Von Einer, die auszog, den nicht zertifizierten Betrieben das Fürchten zu lehren!

Von Einer, die auszog, den nicht zertifizierten Betrieben das Fürchten zu lehren!

© wededa / pixelio.de

Frau Irene Zamponi ist Rechtsanwältin im schönen München. In dieser Eigenschaft vertritt sie die Interessen ihrer Mandanten, und dafür enthält sie von diesen eine Entlohnung – so funktioniert das Spiel, auch bei mir, getreu nach dem Motto: „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“.

Die Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. In ihr sind etwa 600 Betriebe der Orthopädieschuhtechnik in NRW organisiert, sie zahlen an diese Körperschaft Beiträge, damit diese wiederum ihre Interessen wahrnimmt. 90% der Betriebe sollen angeblich zertifiziert sein, mindestens 60 Betriebe sind es demnach nicht (aber wahrscheinlich liegt der Anteil höher): mindestens 60 Orthopädieschuhmacher verdienen in diesen nicht zertifizierten Betrieben ihr Geld, mindestens 60 Familien sichern damit (zumindest teilweise) ihren Lebensunterhalt, weitere Arbeitsplätze dürften dort auch andere Familien ernähren. Auch diese Betriebe hoffen, dass ihre Interessen durch die Innung vertreten werden, dafür bezahlen sie – so sollte es funktionieren, das Spiel, getreu nach dem Motto: “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“.

Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi ist die Geschäftsführerin der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen. Da sie nach meiner Kenntnis diese Funktion nicht ehrenamtlich innehat, hat sie also dort die Interessen der Mitglieder zu vertreten und erhält dafür aus den Beiträgen der Mitglieder ihre Entlohnung – auch aus den Beiträgen derjenigen Mitglieder, die nicht zertifiziert sind,  getreu nach dem Motto: „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“ – so sollte es doch sein, oder?

Die Barmer GEK mit 8,5 Millionen Versicherten und die Technikerkrankenkasse (TK) mit 7,7 Millionen Versicherten sind Ersatzkassen mit einer durchaus marktbeeinflussenden Stellung. Mit diesen Kassen schlossen diverse Organisationen – unter anderem die Arbeitsgemeinschaft Orthopädieschuhtechnik (AGOS) NRW als Gesellschaft der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen, aber auch der Zentralverband für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) als bundesweite Interessenvertretung der Orthopädieschuhtechniker inhaltlich gleichlautende Beitrittsverträge über die einschlägige Produktgruppe 31.

(Eine kleine Anmerkung am Rande: Auf massgebliches persönliches Betreiben der Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi ist die Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen (über den Landesinnungsverband, in dem sie wiederum Mitglied ist) nicht mehr Mitglied im ZVOS, also der  bundesweiten Interessenvertretung.)

Doch zurück zu Barmer GEK und TK und den Vereinbarungen: Diese Verträge enthielten auf ausdrückliche Veranlassung der Krankenkassen und mit tätiger Unterstützung der AGOS-Vertreterin, Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi, allerdings gegen den erbitterten Widerstand der Vertreter des ZVOS eine Klausel, nach der nach diesen Verträgen nur Leistungserbringer versorgen dürfen, die auch zertifiziert sind. Der ZVOS verhandelte nach seiner Unterschrift weiter und konnte erreichen, dass Betriebe auch dann am Vertrag teilnehmen und damit die Versicherten der Krankenkassen versorgen dürfen, wenn sie nicht zertifiziert sind, jedoch nur mit einem erheblichen Preisnachlass von 4% – ein Beitrag, der einen grossen Teil des Unternehmerlohns abschöpft.

Nur durch diese Verhandlungen des ZVOS, welche auch für die beim ZVOS nicht mehr organisierten, aber bei der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen eingeschriebenen 60 Mitglieder wirkte, konnten diese weiter versorgen. “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“ – so war es schon hier nicht, soweit es Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi und die Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen betraf.

Das Bundesversicherungsamt ist unter anderem zuständig für die Aufsicht über die Krankenkassen. Es ist von einer Reihe von Organisationen und Leistungserbringern auf rechtswidriges Verhalten einiger Krankenkassen im Rahmen von Vertragsabschlüssen nach §127 SGB V hingewiesen worden. Deswegen äusserte sich das BVA im Dezember 2010 in einem Rundschreiben an die Krankenkassen umfänglich, legte seine Rechtsauffassungen dar und ermahnte die Krankenkassen eindringlich, sich gesetzestreu zu verhalten (Bundesversicherungsamt: Klare Richtlinien für Verträge und Vertragsverhandlungen nach §127 SGB V – und eine schallende Ohrfeige für einige Krankenkassen « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes).

Zur einseitigen Forderung der Krankenkassen nach einer Zertifizierung äusserte sich das BVA unmissverständlich:

Eine einseitige Vorgabe der Krankenkasse zur Zertifizierung ist unzulässig.

