche) Gegenbeweise, unterschrieben von Präsident Putin und versendet an achtzehn Staatsoberhäupter in Europa.

Übersetzung und Kommentar von Heidi Langer

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Quellen – weiterführende Links

Foto: © Christine / plattlandberwacht – Hemslingen
Putins Brief im Original: http://eng.kremlin.ru/news/7002


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