Daraus lässt sich für Interessenverbände, in denen auch Mitglieder organisiert sind, die über keine Zertifizierung verfügen, nur ein Rückschluss ziehen: um deren Interessen angemessen zu vertreten, dürfen keine Verträge abgeschlossen werden, die eine solche Zertifizierung zur Voraussetzung einer Versorgung machen, denn: “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“

Trotzdem schloss die Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen mit der AOK Rheinland/Hamburg in Kenntnis des Rundschreibens des BVA einen neuen Vertrag nach §127 SGB V ab – in dem wieder die Zertifizierungspflicht enthalten ist und mit dem wiederum ein Teil der Mitglieder der Innung von der Versorgung ausgeschlossen werden (Vertrag zwischen der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen und der AOK Rheinland/Hamburg: Hätte es tatsächlich noch schlimmer kommen können? « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes).

Bei der AOK Rheinland/Hamburg handelt es sich um eine Kasse mit immerhin 2,8 Millionen Versicherten, und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ein Leistungserbringer, der von der Versorgung der Versicherten dieser Kasse ausgeschlossen ist, mit mehr als einem Fuss in der Insolvenz steht. “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing?“

(Wiederum nur am Rande sei erwähnt, dass damit auch die Verhandlungsmöglichkeiten der ebenfalls betroffenen Landesinnung Nord für Orthopädieschuhtechnik massiv und ohne Rücksprache eingeschränkt wurden, denn die AOK Rheinland/Hamburg ist eben auch für den Bereich der Landesinnung Nord zuständig – so viel zur Kollegialität, die Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi gebetsmühlenhaft von anderen Verbänden einfordert).

Der ZVOS allerdings nahm das Rundschreiben des BVA zum Anlass und verhandelte erneut – und fand bisher bei der TK verhandlungsbereite und einsichtige Partner:

Wie schon hier (Zertifizierung: Die Front der Krankenkassen bröckelt! « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes) berichtet, setzte die TK inzwischen sowohl die Pflicht zur Zertifizierung als auch die vereinbarte Rechnungskürzung von 4% aus und bot Verhandlungen über einen neuen Vertrag an. Dementsprechend ist also durch die hartnäckigen Verhandlungen des ZVOS nicht nur eine Milderung der existenzbedrohenden Folgen bestimmter Verträge für die betroffenen Betriebe der Orthopädieschuhtechnik erreicht worden, sondern jedenfalls in Bezug auf die Versorgung der Versicherten der TK sogar ein vollständiger Wegfall der Zertifizierungspflicht.

Da kann man dann wohl mit Fug und Recht sagen: “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“

Und man denkt, an dieser Stelle könnte mein Bericht ein Ende finden; doch, weit gefehlt, jetzt wird es richtig haarsträubend! Gestern abend erhielt ich die nachfolgenden Schriftstücke, die Sie erst einmal voll und unkommentiert auf sich wirken lassen sollten:

Da ist zunächst das Schreiben der TK:

Von Einer, die auszog, den nicht zertifizierten Betrieben das Fürchten zu lehren!

Dann ist da die Information der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen an ihre Mitglieder:

Von Einer, die auszog, den nicht zertifizierten Betrieben das Fürchten zu lehren!

Und dann ist da noch das Schreiben der Geschäftsführerin, Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi an die TK, welches es wirklich in sich hat – da ist echt Musik drin:

Von Einer, die auszog, den nicht zertifizierten Betrieben das Fürchten zu lehren!

Fassen wir mal zusammen, was sich da so aus diesen Schreiben ergibt:

  • Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi bezeichnet die damaligen Vertragsverhandlungen zwischen ihr und der Techniker Krankenkasse selbst als „einvernehmlich“, wobei die Anführungszeichen ja wohl nur dahingehend verstanden werden können, dass auch sie die Vertragsverhandlungen damals als einseitig von den Kassen dominiert ansieht – was tief blicken lässt.
  • die Zertifizierung wird von Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi lediglich als Mittel zum Zweck – Beitritt zu abgeschlossenen Verträgen – gesehen, die den Betrieben ansonsten lediglich Kosten verursacht.
  • schon die Öffnungsklausel mit 4% Abschlag (also weitgehende Abschöpfung des Unternehmergewinns durch die Krankenkassen) wird massiv kritisiert und als viel zu niedrig gebrandmarkt.

Und dann stellt die Geschäftsführerin der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen eine Reihe von Fragen, die ich ihr gerne beantworten kann:

  1. Es fällt auf einen selber zurück, wenn man sich einseitig Vertragsbedingungen aufzwängen lässt und dabei Regelungen akzeptiert, die nach eigener Auffassung denjenigen, deren Interessen man vertritt, lediglich Kosten auferlegt, ohne dass diesen Kosten ein Nutzen gegenüber steht. Bisher war es offizielle Meinung insbesondere der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen, dass die Zertifizierung dem Leistungserbringer neben der Möglichkeit des Abschlusses bestimmter Verträge weitergehenden Nutzen im Rahmen des Qualitätsmanagements bringen würde. Nun wird daraus plötzlich eine einseitige und „mit aller Gewalt“ durchgedrückte Forderung der Krankenkassen, die bei den betroffenen Betrieben einen Schaden in Höhe von 1 Million produziert haben soll, welcher nun zu entschädigen sei. Wenn man böswillig wäre, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass man den Mitgliedern die gesamten Umstände nicht vollständig eröffnet hat und damit die Zertifizierungspflicht weniger die Leistungsfähigkeit der Betriebe und ihren Wettbewerbsvorteil im Auge hatte als die Verdrängung von lästigen Wettbewerbern durch Einschränkung des Marktzugangs.
  2. Das Bundesversicherungsamt hat sehr deutlich gemacht, dass es nicht einschreiten kann gegen Regelungen, die es zwar für nicht erzwingbar hält, die aber von den Vertragsparteien übereinstimmend akzeptiert werden – und genau darauf weist die TK ja auch in ihrem Schreiben hin. Wenn also die Interessenvertretungen der Leistungserbringer sich auf solche Regelungen gegen die Interessen eines Teils ihrer Mitglieder einlassen, dann sind dem BVA die Hände gebunden. So einfach ist das!
  3. Die TK befindet sich in einem neuen Spannungsfeld zwischen der gesetzlich normierten (teilweisen) Vertragsfreiheit und ihrer Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Natürlich, „pacta sunt servanda“ (übrigens ein altrömischer Grundsatz, denn nun wirklich kein bayerischer Politiker erfunden hat) gilt auch für die TK – und damit auch die vereinbarten Kündigungsfristen -, nur sollte Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi sehr genau überlegen, ob sie dadurch, dass sie auf Vertragserfüllung und Einhaltung von Kündigungsfristen seitens der TK pocht, tatsächlich erneut und damit zum wiederholten Male gegen die Interessen eines Teils ihrer Mitglieder verstösst. “Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“
  4. Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi als Geschäftsführerin der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob sie die Vorteile der Zertifizierung für den einzelnen Betrieb tatsächlich nur in der Erfüllung einer Voraussetzung zur Versorgung im Rahmen eines Vertrages sieht – und zwar einer Voraussetzung, die sie selbst ohne Not und zu Lasten der Mitgliedsbetriebe in den Verträgen akzeptiert hat. Ein ganz dünnes Eis, auf welches sie sich da begibt…
  5. Es gibt andere Konzepte der Qualitätssicherung, und das BVA hat dort insbesondere auf die Präqualifizierung hingewiesen. Andere, ergänzende, tragfähige Konzepte wurden entwickelt (zB. im Rahmen des ZVOS) nur wurden sie durch die einseitige Forderung der Krankenkassen und die einseitige Propagierung der Zertifizierung insbesondere durch die Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen nicht mehr weiter verfolgt. Es wäre an der Zeit, diese Ansätze weiter zu führen, anstatt weiterhin gegen die Interessen eines Teils der Betriebe an der Zertifizierung teilzunehmen.

Auf eine Formulierung der Rechtsanwältin Irene Zamponi sei ausdrücklich hingewiesen, denn sie lässt aufhorchen: sie bezeichnet diejenigen Betriebe, die unter dem Diktat der Krankenkassen, dem sie wohlfeil zugestimmt hat, die Zertifizierung durchgeführt und bezahlt haben, als „die Redlichen“.

Da wird sie sich die Frage gefallen lassen müssen, ob derjenige Teil ihrer Mitglieder, die diesem einseitigen Diktat der Krankenkassen und der Innung für Orthopädie-Schuhtechnik Rheinland/Westfalen Widerstand geleistet haben und sich nun durch die Rechtsauffassung des BVA bestätigt fühlen können, tatsächlich „die Unredlichen“ sind.

„Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!“, Frau Kollegin.

Eine abschliessende Anmerkung gestatte ich mir noch: eigentlich müsste es Frau Rechtsanwältin Irene Zamponi noch erinnerlich sein, dass massgebliche Angehörige des Bundesministeriums für Gesundheit schon im September des Jahres 2009 ausdrücklich erklärt haben, dass sie einen Zertifizierungszwang für kleinere Betriebe entschieden ablehnen. Man sei im BMG sogar der Auffassung, ein solcher Zwang stände im Widerspruch zum Medizinprodukterecht. Die Zertifizierungspflicht für Kleinbetriebe sei völlig überzogen und unverhältnismässig, verbandsinterne Qualitätsmanagementsysteme seien völlig ausreichend. Teilgenommen hat sie jedenfalls an dem Gespräch, bei dem dies seitens der Angehörigen des BMG einer Reihe von Betroffenen mitgeteilt worden ist.


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